🐾 Teil 7: Das Mikrofon in der Aula
Die Aula der Grundschule war mit Sternen geschmückt. Goldene Papiergirlanden hingen von der Decke, an den Wänden klebten Schneeflocken aus Watte. Auf der Bühne standen zwei Mikrofone. Daneben ein Pult. Und davor – Sitzreihen voller Kinder, Eltern, Lehrer.
Jonas saß mit klammen Händen auf einem der kleinen Holzstühle in der zweiten Reihe. Neben ihm Jule, die leise auf ihrer Wasserflasche herumkaute. Faro durfte nicht mit hinein. Er wartete draußen mit Stefanie, eingepackt in eine weiche Decke, die Jonas selbst ausgesucht hatte.
Die Schulleiterin trat ans Mikrofon. Ihre Stimme hallte durch den Raum.
„Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern – heute feiern wir unser Winterfest. Mit Liedern, Geschichten und einem besonderen Beitrag aus der Bibliothek.“
Jonas’ Herz schlug hart. Er kannte diese Sätze. Sie bedeuteten: Gleich bist du dran.
Frau Ahrens war ebenfalls da, saß weiter hinten. Sie hatte Jonas gefragt, ob er beim Fest etwas vorlesen wolle. Es sei freiwillig. Niemand zwinge ihn. Aber es wäre etwas Besonderes.
Jonas hatte genickt. Damals. Jetzt fühlte es sich nicht mehr so klar an.
Er hatte das Buch dabei. Und sein Notizbuch. Den Text hatte er auswendig gelernt. Zeile für Zeile. Immer mit Faro neben sich.
Doch heute war Faro nicht da. Nicht neben ihm. Nur draußen. Und das Mikrofon war viel zu groß.
„Jetzt kommt ein Junge, der euch vielleicht überrascht“, sagte die Schulleiterin.
Jonas spürte, wie alle Augen sich auf ihn richteten. Jule drückte seine Hand. Dann stand er auf. Die Beine wackelten. Die Finger umklammerten das Buch.
Er ging zur Bühne. Schritt für Schritt. Kein Geräusch im Raum. Nur Stille.
Oben angekommen, stellte er sich vor das Mikrofon. Der Raum verschwamm. Er sah keine Gesichter mehr. Nur Licht. Nur Schatten.
Er atmete ein.
Dann wieder aus.
Seine Stimme war weg.
Draußen, hinter der Glastür, stand Faro. Stefanie hielt die Leine locker. Der Hund saß ganz still. Die Ohren aufgerichtet. Die Augen auf Jonas gerichtet.
Er sah ihn.
Und das reichte.
Jonas schlug das Buch auf. Das Mikrofon knackte leise. Dann sagte er:
„E-e-es w-w-war einmal ein H-h-hund, d-der v-v-verstanden h-hat, o-ohne dass m-man r-redet.“
Ein Rascheln im Raum. Aber kein Lachen. Kein Flüstern.
Jonas sprach weiter.
„E-er… w-wusste, w-wenn m-man A-a-a-angst hat. E-er w-wusste, w-wenn W-w-örter w-wehtun.“
Er las nicht nur. Er erzählte. Und mit jedem Satz wurde die Stimme fester. Nicht flüssiger – das nicht. Aber echter.
Als er endete, war der Raum ganz still.
Dann klatschten alle.
Zuerst zögernd. Dann laut.
Jule strahlte. Frau Ahrens wischte sich verstohlen übers Auge.
Und draußen, hinter der Tür, bellte Faro einmal. Tief. Zufrieden.
Später, auf dem Schulhof, kamen Kinder zu ihm. Sagten Dinge wie „stark“ oder „mutig“ oder einfach „cool“. Ein Lehrer klopfte ihm auf die Schulter.
Jonas wusste nicht, was er sagen sollte. Also sagte er: „D-d-dankeschön.“
Es reichte.
Zuhause lag Faro wieder an seinem Platz. Jonas setzte sich neben ihn, das Notizbuch in der Hand. Er zeichnete die Bühne. Die Lichter. Und sich selbst mit dem Buch in der Hand und einem Herz auf der Brust.
„Ich w-w-war da oben“, flüsterte er. „Und i-ich b-bin n-nicht weggelaufen.“
Seine Mutter nickte. Sie sagte nichts. Nur das, was man sagt, wenn man nichts mehr sagen muss. Sie drückte ihn an sich.
Später, im Bett, fragte Jonas:
„M-mama? D-d-darf ich… m-mal w-w-was f-f-für Faro s-s-schreiben?“
„Natürlich“, sagte sie. „Was du willst.“
Er schrieb in großen Buchstaben auf eine neue Seite:
„Ohne ihn hätte ich nie gewusst, dass meine Stimme nicht laut sein muss, nur ehrlich.“