Die Stimme für Faro | Ein stotternder Junge. Ein verletzter Hund. Und ein Wort, das alles veränderte

🐾 Teil 8: Als die Luft zu schwer wurde

Es war still im Haus. Draußen lagen die Straßen unter einer dicken Schneedecke, und nur das Knacken der alten Dielen erinnerte daran, dass die Welt sich noch bewegte. Jonas lag auf dem Teppich vor dem Sofa. Er malte. Faro schnarchte leise, eingerollt auf seiner Decke.

Seit dem Winterfest war Jonas anders. Nicht lauter. Nicht plötzlich mutig in jeder Minute. Aber etwas in ihm war gewachsen. Wie eine Wurzel, die endlich Halt gefunden hatte.

Er hatte angefangen, Geschichten zu schreiben. Nicht nur für sich. Auch für Faro. Über Hunde, die Wächter des Herzens waren. Über Kinder, die ihre Stimme suchten.

An diesem Nachmittag schrieb er über einen alten Hund, der leise Abschied nahm.

Er wusste nicht, warum er gerade das Thema gewählt hatte. Vielleicht, weil Faro in letzter Zeit langsamer geworden war. Nicht schwach. Aber… müder.

Als er aufstand, um Faro das Ohr zu kraulen, merkte er es.

Faro atmete schwer. Die Brust hob sich nur flach. Und die Lefzen waren trocken. Seine Augen blickten ins Leere, als wäre der Hund irgendwo anders.

Jonas hockte sich hin. „F-f-faro?“
Keine Reaktion.

Ein Schock zog ihm durch den Körper. Er streichelte vorsichtig das Fell. Spürte die Hitze.

Fieber.

Er sprang auf, rannte in die Küche. Die Uhr zeigte kurz nach fünf. Seine Mutter war Spätschicht im Klinikum. Niemand da. Kein Erwachsener.

Er griff nach dem Telefon.

Die Finger zitterten.

Er wählte die Nummer des Tierarztes. Die, die auf dem Zettel am Kühlschrank stand.

Ein Freizeichen. Dann eine Stimme.

„Tierarztpraxis Dr. Wimmer, Notrufdienst. Was kann ich für Sie tun?“

Jonas’ Hals war trocken. Die Worte wollten nicht.

Er atmete tief ein.

„M-m-mein H-h-hund… e-er… a-a-atmet s-s-schwer… F-fieber…“

Die Stimme am anderen Ende wurde ruhiger. „Wie heißt du?“

„J-j-jonas E-engel.“

„Ist deine Mama da?“

„A-a-arbe… A-a-rbeit.“

„Gut, Jonas. Du hast das richtig gemacht. Ich brauche die Adresse.“

Jonas flüsterte sie. Langsam. Deutlich. Ohne zu stottern.

„Wir sind in zwanzig Minuten da. Streichel ihn. Bleib ruhig.“


Er legte das Telefon weg, ging zu Faro zurück.

„Du m-musst… d-durchhalten“, sagte er. „W-wie d-damals i-im Wald.“

Faro bewegte den Kopf ein wenig. Ein Blick. Ein Zittern.

Jonas legte sich neben ihn. Die Hand auf der Flanke. Spürte das schwache Pochen.

Dann kam das Auto. Blaulicht. Nicht laut, aber deutlich.

Zwei Tierärzte in Winterjacken traten ein, mit Kiste und Decke.

Jonas trat zurück, ließ sie arbeiten. Sie sprachen leise. Fachbegriffe. Medikamente. Infusion.

Einer der Ärzte, ein junger Mann mit Brille, wandte sich an Jonas.

„Du hast gut reagiert. Sehr gut sogar. Er hatte hohes Fieber. Vielleicht eine Infektion. Es war knapp.“

„W-w-wird e-er… w-wieder gesund?“

„Wir wissen es noch nicht. Aber wir tun alles dafür.“

Sie hoben Faro vorsichtig auf die Trage. Der Hund war ruhig. Zu ruhig.

„Wir nehmen ihn mit. Du kannst morgen früh anrufen.“

Jonas nickte. Die Tür schloss sich. Und plötzlich war das Haus leer.

Still.


Stefanie kam gegen halb neun nach Hause. Jonas saß auf dem Sofa. Kein Licht, nur der Schein der Straßenlaterne.

Er erzählte ihr alles. Ohne Pause. Ohne viele Unterbrechungen. Die Wörter waren schwer, aber sie kamen. Weil sie mussten.

Sie hörte ihm zu. Umarmte ihn fest. Dann rief sie in der Klinik an.

Die Nacht war lang. Jonas schlief kaum. Immer wieder sah er Faro. In der Trage. Mit dem Blick, der sagte: Ich geh nicht, wenn du mich rufst.

Am Morgen rief Stefanie beim Tierarzt an. Jonas hörte zu.

„Er hat die Nacht überstanden“, sagte sie. „Aber er ist schwach. Wir dürfen ihn nachmittags besuchen.“


Als sie ankamen, lag Faro in einer Box mit Wärmelampe. Ein Verband am Bein. Ein Schlauch an der Pfote.

Aber als Jonas nähertrat, hob Faro den Kopf.

Ein leises Winseln.

Jonas trat näher. Legte die Stirn gegen das Gitter.

„I-ich b-bin d-da“, flüsterte er. „I-immer.“

Der Tierarzt kam später zu ihnen. Sagte, es werde dauern. Vielleicht bleibe ein Schaden zurück. Vielleicht auch nicht.

Jonas nickte.

„E-e-er k-kämpft. W-wie ich.“


Am Abend schrieb Jonas in sein Notizbuch. Nicht viel. Nur einen Satz.

Er schrieb ihn groß.

„Wenn er nicht aufgibt, tu ich es auch nicht.“

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