🐾 Teil 7: Das, was bleibt
Der Traum war so lebendig, dass Elias beim Aufwachen das Gefühl hatte, er hätte ihn tatsächlich berührt.
Albert saß am Küchentisch der alten Villa. Er trug keinen Mantel, keine Uniform. Nur ein Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Die Hände lagen ruhig auf dem Tisch, als hätte er jahrzehntelang nichts anderes getan, als zu warten.
Vor ihm lag das Halsband.
Und Abel lag zu seinen Füßen.
Elias stand im Türrahmen, konnte nichts sagen. Nur schauen.
Dann hob Albert den Blick.
„Er hat dich ausgesucht“, sagte er.
Elias wollte etwas erwidern, doch seine Stimme war nicht da.
Albert lächelte leicht.
„Dann ist es gut.“
Elias wachte auf, noch bevor der Traum sich auflösen konnte. Draußen dämmerte es, ein leichter Nebel lag über dem See.
Er setzte sich auf die Bettkante und wusste: Es war Zeit.
Zeit, die Geschichte zu Ende zu bringen.
Nicht, um sie zu schließen. Sondern um sie weiterzugeben.
Er verbrachte den Vormittag damit, seine Aufzeichnungen zu ordnen.
Die Briefe, das Tagebuch, die Fotos.
Abels Verhalten in den letzten Wochen.
Er sprach mit Marlene, bat sie um Hilfe bei der Erstellung eines kleinen Buches.
Nicht für den Verkauf. Nicht für Aufmerksamkeit.
Für das Archiv.
Für die, die später fragen würden.
Am Nachmittag ging er mit Abel den alten Uferweg entlang.
Der Hund war langsamer geworden. Er blieb öfter stehen, blickte zurück, als müsste er sich vergewissern, dass der Weg noch derselbe war.
Elias sprach leise mit ihm. Von den Kindern, die ihn gestreichelt hatten. Von der Frau, die eine Rose ans Tor gelegt hatte.
Von Albert.
Abel reagierte nicht immer. Aber manchmal zuckte sein Ohr.
Manchmal drehte er den Kopf, als wüsste er genau, worauf es ankam.
An der Bank am See setzten sie sich.
Der Wind war kühl, aber nicht unangenehm.
Das Wasser ruhig.
Elias zog das Notizbuch hervor. Las erneut die letzte Seite.
„Wenn mich keiner mehr ruft, bleibt nur das Warten.“
Er streichelte Abels Fell.
„Du hast lang genug gewartet, mein Freund.“
Abel schloss die Augen.
Und Elias wusste, dass dieser Moment bleiben würde.
Mehr als jedes Foto.
Am Abend rief Anna-Lena an.
„Ich habe Ihren letzten Beitrag gelesen. Ich habe darüber nachgedacht… und wenn Sie wollen, ich würde das Haus übernehmen.“
Elias war überrascht.
„Sie wollen es renovieren?“
„Nein. Erhalten. Für Begegnungen. Für Erinnerungen. Vielleicht als Ort, an dem man Geschichten erzählen kann.“
Elias lächelte.
„Dann wäre es nicht mehr ein Haus mit Geschichte. Sondern ein Haus für Geschichte.“
Anna-Lena lachte leise.
„Vielleicht können wir sogar ein Schild anbringen. Für Bello. Für Abel.“
„Und für Albert“, ergänzte Elias.
Sie schwieg kurz.
Dann sagte sie:
„Ich glaube, das ist das Beste, was wir für sie tun können.“
Die nächsten Wochen vergingen ruhig.
Die Blätter färbten sich, dann fielen sie.
Kinder kamen weniger. Der Wind wurde schärfer.
Abel schlief mehr.
Er bellte nicht. Jammerte nicht.
Aber er stand auch nicht mehr auf, wenn Elias kam.
Er hob nur den Kopf. Sah ihn an.
Und das reichte.
Am Morgen des ersten Frosts war er fort.
Kein Laut. Keine Spur.
Nur das Halsband lag auf der Decke.
Elias setzte sich in die Scheune.
Allein.
Er hob das Halsband auf.
Und wusste, dass der Hund nicht gegangen war.
Nicht wirklich.
Er war dahin zurückgekehrt, wo Stimmen nicht mehr rufen mussten.
Weil alles schon gesagt war.
Zwei Tage später stellte Elias ein Holzschild am Tor auf.
Er hatte es selbst geschnitzt.
Darauf stand:
„Für die, die warteten.
Für die, die treu blieben.
Für die, die verstanden, ohne Worte.“
Die ersten Kerzen wurden noch am selben Tag aufgestellt.
Und der Wind wehte wie eine leise Stimme durch die alten Bäume.
—
Aber tief in der Nacht, wenn alles still war, glaubte Elias manchmal, ein leises Kratzen an der Scheunentür zu hören.