Manche Hunde kommen nicht nur wegen des Futters zurück.
Sie tragen etwas bei sich – ein Gefühl, das Menschen oft verloren haben.
Katharina dachte, sie hätte alles hinter sich gelassen: die Kindheit, die Nachbarn, das alte Leben.
Doch als dieser Hund auf der Schwelle ihres Gasthauses stand, begann etwas in ihr zu pochen.
Etwas, das viele Jahre geschwiegen hatte.
🐾 Teil 1: Der erste unerwartete Gast
Ettenheim, Spätsommer 2023. Die Sonne hing tief über den Hügeln des Kaiserstuhls. In der kleinen Dorfstraße war es still geworden. Nur das leise Klirren von Besteck in der Küche unterbrach die Ruhe.
Katharina Keller, 62, wischte ein letztes Mal über den Holztisch am Fenster. Ihr Gasthaus „Zur Kastanie“ war klein, altmodisch, aber gemütlich. Sie führte es allein, seit Paul gestorben war. Das war vor acht Jahren gewesen. Seitdem hatte sie gelernt, dass Stille nicht unbedingt Frieden bedeutete.
Sie öffnete das Fenster einen Spalt und atmete die Luft ein. Frisch gebackenes Brot, ein Hauch Lavendel vom Kräuterbeet und dann, ganz plötzlich, ein anderes Geräusch. Ein leises Scharren.
Katharina blickte zur Eingangstür. Da stand er.
Ein Hund. Mager, dreckig, mit zerzaustem Fell. Die Rippen zeichneten sich deutlich unter dem hellbraunen Fell ab. Seine Ohren waren angelegt, der Blick senkte sich, doch die Augen, bernsteinfarben, waren wachsam.
Er machte keinen Laut. Stand einfach da und sah sie an.
Katharina ging langsam zur Tür, kniete sich hin. „Na, mein Lieber. Wo kommst du denn her?“ Ihre Stimme war ruhig, fast zärtlich.
Der Hund bewegte sich nicht. Erst als sie einen Rest Kartoffelgratin in eine kleine Metallschale legte und vor ihm abstellte, trat er zögerlich näher.
Er fraß schnell, aber ohne Gier. Mit einer merkwürdigen Höflichkeit, die Katharina rührte. Als er fertig war, sah er sie nochmals an. Dann trottete er davon, den Kopf gesenkt, den Schwanz tief.
Am nächsten Tag, zur gleichen Zeit, war er wieder da.
Und am dritten Tag auch.
Katharina nannte ihn insgeheim „Besucher“. Sie streichelte ihn nicht. Noch nicht. Aber sie redete mit ihm, wenn er kam. Manchmal setzte sie sich einfach mit ihrer Kaffeetasse auf die Bank vor dem Haus und ließ ihn still fressen.
Sie merkte, wie sie sich wieder auf etwas freute. Etwas, das keinen Namen hatte.
Am siebten Tag geschah etwas Merkwürdiges.
Sie beugte sich vor, um seinen Napf zu holen, und bemerkte es: Der Bauch des Hundes war rund. Nicht einfach gefressen rund sondern gespannt, weich, lebendig.
Katharina hielt inne. „Ach du liebe Zeit… du bist trächtig.“
Der Hund sah sie an. Zum ersten Mal ließ er zu, dass sie ihm über den Rücken strich.
In der Nacht konnte sie nicht schlafen. Bilder aus ihrer Kindheit stiegen auf. Wie sie früher bei den Schröders gespielt hatte. Auf dem alten Hof am Rande von Ettenheim. Wie sie mit den Hunden der Nachbarn um die Wette rannte. Dann der Umzug nach Offenburg. Das Leben ging weiter. Die Verbindung riss ab.
Sie dachte an Paul. An seine Liebe zu Tieren. Er hätte „Besucher“ längst ins Haus geholt, ihm einen Namen gegeben.
Sie fragte sich, ob der Hund einen Besitzer hatte.
Doch dann, an einem Dienstag, kam er nicht. Auch nicht am Mittwoch. Und auch nicht am Donnerstag.
Katharina wartete. Sie legte wie gewohnt eine Schale mit Fleischresten hinaus. Nichts.
Am vierten Tag zog sie ihre feste Jacke an, schnürte die Schuhe. Sie musste es wissen.
Der Weg hinaus aus dem Dorf war vertraut. Die Kastanien begannen schon zu fallen.
Sie ging instinktiv Richtung Hang, wo früher der Hof der Schröders stand. Der Weg war uneben, aber sie kannte jeden Stein.
Als sie um die letzte Biegung bog, blieb sie stehen.
Der Hund saß vor einem alten schmiedeeisernen Gartentor. Hinter ihm lag ein Hof, fast unverändert. Die Fensterläden grün, der Putz abgeblättert, aber noch immer da.
Katharina zögerte. Dann rief sie leise: „Hallo?“
Die Haustür öffnete sich mit einem Knarren.
Ein alter Mann trat hinaus. Groß, hager, mit dünnem weißem Haar. Er blinzelte. „Katharina?“
Sie brauchte einen Moment. Dann erkannte sie ihn. „Herr Schröder…?“
Er nickte langsam. „Du bist es wirklich. Ich hätte dich fast nicht erkannt.“
Katharina lachte auf, voller Erstaunen und Rührung. „Und ich Sie auch nicht.“
Der Hund stand nun zwischen ihnen, sah von einem zum anderen.
„Das ist Ihre Hündin?“
„Ja“, sagte Herr Schröder. „Sie heißt Tessa. Ist vor einem Jahr zugelaufen. Seitdem bleibt sie. Meistens.“
Katharina schluckte. „Sie war bei mir. Jeden Tag. Eine Woche lang. Dann war sie weg.“
„Sie sucht sich aus, wo sie gebraucht wird“, sagte eine Stimme von drinnen. Eine Frau trat hinaus, gebrechlich, aber mit wachen Augen. Frau Schröder.
Sie lächelte. „Manchmal bringt das Leben alte Dinge zurück. In anderer Gestalt.“
Sie setzten sich gemeinsam auf die Bank vor dem Haus. Der Hund – Tessa – legte sich zu Katharinas Füßen.
Es fühlte sich an wie Heimkehr.
Doch als Katharina sich zum Gehen erhob, hörte sie ein leises Winseln aus dem Inneren des Hauses.
🐾 Teil 2: Das Winseln hinter der Tür
Katharina fror, obwohl die Sonne noch nicht ganz untergegangen war. Die Bank vor dem Schröderschen Haus war alt, das Holz rau unter ihren Handflächen. Der Duft von Apfelkompott lag in der Luft, irgendwo klopfte ein Specht gegen morsches Holz.
Tessa hob leicht den Kopf, als das Winseln erneut erklang. Leise, kaum hörbar, aber eindeutig aus dem Inneren des Hauses.
Frau Schröder hörte es auch. Ihre Augen verengten sich einen Moment, dann legte sie die Hand auf Katharinas Arm.
„Komm“, sagte sie.
Im Flur roch es nach Holz, feuchtem Steinboden und Minztee. Der Teppich war abgetreten, aber sauber. An der Wand hingen Fotos – verblasste Bilder von jungen Leuten in Sonntagskleidung, einem schwarzen Schäferhund, einem Kind mit Zahnlücke.
Frau Schröder öffnete eine schmale Tür neben dem alten Kohleofen. Dahinter lag ein kleiner Raum, kaum größer als eine Abstellkammer. Auf dem Boden: ein dickes Laken, eine alte Wolldecke, eine Metallschale mit Wasser. Und mittendrin – Tessa.
Sie hatte sich in die Decke gekrümmt, ihre Augen halb geschlossen. Neben ihr zitterten zwei kleine Fellknäuel. Winzig, nackt, mit geschlossenen Augen. Sie saugten blind an Tessas Bauch, gaben dabei diese merkwürdig sanften Schmatzlaute von sich.
Katharina hielt den Atem an.
„Gestern Nacht kamen sie“, flüsterte Frau Schröder. „Ganz ruhig. Als hätte sie genau gewusst, dass sie hier sicher ist.“
Katharina kniete sich hin, spürte, wie ihre Knie auf dem Steinboden schmerzten. Sie streckte die Hand aus, berührte vorsichtig eines der Jungen. Das Fell war feucht, das Herz darunter klopfte schnell.
„Wie heißen sie?“, fragte sie leise.
„Noch haben sie keine Namen“, sagte Herr Schröder hinter ihr. „Vielleicht willst du ihnen welche geben.“
Katharina schwieg. Sie sah die Hündin an. Tessa hatte die Augen geöffnet, blickte ihr direkt in die Seele. In diesem Moment wusste Katharina: sie war nicht mehr nur Gast in dieser Geschichte. Sie war Teil davon geworden.
—
In den folgenden Tagen fuhr Katharina jeden Morgen nach Ettenheim und brachte frisches Hühnerfleisch, Haferflocken, warme Decken. Die Schröders sagten nie Nein. Aber sie sagten auch nie Danke – zumindest nicht mit Worten. Stattdessen stand immer eine Tasse Kaffee für sie bereit, ein frisch gebackenes Brötchen, ein Stuhl in der Sonne.
Katharina mochte diese wortlose Art des Einverständnisses.
Sie beobachtete, wie die Welpen wuchsen. Der eine war fast schwarz, mit einem weißen Fleck auf der Brust. Der andere hellbraun, mit winzigen dunklen Punkten an den Pfoten. Bald begannen sie zu laufen, zu tapsen, zu bellen. Die Küche der Schröders wurde zum Abenteuerspielplatz.
Herr Schröder baute ein kleines Gitter vor die Tür. „Sonst landen sie noch im Suppentopf“, murmelte er und Katharina lachte.
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Eines Morgens stand Tessa wieder vor dem Gasthaus. Ihre Augen waren müde, aber sie wedelte mit dem Schwanz, als Katharina die Tür öffnete.
„Na, zurück im Dienst?“, fragte sie, während sie eine Schüssel mit gekochtem Reis und Fleisch füllte.
Tessa fraß langsam. Danach blieb sie liegen, schaute ruhig in den Innenhof. Katharina setzte sich dazu. Ihre Hände ruhten im Schoß.
„Du erinnerst mich an jemanden“, flüsterte sie. „Paul hätte dich gemocht.“
Der Hund hob den Kopf, als hätte er verstanden.
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Später an diesem Tag, beim Abwasch, sah Katharina etwas in der Glasvitrine, das sie lange nicht beachtet hatte: ein altes Foto, eingerahmt in Messing. Darauf sie selbst, vielleicht zehn Jahre alt, mit zwei Zöpfen und einem Apfel in der Hand. Neben ihr ein Hund – Ringo, ein Mischling mit Schlappohren. Und hinter ihr: das Tor des Schröderschen Hofes.
Sie nahm das Bild heraus, wischte vorsichtig den Staub ab. Wie viel war in der Zwischenzeit vergangen? Wie viele Menschen hatten sie verloren, wie viele Erinnerungen weggepackt?
Vielleicht, dachte sie, war es an der Zeit, etwas zurückzuholen.
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Eine Woche später brachte sie zwei Körbchen mit ins Haus der Schröders. Gepolstert, mit warmen Kissen, einem kleinen Spielzeug aus Stoff. Sie stellte sie neben den Kamin. Die Welpen krochen sofort hinein, als wären sie dafür gemacht.
„Ich würde sie gern bei mir aufnehmen“, sagte sie, fast schüchtern.
Herr Schröder runzelte die Stirn. „Beide?“
„Wenn es euch recht ist.“
Frau Schröder lächelte. „Sie gehören dir. Schon lange.“
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Der Abschied war einfacher, als sie gedacht hatte. Vielleicht, weil niemand sich wirklich verabschiedete. Die Schröders kamen nun öfter zu ihr ins Gasthaus. Die Welpen, nun ein wenig größer, spielten auf dem gepflasterten Hof und zogen Kundenblicke an wie Magnete.
Katharina gab ihnen Namen: Bente und Friso. Namen, die kaum jemand mehr kannte, aber ihr gefielen. Bente war wild, sprang über jeden Eimer. Friso war ruhig, immer mit einem Blatt im Maul.
Die Gäste begannen zu fragen: „Gehören die euch?“
Katharina lächelte dann immer nur.
„Sie gehören dem Haus.“
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Eines Nachmittags, als ein Herbstwind durch die engen Gassen zog, hörte Katharina Schritte hinter sich. Es war Frau Schröder, langsam, mit einem Gehstock, aber mit einem Blick, der alles erfasste.
„Ich habe Paul nie richtig gekannt“, sagte sie leise.
Katharina nickte. „Er war still.“
„Aber ich glaube, er hätte das hier schön gefunden.“
Katharina schwieg. Dann nahm sie die Hand der alten Frau. Sie saßen eine Weile nebeneinander, sagten nichts weiter.
Und wieder klang es in Katharinas Brust: Dieses Pochen. Leise. Hartnäckig. Lebendig.
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Als sie am Abend den Gastraum abschloss, bemerkte sie es: Tessa war nicht da.
Nicht im Hof. Nicht im Körbchen. Nicht auf der Bank.
Sie war einfach nicht da.
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Und plötzlich war es still, auf eine Weise, die Katharina tief in den Knochen spürte.
🐾 Teil 3: Das Verschwinden
Der Morgen roch nach feuchtem Laub und kaltem Stein. Der erste Frost hatte sich über die Beete gelegt wie ein feiner Schleier. Katharina stand am Fenster ihres Gasthauses und starrte in den leeren Innenhof. Kein Rascheln. Kein Pfotenschritt.
Tessa war weg.
Sie war nie zuverlässig gewesen, das wusste Katharina. Manchmal war sie tageweise verschwunden, durchstreifte die Felder, schlief vermutlich irgendwo unter einer Scheune. Aber diesmal war es anders. Es war stiller. So still, dass sogar Bente und Friso auffällig ruhig waren.
Sie saßen zusammen unter dem alten Holztisch im Gastraum, dicht nebeneinander, die Schnauzen auf den Pfoten. Wenn die Tür sich öffnete, zuckten ihre Ohren, aber keiner von beiden lief hinaus. Als würden sie spüren, dass niemand mehr kam.
Katharina zog ihre dicke Strickjacke über, schnürte die Stiefel und nahm den kleinen Beutel mit Leckerli vom Haken. Sie wollte nur kurz zum Markt, vielleicht etwas Fleisch holen, vielleicht ein paar Fragen stellen. Vielleicht war jemandem ein Hund aufgefallen, mager, alt, mit bernsteinfarbenen Augen.
Sie fragte den Bäcker, die Dame an der Bushaltestelle, selbst den Postboten. Niemand hatte etwas gesehen.
Der Metzger zuckte nur die Schultern. „Hier laufen so viele Hunde herum. Vielleicht war’s einer von den Streunern vom Wald her.“
Katharina wusste, dass es nicht stimmte. Tessa war kein Streuner. Sie war gekommen, weil sie vertraute. Weil sie verbunden war. So etwas ging nicht einfach verloren.
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Am Nachmittag fuhr sie zu den Schröders.
Frau Schröder öffnete die Tür, langsam wie immer. Sie trug eine geblümte Schürze und einen warmen Wollschal.
„Sie ist nicht bei euch, oder?“, fragte Katharina, noch bevor sie den Flur betrat.
Frau Schröder schüttelte den Kopf. „Nicht seit gestern. Sie war früh wach, lief zum Tor, und dann…“
„Dann?“
„Dann ist sie einfach los. Ohne umzusehen.“
Katharina trat ein, setzte sich an den kleinen Küchentisch. Der Raum war warm, der Herd knisterte leise. Auf dem Tisch lag ein geöffnetes Päckchen Hundekekse. Daneben eine leere Schale.
„Ich glaube, sie hat etwas gesucht“, sagte Herr Schröder, der aus dem Nebenraum kam. Er wirkte müder als sonst.
„Oder gewusst, wohin sie musste“, fügte seine Frau hinzu.
Katharina seufzte. Sie kannte diese Sätze. Paul hatte auch so geredet, damals, als ihr alter Hund Fritz in den Weinbergen verschwand. Manche Tiere, hatte er gesagt, wollen allein gehen. Still. Auf ihre Art.
Aber sie konnte es nicht so stehen lassen.
„Ich werde suchen“, sagte sie.
Herr Schröder nickte. „Du brauchst einen Mantel. Es wird kalt.“
—
Sie suchte. Zuerst entlang der Feldwege hinter dem Ort. Dann durch den Weinberg, an den Reihen aus kahlen Rebstöcken vorbei. Die Kälte kroch ihr in die Finger, aber sie ging weiter.
Sie rief ihren Namen. Flüsterte ihn manchmal nur. Tessa. Wieder und wieder. Doch es kam kein Laut zurück.
Zwei Krähen flogen krächzend über sie hinweg. Ein Fuchs schoss durch das Unterholz, verschwand zwischen nassen Büschen.
Die Dämmerung senkte sich, ehe sie es bemerkte.
Sie war nahe am Waldrand, dort, wo früher die Kinder aus der Nachbarschaft eine Hütte gebaut hatten. Katharina blieb stehen, atmete tief ein. Und dann hörte sie es.
Ein leises, kehliges Wimmern.
Es kam von irgendwo unterhalb, hinter einem Brombeerbusch. Sie kniete sich hin, zog die Zweige vorsichtig auseinander.
Da war sie.
Tessa lag zusammengerollt in einer Mulde, halb unter einem Baumstamm. Ihr Fell war voller Erde und feuchtem Laub. Die Augen halb geschlossen, die Atmung flach.
„Tessa“, flüsterte Katharina, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Der Hund hob langsam den Kopf, ihre Augen fanden Katharinas. Kein Schmerz lag darin. Kein Schrecken. Nur Müdigkeit. Und vielleicht so etwas wie Erleichterung.
Katharina tastete in ihre Tasche, zog den Beutel mit Leckerlis heraus, doch Tessa rührte sich nicht.
„Du blöde, wunderbare Seele“, sagte sie mit zitternder Stimme.
Sie zog ihre Jacke aus, legte sie vorsichtig über den Hund. Dann wählte sie den Notruf.
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In der Tierarztpraxis in Lahr war es still. Die Ärztin, eine ruhige Frau mit grauem Zopf, legte Tessa vorsichtig auf den Untersuchungstisch. Ihre Stimme war sanft, fast wie bei einem Kind.
„Sie ist sehr alt. Die Organe sind schwach, besonders das Herz.“
„Aber sie lebt“, sagte Katharina, mehr zu sich selbst als zur Ärztin.
„Ja. Aber sie braucht jetzt Ruhe. Und jemanden, der bei ihr bleibt.“
Katharina nickte.
Sie blieb. Die ganze Nacht. Auf einem harten Stuhl im Aufwachraum, neben der Liege, auf der Tessa lag. Ihre Finger ruhten auf dem Fell. Manchmal glaubte sie, das Herz schlagen zu spüren, dann wieder war da nur Stille.
Sie dachte an Paul. An Ringo. An all die Jahre, in denen sie geglaubt hatte, dass nichts mehr kam. Und dann kam Tessa.
Ein Wesen, das nicht sprach, aber alles sagte.
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Am Morgen wurde es ein wenig heller. Die Ärztin kam mit einer dampfenden Tasse Tee. Katharina nahm sie dankbar entgegen.
„Sie hat die Nacht überstanden“, sagte die Frau. „Das ist ein gutes Zeichen.“
Katharina lächelte schwach. „Dann holen wir sie heim.“
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Zuhause im Gasthaus hatte sie bereits einen Platz vorbereitet. Eine große Decke unter dem Fenster, daneben ein Napf Wasser, ein Kissen, ein Foto von Paul.
Tessa wurde ruhig dorthin gelegt. Bente und Friso schlichen sich zögerlich heran, schnüffelten vorsichtig. Dann legten sie sich rechts und links neben ihre Mutter, wie zwei lebendige Wärmflaschen.
Katharina setzte sich daneben. Ihre Hand ruhte auf Tessas Schulter. Die Wärme war da. Noch.
Sie wusste, dass sie keine Zeit gewinnen konnte. Aber sie konnte begleiten. Und das war vielleicht noch wichtiger.
—
Und als am Abend ein leiser Laut durch den Raum glitt, begriff Katharina, dass Abschiede nicht immer mit einem letzten Atemzug beginnen.