Ein Napf voller Erinnerung | Sie wollte nur den Hund füttern doch was sie fand, war ihre Vergangenheit

🐾 Teil 5: Abschied im Garten

Die Erde war feucht vom Regen der Nacht. Katharina stand im hinteren Teil ihres Gartens, wo ein alter Apfelbaum wuchs. Paul hatte ihn vor vielen Jahren gepflanzt. Die Äpfel waren klein, aber süß, mit rot-grüner Schale und weichem Fruchtfleisch.

Heute fiel keiner mehr. Der Baum war still, wie alles um sie herum.

Sie hatte eine Stelle unter der tief hängenden Krone freigeräumt. Das Gras dort war weich und dicht, das Licht fiel in goldenen Fetzen durch das noch nicht ganz kahle Geäst. Sie kniete nieder, schob die Erde mit beiden Händen zur Seite.

Nicht schnell, nicht mechanisch. Mit Bedacht.

Frau Schröder hatte ein altes Leinentuch gebracht. In dieses wickelte Katharina Tessa, ganz vorsichtig. Die Augen waren geschlossen, die Beine angewinkelt, als würde sie noch schlafen.

Als sie sie in die Grube legte, legte sie eine rote Kastanie dazu. Dann das kleine Spielzeug, mit dem Friso oft gespielt hatte, und einen Streifen vom alten Geschirrtuch, das Paul früher benutzt hatte, um Tessas Schüssel zu trocknen.

Sie schob die Erde wieder darüber, langsam, Schicht für Schicht, und spürte, wie sich der Kloß in ihrem Hals festsetzte.

Keine Rede. Kein Kreuz. Nur eine Kerze im Glas, die sie in die Erde drückte.

Am Abend stand sie lange dort. Friso kam dazu, schnüffelte an der frischen Erde, setzte sich dann still neben sie. Bente legte sich an ihre Füße.

Katharina sagte: „Hier bleibst du also. Im Garten. Bei uns.“

Am nächsten Tag war das Licht anders. Klarer. Die Luft kühl, aber nicht hart. Katharina öffnete das Fenster zum Hof. Friso sprang hinaus, jagte dem Herbstblatt hinterher, das der Wind über das Pflaster trieb. Bente folgte ihm, leichtfüßig, voller Energie.

Sie wirkten unbeschwert. Aber nicht gleichgültig.

Am frühen Nachmittag kamen die Schröders. Herr Schröder trug einen Korb mit Kürbissen. Frau Schröder hatte Apfelkuchen gebacken.

„Wir haben sie gesehen, weißt du?“, sagte sie beim Kaffee.

„Wen?“

„Tessa. In der Nacht nach dem Regen. Sie stand vor unserem Tor. Ganz still. Und dann ist sie weitergegangen.“

Katharina nickte langsam. „Sie hat sich verabschiedet.“

„Ja“, sagte Frau Schröder. „Aber nicht von uns. Von der Zeit.“

Ein paar Tage später war Markttag in Ettenheim. Katharina ging wieder hin, zum ersten Mal seit Tessas Verschwinden. Viele Leute begrüßten sie. Manche mit einem Lächeln, manche mit einem Nicken, manche mit einem echten Blick.

Am Blumenstand blieb sie stehen. Die Frau dort, eine ältere mit silbernem Dutt, sah sie prüfend an.

„War das Ihr Hund? Der mit den ruhigen Augen?“

Katharina zögerte kurz. Dann sagte sie: „Ja.“

„Er war besonders. Hat mich oft angesehen, als wüsste er Dinge.“

Katharina kaufte ein paar Sonnenblumen. Auf dem Rückweg legte sie sie ans Grab unter dem Apfelbaum.

Bente und Friso wuchsen schnell. Die Beine wurden länger, das Spiel wilder. Aber sie blieben sanft. Nie zerstörerisch. Immer nah.

Katharina fing an, mit ihnen zu sprechen, wie einst mit Paul. Erst zaghaft, dann selbstverständlich. Im Gastraum, im Garten, am Herd. Sie erzählte von früher, von ihrer Jugend, von den Schröders, von Pauls seltsamer Liebe zu salziger Milch, von ihrem Wunsch, eines Tages das Meer zu sehen.

Und die Hunde hörten zu. Nicht mit Worten, sondern mit Augen, mit Ohren, mit Schweigen.

Eines Morgens stand ein Pärchen vor dem Gasthaus. Zwei Rucksäcke, müde Gesichter, vom Wandern gezeichnet.

„Wir haben gehört, hier gibt es nicht nur gutes Essen, sondern auch Gesellschaft auf vier Pfoten.“

Katharina lachte. „Die sind gerade im Hof, beim Kompost.“

„Dürfen wir?“

Sie nickte. Nach fünf Minuten hörte sie das Lachen der beiden draußen. Das freudige Bellen von Friso. Das helle Japsen von Bente.

Am Abend postete das Paar ein Foto auf einer regionalen Facebook-Seite. Die Hunde vor der Kastanie. Die Sonne im Hintergrund. Darunter stand:

„Ein Ort mit Herz. Wo Erinnerungen schlafen und neue beginnen.“

Am nächsten Tag kamen drei neue Gäste.

Katharina saß mit den Schröders auf der Bank vor dem Gasthaus. Bente hatte sich unter Herrn Schröders Beine gelegt. Friso lag zwischen den beiden Frauen, döste mit halb geöffneten Augen.

„Du weißt schon, dass das hier ein kleiner Ort geworden ist“, sagte Herr Schröder.

„Was meinst du?“

„Ein Ort, an dem etwas heilt.“

Katharina sagte nichts. Aber sie nahm seine Hand. Nicht fest. Nur einen Moment.

Am Abend dachte sie darüber nach. Wie sich Dinge verändern, ohne dass man sie drängt. Wie sich ein leerer Raum plötzlich füllt, wenn man ihn nicht zu fest verschließt.

Sie griff zur Schublade unter dem Tresen, holte ein altes Schild hervor. Das alte „Zur Kastanie“ war abgekratzt. Stattdessen stand da, in frischer Handschrift:

„Fellfreunde – Gasthof für Zwei- und Vierbeiner“

Sie hatte es vor Monaten geschrieben, nie aufgehängt. Vielleicht aus Unsicherheit. Oder aus Respekt.

Jetzt legte sie es auf den Tresen. Vielleicht war der Moment gekommen.

Und als sie am nächsten Morgen die Tür öffnete, wartete bereits jemand auf der Schwelle doch es war kein Mensch.

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