Teil 5 – Gemeinsam zur Klinik
Der Himmel über Triebensee war blassblau, fast durchsichtig.
Liselotte zog Emil die alte, leicht ausgefranste Leine an, die sie einst auf dem Flohmarkt in Miesbach gekauft hatte.
„Heute geht’s wieder zur Frau Doktor, mein Großer“, sagte sie, während sie ihm sanft über den Hals strich.
Emil sah sie an, mit diesem Blick, den nur alte Hunde haben: ruhig, bereit, verständig – aber müde.
Sie half ihm ins Auto.
Ein alter Opel Astra mit Decke auf der Rückbank, der bei jedem Schlagloch knarzte wie ein alter Holzstuhl.
Emil legte den Kopf ab, die Pfoten unter sich geschoben, und sah nicht raus.
Er kannte den Weg.
Die Tierarztpraxis Vollmer & Partner lag zwischen zwei Wiesen am Rand von Bad Aibling. Im Wartezimmer roch es nach Lavendel, Desinfektion und Leckerli.
Ein Schild an der Wand warb für „Gelenktherapie bei älteren Hunden – sanft & wirkungsvoll“.
Liselotte las es nicht mehr.
Sie kannte es auswendig.
Die junge Helferin Ronja begrüßte sie mit einem Lächeln.
„Emil, der Hübsche! Komm, wir machen’s dir bequem.“
Sie half ihm auf eine rutschfeste Matte, brachte Wasser und einen kleinen Leckerbissen mit Lebergeschmack.
Emil fraß ihn langsam, mit einer Mischung aus Appetit und Erschöpfung.
Ronja streichelte ihm über die Stirn.
„Tapferer Kerl.“
Dr. Maren Vollmer kam mit dem Tablet in der Hand und einer warmen Stimme.
„Wie geht’s unserem Seniorenhelden heute?“
Sie sprach nicht über Symptome.
Sie sprach über Emil, als wäre er ein Gast.
Nicht ein Fall.
Die Untersuchung verlief ruhig.
Herz: stabil.
Atmung: leicht schwerfällig.
Bewegung: eingeschränkt, aber nicht akut.
Sie notierte: „Empfehlung: Magnetfeldtherapie, 2x monatlich.“
Liselotte fragte:
„Ist das… sinnvoll in dem Alter?“
Dr. Vollmer nickte.
„Es lindert den Druck in den Gelenken. Und er entspannt sich dabei. Manche Hunde schlafen sogar ein.“
Dann fügte sie hinzu:
„Und es wird vom Therapiefonds der Senioren-Tierhilfe teilfinanziert.“
Liselotte unterschrieb das Formular ohne zu zögern.
Nicht weil sie an Technik glaubte.
Sondern weil sie an Linderung glaubte.
Weil sie sah, wie Emil inzwischen langsamer atmete, wenn jemand seine Hüfte streichelte.
Im Behandlungsraum lag Emil später auf einer dicken Matte.
Ein leichtes Surren erfüllte den Raum, während das Magnetfeldgerät arbeitete.
Ronja saß daneben, hielt sanft eine Pfote.
Emil schlief.
Nicht tief. Aber friedlich.
Am Rückweg fuhr Liselotte einen Umweg über den Waldweg bei Au.
Sie hielt kurz an, öffnete die Tür, und Emil sprang – nicht schnell, aber freiwillig – hinaus.
Sie gingen ein paar Meter in den Wald hinein.
Zwischen Fichtennadeln und weichem Boden stand eine Holzbank.
Sie setzte sich.
Emil legte sich daneben.
Nicht aus Schwäche, sondern aus Nähe.
Er schob seine Schnauze in ihren Schoß.
Und sie sagte nur:
„Weißt du, ich war nie gut im Abschiednehmen.
Aber mit dir – da lerne ich das Loslassen in kleinen Stücken.“
Am Abend trug sie im Notizbuch ein:
Magnetfeldtherapie begonnen. Reagiert ruhig. Nächster Termin: 3. Dezember.
Darunter schrieb sie kleiner:
Danke, dass du kämpfst.
Sie stellte die Salbe für seine Gelenke neben ihre eigene.
Zwei Tuben.
Zwei Leben im selben Rhythmus.