Emil unter dem Apfelbaum | Er war alt, krank und vergessen – bis eine Frau ihm ein echtes Zuhause schenkte.

Teil 7 – Die Nacht mit dem Regen

Der Regen kam spät in der Nacht.
Nicht als leichter Niesel, sondern als stürmisches Trommeln auf das Blechdach über dem Flur.

Liselotte wurde davon wach.
Sie tastete im Dunkeln nach ihrer Strickjacke, schlüpfte in ihre Filzpantoffeln und ging in die Küche – instinktiv.
Dort lag Emil. Doch nicht wie sonst.

Er lag schräg.
Die Hinterläufe ausgestreckt, das Atmen unregelmäßig, die Augen halb geöffnet.

Kein Winseln, kein Bellen.
Nur ein schwerer Blick, der sagte: „Etwas stimmt nicht.“


Liselotte kniete sich neben ihn.
Die Knie schmerzten sofort, aber das war egal.

„Ganz ruhig, mein Großer“, flüsterte sie.
Sie legte eine Hand auf seinen Brustkorb, die andere auf seine Flanke.
Der Körper war warm. Zu warm.


Es war halb drei.
Sie wählte die Notrufnummer der Tierarztpraxis Vollmer.
Es dauerte.

Dann eine müde, aber klare Stimme: „Frau Meinhard? Ist was mit Emil?“
Liselotte flüsterte: „Er ist unruhig. Hechelt stark. Ich glaube, er hat Schmerzen.“
„Ich bin in 20 Minuten da.“


Während sie wartete, bereitete sie alles vor:
Eine Decke, eine kleine Lampe, eine Tasse Kamillentee – für sich und für die Ärztin.

Dann setzte sie sich einfach zu Emil auf den Boden.
Sie lehnte sich gegen den Ofen, zog die Decke über ihre Schultern, und streichelte seinen Kopf.

Es regnete immer noch.
Und draußen war nichts als Dunkelheit.

Aber drinnen – da war Licht.
Und Nähe.


Dr. Vollmer kam in Gummistiefeln, mit feuchtem Haar und einer kleinen Lampe in der Stirn.
Sie arbeitete ruhig, tastete Emil ab, maß Temperatur.

„Fieber. Vermutlich Reaktion auf die neuen Schmerzmittel. Wir wechseln die Dosis, geben was Beruhigendes.“
Sie bereitete eine kleine Spritze vor.
„Wird ihn etwas schläfrig machen.“

Liselotte saß still daneben.
Emil ließ alles geschehen.

Kein Zucken, kein Protest.
Als ob er wüsste: Diese Menschen meinen es gut.


Nach der Injektion dauerte es nur Minuten.
Sein Atem wurde tiefer, gleichmäßiger.

Er leckte sich über die Nase, drehte sich leicht zur Seite.
Dann – ganz langsam – legte er seinen Kopf auf Liselottes Oberschenkel.

Und schlief ein.
Nicht aus Schwäche.
Sondern weil jemand geblieben war.


Dr. Vollmer blieb noch eine halbe Stunde.
Sie schrieb einen neuen Medikamentenplan auf einen Zettel:

“Reduzierte Dosis. Flüssigkeitszufuhr kontrollieren. Wärme und Ruhe.”
Sie legte die Hand auf Liselottes Schulter.

„Ich denke nicht, dass es das Ende war. Aber es war ein Vorgeschmack.“
Liselotte nickte.
„Ich weiß.“


Als die Tür hinter der Tierärztin ins Schloss fiel, war es kurz ganz still.
Dann raschelte Emil im Halbschlaf.

Liselotte beugte sich zu ihm und sagte leise:
„Ich hab nicht viel. Kein Geld, kein Einfluss. Aber ich habe dich. Und ich bleib bei dir. Immer.“


Sie schlief auf dem Küchenboden ein.
Die Strickjacke als Kissen.

Der Hund als Wärmequelle.
Und der Regen – der klang in dieser Nacht nicht bedrohlich.
Sondern wie ein Lied, das nur für sie beide geschrieben war.

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