Emil unter dem Apfelbaum | Er war alt, krank und vergessen – bis eine Frau ihm ein echtes Zuhause schenkte.

Teil 10 – Die Dinge, die bleiben

Es war ein Mittwoch, als Liselotte den Apfelbaum blühen sah.

Ganz oben, ganz zart – ein einzelner weiß-rosa Kelch, geöffnet wie eine kleine Hand.

Sie blieb lange am Fenster stehen.

Emil lag hinter ihr, in seinem Bettchen, eingerollt, den Kopf auf dem Plüschbären.

Er schlief tief.

Und ruhig.

Am Nachmittag kam der Wind.

Ein sanfter, warmer Hauch, wie man ihn nur aus Kindheitserinnerungen kennt.

Liselotte trug Emil hinaus – ganz langsam, auf einer alten Wolldecke.

Sie legte ihn unter den Apfelbaum, auf die Bank, wie damals im Februar.

Er war leichter geworden.

Und sein Atem flacher.

Sie setzte sich neben ihn, hielt seine Pfote.

„Wenn du gehen willst“, sagte sie leise,

„dann weißt du, dass du nicht allein gehst.“

Er öffnete die Augen.

Nur einen Moment.

Und in diesem Moment lag alles: Erkennen. Frieden. Dank.

Dann schloss er sie wieder.

Und atmete aus.

Einmal.

Nicht mehr.

Sie saß lange still.

Nicht aus Schock.

Nicht aus Schmerz.

Sondern weil es sich richtig anfühlte.

Wie ein Abschied, der nicht das Ende war.

Nur das sanfte Zumachen einer Tür.

Zwei Tage später begrub sie ihn unter dem Apfelbaum.

Mit seinem Plüschbären, einem alten Wollschal von ihr und einer kleinen Dose Leckerli.

Sie legte Moos über die Erde, dann ein Holzkreuz.

Darauf stand in schnörkeliger Handschrift:

„Emil – Er kam spät, aber rechtzeitig.“

Im Frühling pflanzte sie Ringelblumen und Kamille auf das Grab.

Nicht ordentlich, nicht in Reih und Glied.

Sie sollten wachsen, wie sie wollten.

Denn so war Emil gewesen:

Frei.
Langsam.
Ehrlich.

Die Leute aus dem Dorf kamen manchmal vorbei.

Blieben stehen.

Stellten kleine Steine oder Blumen aufs Kreuz.

Einer schrieb in roter Kreide:

„Der beste Hund, den wir nie gehört, aber alle gespürt haben.“

Liselotte saß nun jeden Morgen auf der Bank unter dem Baum.

Allein, aber nicht verlassen.

Ihr Blick ging oft zur Erde.

Aber ihr Herz blieb warm.

Und wenn der Wind durch die Äste ging,
sagte sie manchmal:

„Ich weiß, dass du da bist.“
Und sie lächelte.
Nicht aus Trauer.
Sondern aus Dankbarkeit.

Denn manche Liebe bleibt.
Auch wenn die Pfoten längst keine Spuren mehr hinterlassen.

🕊 ENDE

Scroll to Top