Er sah aus wie ein Schläger doch sein Einkaufswagen rettete Weihnachten

Wenn du glaubst, die Szene an Kasse drei sei nur eine rührselige Weihnachtsanekdote, dann kennst du Frankfurt nicht. Denn was ich dort gesehen hatte, ließ sich nicht wegatmen, nicht wegtrinken, nicht wegarbeiten.

Zu Hause war es still, diese unfreundliche Stille einer Wohnung, in der niemand auf dich wartet. Ich hing den Mantel auf, ließ die Schlüssel in die Schale fallen und merkte, dass mir sein Händedruck noch in den Fingern saß wie ein Stempel. Rau, fest, warm und schwer.

In der Nacht drehte ich mich von einer Seite auf die andere. Immer wieder sah ich diese Plüschtiere vor mir, diesen absurden, bunten Berg mitten in einem Meer aus Stress. Und ich hörte seine Stimme, leise wie Kies: „Das ist mein Weihnachten.“

Am nächsten Morgen stand ich wieder im Büro, zwischen Glas, Chrom und dem nervösen Summen von Terminen. Draußen hing die Skyline im Wintergrau, und drinnen taten alle so, als wäre Dezember nur ein weiterer Monat, den man durchoptimieren kann. Ich öffnete Mails, schloss Mails, schrieb zwei Sätze und löschte sie wieder, weil mir plötzlich alles falsch vorkam.

In der Mittagspause fuhr ich mit dem Aufzug runter, als würde ich fliehen. Unten in der Lobby ging ich zur Bankfiliale und hob Bargeld ab, mehr als ich sonst je „einfach so“ abgehoben hatte. Es fühlte sich seltsam altmodisch an, aber auch ehrlich, als würde man etwas in der Hand halten, das nicht nach Ausrede klingt.

Danach lief ich in einen kleinen Laden, der nach Papier und Kindheit roch, und kaufte Dinge, die niemand in meinem Umfeld auf dem Zettel hatte.

Malbücher, dicke Stifte, Socken mit rutschfesten Noppen, Spiele, die man auch spielen kann, wenn man nicht viel Kraft hat. Und eine große Kiste Schokoriegel, weil ich an die Gesichter dachte, die Nacht für Nacht in Fluren sitzen und trotzdem funktionieren.

Am 23. Dezember war Frankfurt wieder Frankfurt. Die Menschen schoben sich durch die Straßen, als könnten sie sich Zeit kaufen, wenn sie nur schnell genug laufen. In den Fenstern blinkten Lichter, aber in den Augen sah ich vor allem Druck.

Ich fuhr nach der Arbeit noch einmal zum Discounter im Ostend, nicht weil ich etwas brauchte, sondern weil ich wissen wollte, ob das alles wirklich passiert war.

Morgen wäre Heiligabend, und jeder wusste, dass die Läden dann früh schließen. Der Gedanke, dass man „Frist“ sogar für Lebensmittel hat, passte perfekt zu dieser Stadt.

Drinnen war es grell wie immer, und die Schlange an Kasse drei war lang wie ein kleiner Protest. Ich stellte mich an, hielt meine Tüten fest und fühlte mich plötzlich fehl am Platz. Nicht wegen der Leute, sondern wegen mir selbst.

Dann sah ich ihn.

Er stand nicht an der Kasse, sondern am Rand, beim Regal mit den Müllsäcken. Neongelbe Warnweste, Arbeitshose, Stiefel mit getrocknetem Mörtel, und darüber kein roter Mantel, sondern ein alter, dunkler Parka. Er nahm die großen, stabilen Säcke, als wüsste er genau, welche halten und welche reißen.

Ich ging auf ihn zu, und mein Herz klopfte dabei viel zu laut für etwas so Einfaches. Als er mich bemerkte, veränderte sich sein Gesicht. Kein Misstrauen, eher dieses vorsichtige Abtasten, das Menschen haben, die gelernt haben, dass nicht jede Freundlichkeit bleibt.

„Na, junger Mann“, sagte er. „Schon wieder hier.“

„Ich wollte…“, begann ich, und merkte, wie peinlich das klingt, wenn man keine Übung hat. „Ich wollte Sie nicht suchen wie ein Fan. Ich wollte nur… nicht so tun, als wäre gestern nichts gewesen.“

Er musterte meine Tüten. „Sie sehen aus, als hätten Sie sich was vorgenommen.“

„Ich heiße übrigens…“, sagte ich und nannte meinen Namen. „Und ich habe gefragt, ob ich morgen mitkommen darf. Wenn das für Sie in Ordnung ist.“

Er schwieg einen Moment, als würde er in meinem Gesicht nach dem Haken suchen. Dann nickte er langsam, einmal, schwer.

„Ich heiße Jürgen“, sagte er. „Und ich sag’s gleich: Das ist kein schöner Ausflug. Das ist echt.“

„Genau deshalb“, antwortete ich.

Er griff in die Jackentasche und zog einen gefalteten Zettel heraus, abgegriffen, als hätte er ihn schon oft in der Hand gehabt. „Die Station weiß Bescheid“, sagte er ruhig. „Alles ist abgesprochen, alles offiziell. Ich gehe da nicht rein wie irgendein Spinner, der Aufmerksamkeit will.“

„Gut“, sagte ich schnell. „Genau so muss es sein.“

Jürgen nahm zwei Packungen Müllsäcke und legte sie in seinen Wagen. Dann sah er mich an, und ich spürte, dass jetzt der Teil kommt, der nicht nach Weihnachten klingt.

„Morgen früh“, sagte er. „Nicht mittags. Nicht später. Ich bin da, bevor die Stadt aufwacht. Wenn Sie das ernst meinen, stehen Sie um neun an der kleinen Schranke hinten, beim Lieferbereich. Ohne große Show.“

„Ich stehe da“, sagte ich. „Versprochen.“

Er nickte, als würde er Versprechen nicht mögen, weil sie so oft brechen. Dann hob er die Hand, und dieser kurze Händedruck war wieder da. Rau, fest, warm – und diesmal wie eine Einladung.

Am 24. Dezember wachte ich auf, bevor der Wecker klingelte. Draußen war es noch dunkel, und ein dünner Schnee lag auf den Autos wie Puder auf einer Wunde. Ich zog mich an, so schlicht wie möglich, als müsste ich mich unsichtbar machen, um nicht zu stören.

Als ich zur Klinik fuhr, war die Stadt leiser als sonst. Kein normales Frankfurt, sondern Frankfurt mit angezogener Handbremse. Ich parkte dort, wo Jürgen gesagt hatte, und sah die Schranke, den Lieferbereich, das nüchterne Hinterland eines Gebäudes, das vorn freundlich tut.

Jürgen war schon da.

Er lehnte an seinem alten Kombi, in Warnweste, und diesmal trug er den roten Mantel darüber. Er sah nicht aus wie ein Weihnachtsmann aus einem Kaufhaus, sondern wie jemand, der sich trotzdem den Mut überstreift, weil es für andere wichtig ist.

„Pünktlich“, sagte er.

„Ich wollte nicht riskieren, zu spät zu sein“, antwortete ich.

Er öffnete den Kofferraum. Blaue Säcke, ordentlich gestapelt. Dazwischen ein paar Kartons, sauber beschriftet. Ich sah, wie sorgfältig er das vorbereitet hatte, und schämte mich fast für meine improvisierten Tüten.

„Handschuhe“, sagte er und reichte mir Einmalhandschuhe, als wäre das eine Eintrittskarte. „Jacke zu, Hände bei uns, nichts anfassen, was nicht zu uns gehört. Und wenn ich sage, wir gehen, dann gehen wir.“

„Verstanden“, sagte ich.

Am Hintereingang wartete eine Frau in Weiß, die aussah, als hätte sie schon zu viele Feiertage zwischen Piepen und Formularen verbracht. Trotzdem lächelte sie, als sie Jürgen sah, und dieses Lächeln war nicht professionell. Es war menschlich.

„Da sind Sie ja wieder, Herr Jürgen“, sagte sie. „Wie jedes Jahr.“

„Wie jedes Jahr“, antwortete er. „Und das ist mein Helfer. Er bleibt bei mir.“

Sie musterte mich kurz, sachlich, ohne Kälte. Dann nickte sie. „Gut. Leise. Und nur da, wo ich Sie hinlasse.“

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