Er warf mich ohne Geld aus dem Auto und die blinde Frau neben mir lächelte

„Das ist… nicht möglich“, hörte ich mich sagen, obwohl ich längst begriffen hatte, dass „möglich“ und „unmöglich“ in Marcus’ Welt nur Wörter waren, die man passend zurechtbiegt.

Der ältere Beamte hielt das Blatt noch in der Hand, als wäre es etwas, das nicht diskutiert wird, sondern nur abgelegt.

„Frau Seidel“, sagte er ruhig, „hier steht, dass der Eigentumsübergang bereits vor zwei Wochen eingetragen wurde.“

„Eingetragen?“ Mein Kopf fühlte sich an, als würde er zu langsam denken. „Ich habe nichts unterschrieben. Ich war bei keinem Termin. Ich—“

Herr Kramer nahm mir das Papier behutsam ab, überflog es erneut und sagte leise: „Es wirkt wie eine sehr saubere Fälschung. Aber das muss ein Gutachten klären.“

Marcus’ Mundwinkel hoben sich. „Jetzt wird’s interessant.“ Seine Stimme blieb freundlich, als würde er ein Missverständnis auflösen. „Alles ist ordnungsgemäß. Wenn Katharina es später anders sieht, ist das bedauerlich, aber nicht mein Problem.“

Die junge Frau neben ihm – mit der Perle am Hals – rückte einen halben Schritt näher an ihn, ohne mich aus den Augen zu lassen. Sie sagte weiterhin nichts. Ihre Stille fühlte sich an wie ein Siegel.

„Ich will in meine Wohnung“, sagte ich. „Das ist mein Zuhause.“

„War“, korrigierte Marcus, fast sanft.

Der jüngere Beamte räusperte sich. „Wenn die Unterlagen so aussehen, wie sie aussehen, können wir hier nicht einfach die Tür öffnen. Wir müssen den Sachverhalt aufnehmen.“

„Und der Verdacht der Urkundenfälschung?“, fragte Kramer sofort.

„Dafür brauchen wir zunächst eine Anzeige und später Belege“, antwortete der ältere Beamte sachlich. „Dann geht es den normalen Weg.“

Normaler Weg.

Ich hätte fast gelacht, wenn mir nicht die Kehle zugeschnürt gewesen wäre.

Marcus zog die Mappe wieder an sich, als gehöre sie ihm. „Bitte machen wir das unkompliziert. Ich möchte nicht, dass es im Treppenhaus eskaliert.“

„Ich eskaliere nicht“, sagte ich. Ich versuchte, die Worte ruhig zu halten, obwohl mein Herz gegen die Rippen schlug.

Marcus sah mich an, als würde er mir helfen wollen. Und genau daran war es so schwer, nicht laut zu werden. Er machte aus mir etwas, das man beruhigen muss, und aus sich etwas, das nur ordnet.

„Wenn wir ohnehin Protokoll schreiben“, sagte er dann, und seine Stimme bekam diesen honigsüßen Ton, unter dem sich etwas Kaltes versteckt, „sollte noch etwas erwähnt werden.“

Mir wurde sofort heiß.

Er wandte sich an die Beamten. „Ich vermisse Geld. Eine größere Summe. Ich kann nicht ausschließen, dass Katharina sie mitgenommen hat. Heute Morgen war sie sehr aufgewühlt.“

„Was?“ Ich schnappte nach Luft. „Welches Geld?“

„Bitte“, sagte er leise. „Tu nicht so.“

Herr Kramer trat einen Schritt vor. „Das ist eine unbelegte Behauptung. Wenn Herr Seidel einen konkreten Verdacht hat, kann er Anzeige erstatten. Aber hier wird gerade versucht, die Situation zu vernebeln.“

Der jüngere Beamte hob die Hand. „Wir nehmen alles auf. Mehr können wir im Hausflur nicht tun.“

Ich spürte, wie die Worte in meinem Mund aufstauten. Jeder Satz konnte gegen mich wirken, weil er nach Streit klang, nach Drama, nach Kontrolle verloren.

„Ich habe nichts bei mir“, sagte ich schließlich, so sachlich wie möglich. „Ich hatte heute Morgen nicht einmal meine Tasche.“

Der ältere Beamte nickte. „In Ordnung. Dann machen wir Folgendes: Wir nehmen eine Anzeige auf, Sie schildern uns alles in Ruhe, und Ihr Anwalt kann die Unterlagen später einreichen. Hier vor Ort kommen wir nicht weiter.“

Das war kein Misstrauen. Es war eher das nüchterne: Hier fehlen uns Mittel, hier fehlen uns Nachweise, hier ist es zu eng.

„Wir gehen aufs Revier“, sagte der jüngere Beamte. „Dort ist es ruhiger.“

„Ich komme mit“, sagte Kramer.

Marcus nickte. „Selbstverständlich. Ich habe nichts zu verbergen.“

Die junge Frau griff in ihre Tasche, zog einen Schlüssel hervor und ging zur Wohnungstür. Ohne ein Wort steckte sie ihn in das neue Schloss.

Die Tür ging auf.

Ein Luftzug aus meiner Wohnung traf mich wie eine Erinnerung: Waschmittel, Holz, ein Hauch Kaffee. Der Geruch meiner Kindheit, meines Alltags. Und zugleich war es, als würde ich in etwas blicken, das mir nicht mehr gehört.

Die junge Frau ging hinein, als wäre sie eingeladen. Sie ließ die Tür einen Spalt offen, als wäre alles geklärt.

Marcus sah mich an und lächelte.

„Siehst du? Keine Gefahr. Alles ruhig.“

Die Beamten führten uns die Treppe hinunter. Draußen war es dunkel. Der Hof lag im Laternenlicht. Ich hörte meine Schritte auf dem Asphalt, als wären sie nicht meine.

Im Streifenwagen roch es nach Kunststoff und kalter Heizungsluft.

Auf dem Revier war es hell, zu hell. Neonlicht, das jede Müdigkeit sichtbar macht und jede Haut blasser.

Wir saßen an einem Tisch. Ein Protokoll wurde eröffnet. Fragen, die nach Ordnung klangen, aber sich anfühlten wie Nadeln.

„Wann haben Sie die Wohnung verkauft, Frau Seidel?“

„Ich habe sie nicht verkauft.“

„Haben Sie den Vertrag unterschrieben?“

„Nein.“

„Haben Sie Belege, dass Sie zur fraglichen Zeit nicht unterschrieben haben?“

„Wie soll man beweisen, dass man etwas nicht getan hat?“ Die Frage rutschte mir heraus, härter, als ich wollte.

Der Beamte blieb sachlich. „Ich verstehe. Deswegen gibt es später Gutachten und weitere Schritte. Heute geht es darum, Ihren Bericht aufzunehmen.“

Marcus saß ein paar Meter weiter, ruhig, geschniegelt, die Hände gefaltet. Er sah aus wie jemand, der Ordnung liebt. Die junge Frau war nicht mehr da. Vielleicht war sie in meiner Wohnung. Vielleicht in meiner Küche. Der Gedanke brannte.

Herr Kramer sprach präzise. Er benannte „Gutachten“, „Vergleich der Unterschrift“, „Originalunterlagen“, „Eintragungen“. Er achtete darauf, dass jedes Wort wie ein Baustein klingt.

Die Beamten hörten zu, machten Notizen, fragten nach, ohne Drama. Und dennoch war alles frustrierend, weil es so langsam wirkte. So offiziell. So… weit weg von dem Schmerz, den ich im Körper trug.

Irgendwann sagte der ältere Beamte: „Was Eigentumsfragen betrifft, wird das zivilrechtlich geklärt. Den Verdacht einer Fälschung nehmen wir auf. Die weiteren Schritte hängen von der Beweislage ab.“

Beweislage.

Wieder dieses Wort, das klingt, als müsste man nur ordentlich sortieren, dann fällt Wahrheit aus einem Ordner.

Als wir schließlich gehen durften, war es tiefe Nacht. Draußen war die Luft kalt. Ich fühlte mich, als hätte man mich stundenlang unter einer Lampe ausgestellt.

Herr Kramer führte mich zu seinem Auto. Erst als wir drin saßen und die Türen zu waren, sagte ich:

„Er hat das geplant.“

Kramer nickte langsam. „Ja. Und genau deshalb müssen wir ab jetzt Schritt für Schritt sauber bleiben.“

„Und jetzt?“ fragte ich.

„Jetzt zurück zu Frau von Eichen“, sagte er. „Sie brauchen Ruhe. Morgen sammeln wir, was wir brauchen.“

„Ruhe“, wiederholte ich. Das Wort passte nicht in mein Leben.

Als wir vor dem dunklen Zaun hielten, öffnete sich das Tor wie beim ersten Mal. Drinnen war es still. Zu still.

Esther öffnete uns. Ihr Gesicht blieb neutral, aber ihr Blick war kurz auf meinem verwischten Make-up, auf den Händen, die ich nicht richtig stillhalten konnte. Sie sagte nur:

„Bitte.“

Im Gästezimmer setzte ich mich aufs Bett und starrte auf den Boden, bis die Muster im Teppich sich bewegten.

Eine Stunde später klopfte Esther an. „Frau von Eichen erwartet Sie.“

Ich ging den Flur entlang. Alles war geordnet. Türen geschlossen. Kein Geräusch außer meinen Schritten.

Im Wohnzimmer saß Frau von Eichen in ihrem Sessel, als wäre sie nie aufgestanden. Auf dem Tisch stand ein Glas Wasser. Keine Decke, keine Geste, die Trost spielen will.

Nur ihr Blick.

„Nun?“ fragte sie.

Das Wort war klein, aber schwer.

Ich blieb stehen, weil ich Angst hatte, dass ich, wenn ich mich setze, in Stücke gehe.

„Er hat die Schlösser gewechselt“, sagte ich. „Er hat Papiere. Einen Vertrag. Mit meiner Unterschrift. Alles wirkt… offiziell.“

„Natürlich“, sagte sie, als hätte ich ihr erzählt, dass es draußen kalt ist.

„Und… es ist alles so langsam“, fuhr ich fort. „Man braucht Belege, Gutachten, Zeit.“

Frau von Eichen lehnte sich zurück. Ihre Augen waren ruhig.

„Und?“ fragte sie.

Das traf mich wie eine Ohrfeige.

„Und?“ wiederholte ich. „Was meinen Sie damit?“

Sie stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus in den dunklen Garten, der eher wie eine Kulisse wirkte als wie Natur.

„Ich meine“, sagte sie langsam, „ob Sie jetzt verstanden haben, dass Sie nicht in einem Streit stecken.“

Sie drehte sich zu mir um.

„Sie sind in einem Plan“, sagte sie. „Und heute haben Sie ihn zum ersten Mal gesehen.“

In mir stieg etwas auf. Nicht Heulen, nicht Zittern. Eine kalte, klare Wut.

„Er will mich nicht nur loswerden“, sagte ich leise. „Er will, dass ich dabei klein aussehe. Dass ich mich selbst bezweifle.“

Ein kaum merklicher Anflug von Zufriedenheit glitt über ihr Gesicht.

„Gut“, sagte sie. „Das ist der Punkt.“

„Was soll ich jetzt tun?“ fragte ich.

Und diesmal war in meiner Stimme kein Flehen mehr. Nur ein leerer, harter Platz, der gefüllt werden wollte.

Frau von Eichen trat näher. Ihre Stimme war leise, aber scharf wie eine Klinge.

„Jetzt“, sagte sie, „beginnen Sie zu kämpfen.“

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