Falke Eins und das Signal aus der Tiefe: Eine Rückkehr zwischen Himmel und Gewissen

Der Raum fühlte sich plötzlich kleiner an, als hätte die Luft beschlossen, enger zu werden. FALKE EINS ERKANNT. KANAL GEÖFFNET. Die Buchstaben standen still auf dem Bildschirm, aber in ihnen lag Bewegung – nicht sichtbar, nur spürbar. So, wie man einen Sturm riecht, bevor die Wolken ihn zeigen.

Lena kam zurück, atemlos. In der Hand hielt sie ein loses Kabel, als wäre es eine Art Trophäe. „Ich habe den Hauptanschluss getrennt“, sagte sie. „Alles, was nicht unbedingt laufen muss, ist offline. Aber…“ Sie deutete auf den Bildschirm. „Das da kommt nicht aus unserem Netz. Es kommt von außen. Und es findet uns trotzdem.“

Der Mann im Mantel presste die Lippen zusammen. „Dann ist es nicht nur ein Versuch. Es ist eine Bestätigung.“

Falke Eins stand noch immer. Sie ging zum Bildschirm, langsam, als wollte sie ihm nicht den Gefallen tun, Angst zu zeigen. Sie starrte auf die Zeile und fragte ruhig: „Kann man antworten?“

Lena zögerte. „Technisch ja. Aber…“

„Aber wir wissen nicht, wer zuhört“, ergänzte der Mann.

„Genau“, sagte Lena. „Und was noch schlimmer ist: Wir wissen nicht, ob es überhaupt jemand ist.“

Falke Eins legte die Hand an den Rand des Bildschirms, als würde sie prüfen, ob er warm ist. Er war kalt. „Dann ist es wie früher“, murmelte sie. „Nur dass früher wenigstens Menschen Fehler gemacht haben.“

Der Mann im Mantel öffnete die Mappe erneut und schob eine Seite nach vorn. „Es gibt eine Entscheidung“, sagte er. „Wir können das hier als digitale Drohung behandeln und alles versiegeln. Oder wir können akzeptieren, dass es längst offen ist.“

„Und wenn wir es offen lassen?“ fragte Falke Eins.

Lena antwortete: „Dann führt es uns.“

„Oder es führt uns in eine Falle“, sagte der Mann.

Falke Eins atmete durch die Nase ein, langsam. „Ich bin mein Leben lang in Fallen geflogen“, sagte sie. „Man erkennt sie nicht am Draht. Man erkennt sie an dem Moment, in dem alles zu perfekt ist.“

Sie tippte mit dem Finger auf den roten Punkt auf der Karte, der vorhin noch da gewesen war. „Was haben Sie dort draußen wirklich?“ fragte sie.

Der Mann im Mantel sah Lena an. Lena nickte, als wäre das ein stilles Okay. Dann sagte er: „Wir haben schwache Signaturen. Nicht genug für eine Schlagzeile, genug für eine Operation. Und wir haben – dank Ihnen – eine Reaktion. Wir wissen jetzt: Der Punkt ist nicht tot.“

„Wie weit weg?“ fragte Falke Eins.

Lena blätterte auf ihrem Tablet, auch wenn vieles offline war. „Mit einem Flugzeug: wenige Stunden. Mit einem Schiff: länger. Aber es gibt eine… kleinere Option.“

Der Mann im Mantel hob die Augenbrauen. „Sie meinen die Küstenstation.“

Lena nickte. „Eine Anlage an der Nordsee. Nicht groß, nicht auffällig. Offiziell ein Forschungsstandort, inoffiziell…“ Sie ließ den Satz offen.

Falke Eins verstand auch das Offene. Das war in ihrer alten Welt immer das Gefährlichste gewesen: das, was man nicht aussprach.

„Dann fahren wir dorthin“, sagte sie.

Der Mann im Mantel stellte sich ihr in den Weg, nicht körperlich, mehr als Haltung. „Sie entscheiden das nicht allein.“

Falke Eins sah ihn an, und ihr Blick war wie ein klarer Schnitt. „Doch“, sagte sie. „Weil Sie mich sonst nicht hierhergebracht hätten.“

Lena trat einen Schritt näher. „Wenn Sie gehen“, sagte sie vorsichtig, „dann nicht als Einzelgängerin. Sie bekommen ein Team. Leute, die wissen, wie man ohne Spuren arbeitet. Und Sie bekommen jemanden für die moralische Seite.“

Falke Eins zog eine Braue hoch. „Moralische Seite?“

„Ja“, sagte Lena. „Damit wir uns nicht einreden, dass alles erlaubt ist, nur weil es Angst macht.“

Der Mann im Mantel griff nach seinem Telefon, zögerte, als hätte er vergessen, dass Funk nicht vertrauenswürdig ist. Dann steckte er es weg. „Wir bewegen uns jetzt analog“, sagte er. „Papier. Kabel. Menschen.“

Eine halbe Stunde später saßen sie in einem anderen Fahrzeug, ohne Blaulicht, ohne Kennzeichen, das auffiel. Draußen war es bereits Abend geworden. Die Stadtlichter verschwammen in Regen, der leise gegen die Scheiben tickte.

Falke Eins schaute aus dem Fenster, aber sie sah nicht die Straße. Sie sah Startbahnen, die nach Kerosin rochen. Sie sah Namen, die man nicht mehr ruft. Sie sah einen Himmel, der früher ihre Heimat gewesen war, und der jetzt wie ein Zeuge über ihr hing.

„Wie heißt die Nordsee-Anlage offiziell?“ fragte sie schließlich.

Lena antwortete: „Küsteninstitut Morgenstern.“

Falke Eins schnaubte leise. „Morgenstern. Wie poetisch.“

Der Mann im Mantel sagte: „Poetische Namen sind praktisch. Sie machen Dinge harmlos.“

Als sie Stunden später ankamen, war es fast Nacht. Das Gelände lag hinter Dünen, graue Gebäude, flach, mit wenigen Lampen. Der Wind roch nach Salz und Tang, und er hatte diese harte Kälte, die nichts romantisch macht.

Sie wurden nicht am Eingang begrüßt. Niemand winkte. Kein Empfang. Nur eine Tür, die sich nach einem kurzen Blick in eine Kamera öffnete.

Drinnen war es warm, aber nicht gemütlich. Flure, Neonlicht, Schritte, die hallen. Ein Mann wartete in einem kleinen Besprechungsraum. Er war älter, vielleicht Ende sechzig, die Haare weiß, aber die Augen so wach, als hätte er nie aufgehört, zu rechnen. Er stand auf, als Falke Eins eintrat, und für einen Moment war in seinem Gesicht etwas, das fast wie Erkennen aussah.

„Sie sind wirklich gekommen“, sagte er.

„Sie kennen mich?“ fragte Falke Eins.

„Ich kenne Ihre Stimme“, antwortete er. „Und Ihre Akte. Auch wenn man mir gesagt hat, dass es sie nicht gibt.“

Lena stellte ihn vor: „Dr. Hartwig. Leiter der Station.“

Falke Eins setzte sich nicht. „Was haben Sie hier?“

Dr. Hartwig deutete auf einen Monitor an der Wand. Darauf: Karten, Strömungen, Temperaturverläufe. Und unter all dem: ein Signaldiagramm, das wie ein Herzschlag aussah – unregelmäßig, aber lebendig.

„Das“, sagte er, „läuft seit heute Mittag. Früher hatten wir nur Rauschen. Dann haben wir Ihren Funkkontakt registriert

und das Rauschen hat sich organisiert.“

„Organisiert“, wiederholte Falke Eins. „Wie ein Tier, das wach wird.“

Hartwig nickte langsam. „Oder wie ein System, das erkennt, dass sein Schlüssel zurück ist.“

Der Mann im Mantel fragte: „Können wir den Ursprung genauer fassen?“

Hartwig öffnete eine Schublade und holte einen Ausdruck heraus. Papier, echte Tinte. „Hier“, sagte er. „Wir haben die Strömungen eingerechnet. Und die Reflexionen. Wir sind ziemlich sicher: Das Signal kommt nicht von der Oberfläche. Es kommt von unter der Oberfläche. Und es bewegt sich.“

Lena schluckte. „Bewegt sich?“

„Nicht schnell“, sagte Hartwig. „Aber es verändert seine Position. Als würde etwas dort unten… reagieren.“

Falke Eins spürte, wie ihr Magen sich verkrampfte. „Dann ist es kein Wrack“, sagte sie. „Wracks bewegen sich nicht.“

Hartwig sah sie an, als wäre er froh, dass sie es ausspricht. „Genau.“

Ein weiterer Mann trat in den Raum, jünger, breite Schultern, ruhige Bewegungen. Er legte ein altes Funkgerät auf den Tisch. Kein modernes Display, nur Knöpfe, Kratzer, Metall.

„Das ist unsere sichere Verbindung“, sagte Hartwig. „Kurzstrecke. Kabelgebunden. Keine Funkwellen, die man aus der Ferne abgreifen kann.“

Der Mann im Mantel fragte: „Und Sie glauben, das reicht?“

Hartwig antwortete: „Für Menschen ja. Für das, was da draußen ist… weiß ich es nicht.“

Falke Eins nahm das Funkgerät in die Hand. Es war schwer. Echt. Nicht virtuell. Sie mochte das Gewicht. Es erinnerte sie daran, dass man Dinge anfassen kann und dass man sie notfalls auch fallen lassen kann.

„Was ist Ihr Plan?“ fragte sie.

Hartwig schaltete den Monitor um. Ein Bild erschien: dunkles Wasser, aufgenommen von einer Kamera, das Licht einer Sonde, und für einen kurzen Moment etwas Metallisches, das im Schein aufblitzte.

„Wir schicken eine Sonde runter“, sagte er. „Nicht groß. Nicht militärisch. Unauffällig. Sie soll nur sehen. Nur bestätigen.“

„Und wenn es zurückspricht?“ fragte Lena leise.

Hartwig schwieg. Dann sagte er: „Dann müssen wir entscheiden, ob wir zuhören.“

Falke Eins stellte das Funkgerät auf den Tisch. „Nein“, sagte sie ruhig.

Alle blickten zu ihr.

„Wenn es zurückspricht“, wiederholte sie, „dann hören wir nicht nur zu. Dann antworten wir – mit einem Schritt. Und ich will nicht, dass der erste Schritt wieder blind ist.“

Der Mann im Mantel fragte: „Was schlagen Sie vor?“

Falke Eins sah auf den Monitor, auf das dunkle Wasser, auf das kurze Aufblitzen von Metall. Sie hörte in ihrem Kopf wieder die gebrochene Stimme von vorhin: geh nicht allein…

„Ich schlage vor“, sagte sie, „dass wir zuerst herausfinden, wer uns heute den Recorder geschickt hat. Denn wenn jemand diese Stimme hat… dann ist jemand näher, als wir glauben.“

In diesem Moment knackte das alte Funkgerät, obwohl niemand es berührt hatte.

Ein leises Knistern. Dann eine einzelne, klare Silbe, wie ein Atemzug durch Metall:

„Falke…“

Falke Eins erstarrte.

Hartwig flüsterte: „Das ist unmöglich. Das Gerät ist nicht im Netz.“

Lena ging einen Schritt zurück. Der Mann im Mantel zog instinktiv die Hand in seine Jacke, als könnte er dort eine Antwort finden.

Und Falke Eins – die Frau, die vor Stunden noch in Reihe 14 am Fenster gesessen hatte – legte langsam ihre Finger auf das Funkgerät und sagte, so ruhig, dass es den Raum einfrieren ließ:

„Ich höre.“

Das Knistern wurde stärker.

Dann kam die Stimme wieder, brüchig, menschlich, und doch so fern, als käme sie durch Wasser und Jahre:

„…nicht… öffnen…“

Und dann war nur noch Rauschen.

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