Fellnasen und Flügeltröster | Ein kranker Hund, ein stummer Vogel und eine Ziege – was sie verband, rührt zu Tränen

Teil 7: Solange du mich ansiehst

In der ersten Nacht schlief der Welpe in einem alten Wäschekorb.

Hedi hatte ihn mit einer Decke ausgelegt, die noch nach Kamille roch. Das Körbchen stand neben dem Sessel im Wohnzimmer, wo Bella früher gelegen hatte. Ein Platz mit Geschichte. Ein Platz mit Gewicht.

Der Welpe – noch namenlos – war lange unruhig gewesen. Er drehte sich im Kreis, winselte, kratzte an den Rändern. Dann, irgendwann nach Mitternacht, war er einfach umgefallen wie ein Stein. Seitdem rührte er sich nicht.

Hedi saß daneben. Dämmernd. Die Füße in Wolllatschen, den Blick auf das kleine, schlafende Tier gerichtet. Sie hatte ein Buch auf dem Schoß, aufgeschlagen, aber nicht gelesen.

Lukas kam gegen halb zwei die Treppe hinunter. Er sah sie, sagte nichts, setzte sich einfach daneben.

„Warum schläfst du nicht?“, fragte Hedi leise.

„Ich dachte, du brauchst vielleicht Gesellschaft.“

Sie nickte.
„Er sieht so klein aus, wenn er schläft.“

„Er ist auch klein.“

„Zu klein für all das hier.“

Lukas legte die Hände in den Schoß.

„Ich hab gestern von Bella geträumt“, sagte er. „Sie stand am See. Hat nicht gebellt. Nur gewartet.“

„Worauf?“

„Auf mich. Und dann ist sie einfach ins Wasser gegangen. Ganz ruhig.“

Hedi schwieg lange. Dann sagte sie:

„Vielleicht war das ihre Art zu sagen, dass du bleiben sollst.“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

„Was?“

„Bleiben.“

Sie sah ihn an. Ihre Stimme blieb ruhig.

„Warum nicht?“

Er zögerte. Dann sagte er:

„Weil ich Angst hab, dass ich wieder gehe.“

Am nächsten Morgen war der Himmel blau.

Ein seltener, makelloser Frühlingstag. Die Wiese dampfte leicht in der Morgensonne. Emil sang. Frida rupfte Gras. Und der Welpe saß – vorsichtig, mit großen Augen – am Terrassentürrahmen und sah hinaus.

Er hatte noch keinen Namen. Und vielleicht war das auch gut so. Namen banden. Und Hedi war noch nicht bereit, sich wieder zu binden. Nicht ganz.

Doch sie sprach mit ihm.
Sanft. Fragend. Ohne Forderung.

„Was willst du sein? Ein Mutiger? Ein Lauscher? Oder nur ein Mitläufer?“

Er antwortete nicht. Aber er wedelte – zaghaft, als hätte er das bei irgendwem gesehen und übe es nun heimlich.

Hedi lachte.

Im Dorf sprach man wieder über sie.

Frau Meiners mit dem Garten, der Ziege, dem Vogel und – jetzt – einem Welpen.

Der Metzger fragte: „Ist das wieder so ein Tierschutzfall?“
Die Bäckerin sagte: „Ich glaub, sie braucht das.“

Lukas bekam es mit, als er Brötchen holte.
Er sagte nichts. Doch es nagte in ihm.

Er wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte – dass man über Hedi sprach, oder dass sie selbst nichts mehr darüber zu sagen schien.

Später, am Nachmittag, arbeitete sie im Garten. Der Welpe tapste hinter ihr her, stolperte über Wurzeln, fiel fast in den Kompost. Frida beobachtete alles von der Seite. Emil sang. Das Haus lebte wieder.

Und doch spürte Lukas, dass etwas fehlte. Etwas war zwischen ihnen – nicht böse, nicht unausgesprochen, sondern einfach da.

Ein Zwischenraum.

Er wartete, bis Hedi den Rechen beiseitelegte, dann trat er zu ihr.

„Ich fahre morgen. Nur für ein paar Tage.“

Sie richtete sich langsam auf.

„Wo willst du hin?“

„Nach Hamburg. Ein alter Freund braucht Hilfe mit einem Projekt.“

Sie schwieg. Dann nickte sie.

„Also gehst du.“

„Ich komme zurück.“

„Sag das nicht, wenn du’s nicht weißt.“

„Ich weiß es nicht. Aber ich will’s.“

Der Welpe saß unter der Bank und kaute auf einem abgeworfenen Handschuh.
Frida stand reglos. Der Wind drehte. Emil verstummte.

„Weißt du“, sagte Hedi, „du hast es in der Hand. Was du daraus machst – aus dem Verlust, aus dem Wiedersehen, aus dem Tier hier.“

„Ich weiß.“

„Ich bin alt genug, um allein zu leben. Aber nicht, um alles nochmal zu verlieren.“

Er sagte nichts.

Dann trat er vor sie hin, und zum ersten Mal seit vielen Tagen sah sie: In seinem Blick war etwas anderes. Etwas, das nicht mehr fortlaufen wollte.

„Ich komme zurück“, sagte er. „Nicht, weil ich muss. Weil ich will.“

Sie nickte.
„Dann nimm dir die Zeit. Aber lass den Platz hier nicht leer.“

Er sah zum Welpen.

„Ich geb ihm einen Namen, wenn ich wieder da bin.“

„Bis dahin nennen wir ihn einfach: du.“

Am Abend schrieben sie gemeinsam eine Liste.

Futter, Impfung, Tierarzttermin. Spazierwege. Dinge, die man nicht vergisst. Dinge, die man braucht, um sich verantwortlich zu fühlen.

Der Welpe schlief unter dem Tisch.

Hedi legte einen Zettel in den Flur: „Vorsicht, Leben beginnt gerade.“

Und dann – spät – als das Haus dunkel war, schrieb sie in ihr Notizbuch:

„Tag 1 mit dem neuen Herz. Noch ohne Namen. Aber mit Blick.“

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