Fenster zum Hof | Ein alter Mann, ein stummer Hund und das stille Versprechen am Ende des Hofs

🐾 Teil 4: Regen in der Nacht

Der Himmel war grau gewesen den ganzen Tag über.
Nicht das sanfte Grau des Winters, sondern ein schweres, drückendes Grau, das über den Dächern hing wie nasse Decken.
Georg spürte es in den Knien, im Rücken, in der Schulter, wo der alte Bruch vom Sturz auf der Baustelle sich immer zuerst meldete, wenn etwas im Anmarsch war.

Er hatte zwei Tassen Kaffee gebraucht, um überhaupt wach zu werden.
Basko war nicht erschienen.

Das Fenster gegenüber blieb dunkel.
Kein Licht, kein Schatten.
Nur Regen, der langsam einsetzte wie das Ticken einer alten Uhr.

Gegen Nachmittag klopfte Clara kurz an.
Sie hatte einen dicken Regenmantel an und eine kleine Einkaufstüte dabei.
„Ich lasse nur schnell etwas Futter da“, sagte sie.
„Ich muss gleich weiter – meine Tante hat heute einen schlechten Tag.“

Georg fragte nicht weiter.
Er lächelte nur und hielt ihr die Tür auf.
Basko stand träge im Flur, ließ sich streicheln und verzog sich dann wieder auf seine Decke.

Am Abend begann es richtig zu regnen.
Nicht dieser harmlose Niesel, den man kaum bemerkt.
Nein, der Wind war aufgekommen, peitschte Tropfen gegen die Fensterscheiben, als wolle er sich Gehör verschaffen.

Georg zog die Gardinen zu, aber das Geräusch blieb.
Es war ein Prasseln, das sich ins Gemüt fraß.

Gegen Mitternacht konnte er nicht mehr schlafen.
Er stand auf, trat ans Fenster und zog vorsichtig den Stoff zur Seite.

Das Fenster gegenüber war dunkel.
Selbst in der tiefsten Nacht hatte dort früher ein schwacher Schein geleuchtet.
Eine Lampe im Flur, eine Steckdose, irgendetwas.

Jetzt nichts.

Kein Basko.
Keine Bewegung.
Kein Laut.

Georg zog sich die Hausschuhe an, ging durch die Wohnung, goss sich ein Glas Wasser ein.
Er versuchte zu lesen, aber die Worte verschwammen vor seinen Augen.

Er setzte sich wieder ans Fenster.
Wartete.

Gegen drei Uhr morgens kam der Blitz.
Kein Donner, nur Licht.
Hell, grell, für einen winzigen Moment.

Und in diesem Moment sah Georg etwas.
Das Fensterbrett war leer.
Aber direkt über dem Rahmen fehlte ein Stück Dachziegel.
Eine schwarze Lücke.

Wasser lief an der Hauswand entlang.
Mehr als üblich.

Etwas stimmte nicht.

Er blieb bis zum Morgengrauen wach.
Der Regen ließ erst gegen fünf Uhr nach.
Ein schmutziger Nebel kroch durch den Hof, hüllte alles in Dunst.

Basko war nicht zurückgekehrt.

Clara kam nicht.
Auch nicht am Vormittag.

Georg trat ans Fenster.
Er lehnte sich ein Stück hinaus, um das Dach besser zu sehen.

Da war es: ein ganzer Teil der Dachkante war abgerutscht.
Holz splitterte aus dem Gebälk, das Fenster darüber war gesprungen.

Und Basko?

Kein Zeichen.
Keine Bewegung hinter dem Glas.

Georg ging im Zimmer auf und ab.
Er redete leise mit sich selbst.
Was, wenn etwas passiert war?
Was, wenn Clara ihre Tante nicht verlassen konnte?
Was, wenn der Hund verletzt war?

Er überlegte, zur Straße zu gehen und bei dem Haus zu klingeln.
Aber würde ihn jemand reinlassen?
War es überhaupt noch sicher dort?

Gegen Mittag hielt er es nicht mehr aus.
Er zog sich Mantel und Mütze an, nahm seinen alten Regenschirm, den er seit Jahren nicht benutzt hatte, und verließ die Wohnung.

Der Hof war voller Wasserlachen.
Seine Schritte klatschten durch das feuchte Pflaster.

Er stellte sich vor die Tür gegenüber und klopfte.
Zunächst nichts.
Dann klopfte er lauter.

Er hörte ein leises Knacken hinter der Tür.
Dann wieder Stille.

Er drückte die Klinke.
Abgeschlossen.

Er klopfte noch einmal.
Dann hob er den Kopf und rief:
„Hallo? Ist jemand da? Ist alles in Ordnung?“

Keine Antwort.

Er sah zum Fenster hoch.
Die Scheibe war beschlagen.
Im unteren Bereich ein dünner Rinnsal, Wasser oder Kondensat, er konnte es nicht sagen.

Er trat einen Schritt zurück.
Dann noch einen.

Und da sah er es.

Auf der Fensterbank, zwischen einem Blumentopf und einer Schale, lag etwas.
Ein Tuch.
Und darunter – eine Pfote.

Nur ein Teil.
Still.

Basko.

Er konnte es nicht genau sehen, aber sein Herz wusste es.
Der Hund war dort.
Reglos.

Georgs Hände zitterten.
Er klopfte noch einmal.
Nichts.

Dann erinnerte er sich.
Clara hatte gesagt, sie käme manchmal erst spät.
Vielleicht war sie nicht da.

Vielleicht war Basko allein.

Er ging zurück.
Setzte sich ans eigene Fenster.

Von dort sah alles aus wie immer.
Still, ruhig, als wäre nichts geschehen.

Aber in ihm war alles anders.

Er saß lange da.
Die Uhr tickte, die Heizung rauschte.
Doch der Hof blieb leer.

Keine Clara.
Kein Basko.

Nur Regen, der langsam, fast schüchtern, wieder einsetzte.


Am nächsten Morgen war das Fenster leer – so leer, dass es wehtat.

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