🐾 Teil 5: Der Entschluss
Der Tag begann mit einem Schweigen, das schwerer war als sonst.
Kein Laut kam von draußen.
Kein Winseln, kein Pfotenkratzen, kein Kratzen am Fensterbrett.
Georg saß in seinem Sessel und starrte auf das Fenster gegenüber.
Es war leer.
Keine Bewegung hinter dem Glas, kein Schatten.
Nur das matte Licht eines grauen Morgens, der sich nicht entscheiden konnte, ob er Tag oder Nacht sein wollte.
Er hatte kaum geschlafen.
Immer wieder war er aufgestanden, hatte sich ans Fenster gesetzt, war aufgestanden, hatte sich wieder gesetzt.
Und jedes Mal hatte er gehofft, Basko würde da liegen.
Ein Ohr zuckte, ein Auge öffnete sich.
Aber es war nichts.
Die Stille war diesmal anders.
Nicht friedlich.
Sondern falsch.
Gegen halb zehn erhob sich Georg.
Langsam, mit den Händen auf den Knien, wie jemand, der einen langen Weg vor sich hat, auch wenn es nur ein paar Schritte sind.
Er zog seine warme Jacke an.
Die Knöpfe wollten nicht recht durch die Löcher passen, die Finger gehorchten nicht sofort.
Er setzte die Mütze auf, griff nach dem Schlüsselbund und öffnete die Tür.
Der Hof lag still da, übersät mit kleinen Pfützen vom nächtlichen Regen.
An den Dachrinnen hingen dünne Eiszapfen.
Ein Vogel hüpfte durch das nasse Laub, dann flog er auf und verschwand.
Georg atmete tief ein.
Die Luft roch nach Erde, nach feuchtem Holz, nach Metall.
Er ging langsam über das Pflaster.
Jeder Schritt hallte in der Leere wider.
Vor der Tür des Hauses gegenüber blieb er stehen.
Altes Holz, abgesplittert an den Kanten.
Eine Klingel mit einem verwitterten Namensschild: „Schindler“.
Der Name sagte ihm nichts.
Er drückte.
Kein Ton.
Er klopfte.
Einmal, zweimal, dreimal.
Nur das dumpfe Geräusch seiner Hand gegen das Holz.
Er wartete.
Nichts.
Dann legte er die Hand an die Klinke.
Sie war kalt.
Und – beweglich.
Die Tür war nicht abgeschlossen.
Zögernd öffnete er sie.
Ein kalter Luftzug schlug ihm entgegen.
Es roch modrig, wie in einem alten Keller.
Feuchtigkeit.
Etwas wie Schimmel.
Und darunter – ein anderer Geruch.
Er trat ein.
Der Flur war dunkel, nur ein schwacher Lichtschein fiel durch ein Fenster am Ende.
Links eine schmale Treppe nach oben, rechts eine alte Garderobe mit abgerissenen Haken.
Dann hörte er es.
Ein Laut.
Tief, kaum hörbar.
Ein Wimmern.
Er hielt den Atem an.
Horchte.
Noch einmal.
Ein kehliges, brüchiges Geräusch.
Er folgte dem Ton.
An der linken Wand führte ein schmaler Gang weiter.
Am Ende – eine Tür, halb geöffnet.
Und davor – ein dunkler Schatten.
Basko.
Der Hund lag seitlich, die Hinterläufe verdreht unter dem Körper.
Ein Teil des Putzes war von der Decke gefallen, ein alter Stuhl lag daneben.
Georg ging in die Knie.
„Basko“, flüsterte er.
Der Hund öffnete die Augen.
Langsam.
Georg legte eine Hand auf das Fell.
Kalt.
Feucht.
„Ist schon gut. Ich bin da.“
Er sah sich um.
Niemand.
Keine Clara, keine Geräusche von oben.
Das Haus schien leer.
Er tastete vorsichtig Basko ab.
Die rechte Hinterpfote war geschwollen.
Der Hund zuckte, aber bellte nicht.
„Wir kriegen dich hier raus.“
Georg stand mühsam auf, suchte im Flur nach etwas Brauchbarem.
Ein alter Teppich lag zusammengerollt in der Ecke.
Er zog ihn heran, breitete ihn neben Basko aus.
„Ich kann dich nicht tragen, mein Freund. Aber vielleicht schieben.“
Er legte den Hund vorsichtig auf den Teppich.
Basko ließ es zu.
Zentimeter für Zentimeter zog Georg den Teppich durch den Gang.
Er schnaufte, machte Pause, stützte sich an der Wand.
Sein Rücken brannte.
Sein Bein zitterte.
Aber er hörte nicht auf.
Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis er den Flur zurückgelegt hatte.
Vor der Tür hielt er inne.
Öffnete sie mit der Schulter, zog den Teppich vorsichtig hinaus.
Die kalte Luft traf sie beide.
Georg setzte sich neben den Hund, holte tief Luft.
Er griff nach seinem Handy.
Ein einziger Balken Empfang.
Er rief die Tierklinik an.
Er erklärte, wo sie waren.
Er sagte, es sei dringend, aber kein Notfall.
„Nur ein alter Hund, der Hilfe braucht.“
Sie versprachen, jemanden zu schicken.
In einer Stunde.
Georg blieb bei Basko sitzen.
Sein Mantel war feucht, seine Hände rot vor Kälte.
Aber er spürte nichts davon.
Er legte eine Hand auf das Fell.
„Ich wusste, dass du noch da bist.“
Der Hund atmete ruhig.
In der Ferne hörte man eine Kirchenglocke.
Mittag.
Georg sah hinauf zum Fenster, aus dem Basko sonst geschaut hatte.
Ein leerer Rahmen.
Aber im Hof, auf dem Pflaster, da lag etwas Wertvolleres:
Leben.
Und während der Himmel sich lichtete, ahnte Georg nicht, dass dies erst der Anfang war.