🐾 Teil 6: Der Hilferuf
Georg saß auf dem kalten Pflaster des Hofes.
Der Regen hatte sich verzogen, nur noch vereinzelte Tropfen perlten von den Dachrinnen.
Basko lag neben ihm auf dem alten Teppich, eingewickelt in Georgs Mantel.
Die alte Decke aus der Wohnung hatte er noch geholt, kurz bevor das Telefonat endete.
„Eine Stunde“, hatte die junge Frau gesagt.
Vielleicht mehr, wenn der Verkehr schlecht sei.
Georg blickte zum Himmel.
Die Wolken hatten sich geöffnet, ein heller Streifen zog sich über das Grau.
Fast sah es aus wie Hoffnung.
Er rutschte näher an Basko.
Der Hund atmete ruhig, aber schwer.
Seine Augen waren halb geschlossen, doch wenn Georg sprach, zuckte ein Ohr.
„Weißt du“, begann Georg leise, „ich hatte früher auch einen Hund. Max. Ein kleiner, frecher Kerl. Hat immer versucht, auf den Küchentisch zu springen.“
Er lächelte.
„Lotte hat ihn vergöttert. Jeden Morgen bekam er zuerst das Frühstück, dann ich.“
Basko bewegte leicht den Kopf, als würde er zuhören.
Georg legte ihm eine Hand auf den Hals, fuhr sanft durchs Fell.
Es war das erste Mal, dass er ihn so berührte.
Nicht durch Glas, nicht mit Abstand.
Direkt.
Das Fell war rau, stellenweise verfilzt, doch darunter war Wärme.
Leben.
„Ich hab nie gedacht, dass ich noch einmal jemanden finden würde, der so ruhig sein kann. Der nichts sagt und trotzdem alles versteht.“
Er ließ die Hand liegen.
Der Hund schloss die Augen.
Georg lehnte sich zurück gegen die Mauer.
Die Kälte zog durch den Mantel, aber er achtete nicht darauf.
Er war nicht müde, sondern wach in einer Art, die er lange nicht mehr gekannt hatte.
Seine Gedanken wanderten.
Zurück in den Garten, den er mit Lotte gepflegt hatte.
Zurück zu Sommerabenden mit Wein und Radiomusik.
Zurück zu langen Spaziergängen mit Max, der nie eine Pfütze ausließ.
„Basko“, sagte er, „du bist kein Ersatz. Du bist ein Echo.“
Der Hund öffnete kurz die Augen.
Georg lachte leise.
„Und du hast mehr Würde als mancher Mensch, den ich kannte.“
Die Minuten verstrichen.
Einmal kam eine Frau vorbei, führte ihren Dackel durch den Hof.
Sie blieb stehen, schaute neugierig.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie.
Georg nickte.
„Wir warten auf Hilfe.“
Sie ging weiter.
Er legte sich die Decke über die Beine, zog sie auch über Baskos Flanke.
„Nur noch ein bisschen. Sie kommen bestimmt bald.“
Er sah zum Fenster hoch.
Der Rahmen war leer, wie ein offenes Buch ohne Seiten.
Er wünschte sich, Clara würde auftauchen.
Oder wenigstens jemand, der nach dem Rechten sah.
Aber niemand kam.
Georg flüsterte mehr mit sich selbst als mit dem Hund.
„Ich hab dich ja auch nicht gefragt, ob du zu mir willst. Du bist einfach dagewesen. Jeden Morgen. Immer still. Immer da.“
Basko rührte sich kaum.
Aber er war da.
Einmal legte er den Kopf gegen Georgs Knie.
Nur kurz.
Aber es reichte.
Georg schloss die Augen, atmete tief ein.
Die Luft roch nach feuchtem Holz und altem Laub.
Und doch war da etwas Neues.
Etwas wie Trost.
Dann hörte er das Geräusch.
Ein Motor.
Ein Fahrzeug, das sich näherte.
Er öffnete die Augen.
Am anderen Ende des Hofes bog ein weißer Wagen um die Ecke.
Auf der Seite ein grünes Logo mit einem Pfotenabdruck.
Endlich.
Der Wagen hielt.
Zwei Personen stiegen aus.
Eine Frau mit roten Locken, ein junger Mann mit Bart.
„Herr Feldmann?“, fragte sie.
Georg stand auf, seine Knie knackten.
„Hier. Das ist Basko.“
Die beiden knieten sich sofort neben den Hund.
Sie sprachen leise, prüften die Atmung, die Gelenke.
Dann hoben sie ihn behutsam auf eine Trage, bedeckten ihn mit einer Decke.
„Er ist schwach, aber stabil“, sagte die Frau.
„Wir bringen ihn in die Tierklinik. Sie können gerne mitkommen.“
Georg zögerte.
Dann nickte er.
„Ich hol nur kurz meine Sachen.“
Wenige Minuten später saß er im Transporter.
Neben ihm lag Basko, der Kopf auf einem kleinen Kissen, das jemand mitgebracht hatte.
Georg legte die Hand auf das Fell.
Wieder diese Wärme.
Und zum ersten Mal seit vielen Wochen, vielleicht Monaten, spürte er, wie etwas in ihm aufatmete.
Sie fuhren langsam durch die Stadt.
Vorbei an Straßen, die er seit Jahren nicht mehr betreten hatte.
Vorbei an Häusern, die fremd wirkten.
Aber drinnen, im Wagen, war etwas vertraut.
Eine Ruhe.
Eine Verbundenheit.
Georg sah aus dem Fenster.
Die Sonne brach durch die Wolken, warf goldene Streifen auf das Kopfsteinpflaster.
„Du bist ein starker Kerl“, flüsterte er.
„Wir schaffen das.“
Basko öffnete kurz die Augen.
Dann schloss er sie wieder.
Und Georg saß daneben, ohne Angst.
Nur mit Hoffnung.
In diesem Moment wusste Georg noch nicht, dass Basko schon bald wieder zurückkehren würde, aber nicht allein.