🐾 Teil 10: Zwei alte Seelen
Es war ein stiller Nachmittag, als Georg wieder nach Hause kam, nicht allein.
Der Transportkorb auf dem Beifahrersitz war leer.
Basko hatte die Fahrt auf einem alten Wollmantel verschlafen, der noch leicht nach Ofenwärme und Pfefferminztee roch.
Tanja vom Tierheim hatte nicht viel gefragt.
Sie hatte Formulare vorbereitet, mit ruhiger Stimme erklärt, worauf es ankam.
Georg hatte genickt, unterschrieben, und zum ersten Mal seit vielen Monaten ein Gefühl gespürt, das ihm fast fremd geworden war.
Er gehörte wieder zu etwas.
Jetzt öffnete er die Wohnungstür.
Basko tappte langsam über die Schwelle.
Er roch an der Wand, an der Garderobe, an dem alten Teppich im Flur.
Dann ging er wie selbstverständlich zu seinem Platz, neben dem Heizkörper, auf die gefaltete Decke.
Georg lächelte.
Es war, als wäre nichts gewesen.
Oder besser gesagt:
Als wäre jetzt endlich wieder alles richtig.
Die Tage vergingen ruhig.
Georg stand früh auf, wie früher.
Er kochte zwei Tassen Kaffee.
Stellte eine ans Fenster, eine auf den Tisch.
Er sprach nicht mehr so viel wie vorher.
Er musste es auch nicht.
Denn Basko war da.
Sie gingen wieder kleine Runden durch den Hof.
Langsam, mit vielen Pausen.
Einmal setzte sich Basko mitten auf das Pflaster, die Sonne im Gesicht.
Georg ließ ihn.
Am Nachmittag schrieb er einen Brief.
Nicht an jemanden Bestimmten – eher an sich selbst.
Darin stand, was diese Wochen bedeutet hatten.
Wie Stille Nähe werden konnte.
Wie ein Hund ihn daran erinnerte, dass Zeit nicht vergeht, wenn man sie teilt.
Er legte den Brief in eine Schublade, ganz hinten.
Vielleicht würde ihn niemand je lesen.
Aber das war nicht wichtig.
Wichtiger war, dass Basko nun wieder dort lag, wo er hingehörte.
Nicht auf der anderen Seite des Hofs, hinter einer Fensterscheibe.
Sondern hier, im selben Raum.
Einmal kam Clara noch vorbei.
Sie hatte Tränen in den Augen, als sie den Hund sah.
„Er sieht friedlich aus“, sagte sie.
„Er ist es“, antwortete Georg.
Sie setzte sich, trank Tee mit ihm, erzählte von ihrer Tante, von der Entscheidung, das Haus aufzugeben.
Georg hörte zu, nickte, sagte nicht viel.
Am Ende legte sie die Hand auf seinen Arm.
„Danke.“
„Er hat mir mehr gegeben, als ich je zurückgeben könnte.“
Als sie ging, sah sie sich noch einmal um.
Basko hob kurz den Kopf.
Dann schlief er weiter.
In den folgenden Wochen wurde der Frühling spürbar.
Die Luft wurde weicher, das Licht heller.
Ein paar Krokusse blühten im Hof.
Und Georg öffnete wieder öfter das Fenster.
Nicht um hinauszusehen.
Sondern damit frische Luft hereinkam.
Basko lag daneben, die Nase im Wind.
Und manchmal, wenn Georg sprach, blinzelte er nur.
Einmal, nach einem langen, sonnigen Tag, ging Georg in die Küche, holte zwei Scheiben Brot.
Er brach ein Stück ab, reichte es dem Hund.
„Du bist alt“, sagte er.
„Und ich auch.“
Basko kaute langsam, zufrieden.
„Aber wir sind noch da.“
Am Abend schrieb Georg ein Wort auf einen kleinen Zettel und klebte ihn ans Fenster.
Nicht nach draußen, sondern nach innen, dahin, wo er ihn selbst sehen konnte.
Zuhause.
Es war kein großes Wort.
Aber es reichte.
Und wenn man von draußen in den Hof blickte, sah man manchmal zwei Schatten hinter der Gardine.
Einen alten Mann.
Und einen alten Hund.
Zwei Seelen, die sich gefunden hatten.
Nicht laut.
Nicht plötzlich.
Sondern einfach so.
Still.
Und genau richtig.
Und während die Sonne langsam unterging, saßen sie Seite an Seite am Fenster, diesmal auf derselben Seite des Lebens.