Feuer und Fell | Ein namenloser Hund taucht nach einem Brand auf und führt die Feuerwehr zu einer vergessenen Wahrheit

🐾 Teil 4: Das Tagebuch im Rauch

Wir saßen zu fünft im Gerätehaus, die Helme achtlos auf die Bank geworfen, der Hund zwischen uns wie ein sechster Kamerad. Vor uns lag das Tagebuch, von Rauch geschwärzt und doch voller Stimme. Gudrun hatte die erste Seite laut vorgelesen, und seitdem herrschte Schweigen.

„Wenn mir etwas passiert, dann folgt Branko dem Rauch. Er bringt euch zu mir.“

Der Hund hob den Kopf, als sein Name fiel. Branko. Es war das erste Mal, dass wir ihn beim Namen nannten, und es fühlte sich an, als hätte ein unsichtbarer Schlüssel im Raum ein Schloss geöffnet.

Hanno legte die Hände auf den Tisch. „Wir müssen weiterlesen.“

Die Seiten waren brüchig, und jeder Griff konnte sie zerstören. Doch Stück für Stück las Gudrun weiter. Klara schrieb von Einsamkeit, von einem Haus, das ihr nicht gehörte, aber in dem sie Zuflucht fand. Sie schrieb von Verlust, von einer Familie, die sich im Streit auflöste. Und sie schrieb von Branko, der einzige, der geblieben war, als alles andere verschwunden war.

„Sie war hier“, murmelte Tjark. „Die ganze Zeit. Niemand hat es gewusst.“

Der Hund lag mit dem Kopf auf den Pfoten, aber seine Augen waren wachsam, als lausche er jedem Wort.

Das Tagebuch sprach auch von Feuer. Von einer Angst, die sie nachts nicht schlafen ließ, weil das Knacken im Ofen für sie wie ein drohender Ruf war. „Wenn die Flammen kommen“, stand dort, „werde ich nicht schnell genug sein. Aber Branko wird bleiben.“

Wir sahen einander an. Die Möglichkeit stand im Raum, dass sie beim Brand im Brunnensteig gewesen war. Vielleicht hatte sie nicht entkommen können. Vielleicht wusste nur Branko die Wahrheit.

Am nächsten Morgen beschloss Hanno, den Ort noch einmal zu besuchen. Nicht als Einsatzleiter, sondern als jemand, der verstehen wollte. Gudrun kam mit, Tjark auch. Der Hund sprang ohne Zögern auf die Ladefläche, als hätte er schon gewusst, wohin es geht.

Das Haus am Brunnensteig wirkte im Morgenlicht noch trauriger. Kein Rauch mehr, nur schwarze Fensterhöhlen, die wie Augen ohne Lider starrten. Wir gingen hinein, diesmal ohne Eile, und ließen den Hund vorangehen.

Branko schnupperte am Boden, an verkohlten Balken, an der Stelle, an der wir das Halsband gefunden hatten. Dann drehte er sich um und sah Hanno an, ein Blick, der nicht bittend, sondern fordernd war. Er lief weiter, die Treppe hinauf, die nur noch halb stand, und blieb an einer Wand stehen.

„Da ist nichts“, sagte Tjark.

„Doch“, erwiderte Gudrun. „Sieh hin.“

Zwischen zwei verkohlten Balken steckte etwas Helles. Hanno zog es hervor. Ein Stück Stoff, verbrannt am Rand, aber erkennbar: eine Bluse. Frauenkleidung. Er drückte das Material in den Händen, und für einen Moment war es, als ob ein Schatten durch den Raum huschte.

„Vielleicht war sie wirklich hier“, sagte Hanno.

Wir gaben die Funde an die Polizei. Doch die Beamten schienen nicht überzeugt. Keine Leiche, kein Beweis. Nur Spuren, die mehr Fragen aufwarfen als Antworten.

In den Tagen danach veränderte sich der Hund. Er wurde unruhiger, bellte nachts vor dem Gerätehaus, als würde er etwas draußen hören, das wir nicht hören konnten. Er fraß noch weniger, doch seine Augen leuchteten stärker.

Eines Abends, als wir von einer Übung zurückkamen, war er verschwunden. Keine Spur im Hof, keine Pfotenabdrücke im Kies. Nur die leere Decke, auf der er sonst geschlafen hatte.

Tjark suchte die halbe Stadt ab. Gudrun fragte beim Tierarzt, beim Bäcker, selbst beim Friedhof. Niemand hatte ihn gesehen.

Hanno stand lange vor dem Gerätehaus und fühlte, wie ihn ein altes Zittern überkam. Etwas lag in der Luft. Eine Ahnung, dass Branko nicht fort, sondern auf dem Weg war. Wohin, das wussten wir nicht.

Am dritten Tag hörten wir die Sirenen. Ein Brand in einem verlassenen Hof außerhalb der Stadt. Wir fuhren los, die Müdigkeit schwer in den Knochen. Als wir ankamen, loderten Flammen aus einem alten Schuppen. Und vor dem Tor stand er.

Branko.

Er bellte, tief, unaufhörlich, und sein Blick war nicht auf uns gerichtet, sondern auf etwas im Innern der Flammen.

Wir stürzten vor, bereit, das Feuer zu bekämpfen. Doch bevor wir handeln konnten, sprang Branko durch die brennende Tür, als gehöre er dorthin.

Die Hitze schlug uns entgegen, wir schrien seinen Namen, doch er verschwand im Rauch.

Und in diesem Moment hörten wir es.

Eine Stimme. Schwach, brüchig, kaum lauter als das Knistern der Flammen.

„Hilfe.“

Das Feuer hatte uns eine Antwort gegeben.

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