Feuer und Fell | Ein namenloser Hund taucht nach einem Brand auf und führt die Feuerwehr zu einer vergessenen Wahrheit

🐾 Teil 6: Die Fragen des Kommissars

Hauptkommissar Dorn trat näher, sein Mantel noch feucht vom Regen, und legte eine Aktenmappe auf den Tisch. Branko richtete sich auf, die Ohren steil, die Augen unverwandt auf den Besucher gerichtet.

„Sie müssen verstehen,“ begann Dorn, „dieser Fall ist heikler, als Sie glauben.“

Gudrun verschränkte die Arme. „Wir haben nur getan, was notwendig war. Ohne den Hund wäre Klara Quast tot.“

„Das bestreite ich nicht“, sagte Dorn ruhig. „Aber die Frage ist, warum sie überhaupt dort war. Und warum sie seit Jahren verschwunden ist, ohne ein Lebenszeichen zu geben.“

Er schlug die Mappe auf. Fotos lagen darin, verwaschen, teils Jahre alt. Ein Bild zeigte das Sägewerk der Quasts, aufgenommen kurz vor der Schließung. Ein anderes zeigte eine Familie beim Sommerfest, lachend, scheinbar unbeschwert. Doch in den Augen der Tochter, Klara, lag etwas, das nicht zum Lachen passte.

„Ihre Familie zerbrach an Schuld“, erklärte Dorn. „Nach dem Unfall im Werk. Ein Arbeiter kam ums Leben, und man munkelte, jemand habe Sicherheitsvorschriften missachtet. Klara soll mehr gewusst haben, als sie zugeben wollte.“

„Sie war doch noch ein Kind damals,“ warf Tjark ein.

„Alt genug, um etwas zu sehen,“ erwiderte Dorn scharf. „Und alt genug, um bedroht zu werden.“

Die Worte hingen schwer im Raum. Branko knurrte, ein dumpfer Laut, der Dorn einen kühlen Blick entlockte.

„Was wollen Sie von uns?“ fragte Hanno schließlich.

„Ihre Hilfe,“ sagte Dorn. „Dieser Hund hat sie zu Ihnen geführt. Er war ihr einziger Begleiter. Wenn jemand weiß, wo Klara in den letzten Jahren gewesen ist, dann er. Beobachten Sie ihn. Folgen Sie ihm. Und melden Sie mir alles.“

Gudrun lachte bitter. „Als ob wir einen Hund verhören könnten.“

„Unterschätzen Sie ihn nicht,“ erwiderte Dorn. „Manchmal tragen Tiere mehr Antworten in sich, als Menschen je zugeben würden.“

Damit ließ er uns zurück.

Die Stunden danach waren von Schweigen erfüllt. Wir wussten alle, dass wir mehr Fragen als Antworten hatten. Branko lag wieder bei uns, die verletzte Pfote leicht ausgestreckt, als sei nichts geschehen. Doch in seinen Augen brannte etwas, das uns nicht losließ.

In der Nacht konnte Hanno nicht schlafen. Er zog die Stiefel an, ging zum Gerätehaus. Branko erhob sich sofort, als habe er nur auf ihn gewartet. Ohne ein Geräusch lief er zur Tür, sah sich um, dann in Richtung Saalebrücke.

Hanno folgte ihm. Der Hund führte ihn durch die dunklen Straßen, vorbei an geschlossenen Läden, vorbei an Häusern, in denen nur vereinzelte Lichter brannten. Schließlich verließen sie die Stadt, liefen einen schmalen Weg am Fluss entlang.

Der Wind trug den Geruch von feuchtem Holz, die Saale rauschte leise. Branko blieb stehen vor einer alten Hütte, halb verfallen, von Efeu überwuchert.

Hanno atmete schwer. „Hier also.“

Der Hund bellte einmal, leise, fast wie ein Signal. Hanno schob die knarrende Tür auf. Innen roch es nach kalter Asche, nach Erde und vergessenen Tagen. Ein Strohsack lag in der Ecke, daneben ein kleiner Rucksack.

Er hob ihn auf, öffnete ihn vorsichtig. Darin lagen wenige Dinge: ein altes Portemonnaie, ein zerknittertes Foto, ein Notizbuch. Auf dem Foto war Klara mit Branko zu sehen, beide jünger, unversehrt, an einem Sommertag am See. Auf der Rückseite stand ein Datum: Juli 2019.

Das Notizbuch war dünn, aber die Schrift darin frisch. Keine alten Zeilen, sondern Aufzeichnungen der letzten Monate. Hanno blätterte.

„Man darf nicht wissen, dass ich noch hier bin. Es gibt jemanden, der mich sucht.“

Seine Hände zitterten. Er setzte sich auf den Strohsack, der Staub stob. Branko legte sich neben ihn, die Augen auf das Heft geheftet, als würde er verstehen.

Die letzte Eintragung war kurz, fast hektisch: „Wenn sie mich finden, dann bleibt nur das Feuer. Branko weiß, wohin.“

Hanno klappte das Heft zu. In seinem Kopf hämmerten die Worte. Wer war „sie“. Und warum hatte Klara geglaubt, das Feuer sei ihre einzige Antwort.

Am nächsten Morgen berichtete er Gudrun und Tjark. Beide sahen ihn erschüttert an. „Sie hat sich versteckt,“ flüsterte Gudrun. „All die Jahre, hier, direkt vor unserer Tür.“

„Und jemand wollte nicht, dass sie lebt,“ fügte Hanno hinzu.

Die Spannung lag wie ein Gewicht im Raum.

Bevor wir weiterreden konnten, jaulte plötzlich die Sirene. Ein neuer Einsatz. Wir sprangen auf, zogen die Jacken an. Branko stand schon an der Tür, bereit, als wüsste er, dass dieser Einsatz mehr bringen würde als Rauch und Asche.

Als wir am Einsatzort ankamen, stockte uns der Atem.

Es brannte nicht. Stattdessen standen Polizeiwagen im Kreis. Und in ihrer Mitte, blass und schwankend, aber aufrecht, stand Klara Quast.

Ihre Augen suchten nicht die Beamten. Sie suchten nur Branko.

Manche Rückkehr geschieht mitten im Licht, und doch beginnt die Dunkelheit erst.

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