Feuer und Fell | Ein namenloser Hund taucht nach einem Brand auf und führt die Feuerwehr zu einer vergessenen Wahrheit

🐾 Teil 9: Die Flammen in der Fabrik

Die alte Papierfabrik lag am Stadtrand, ein riesiges, graues Gebäude, seit Jahren verlassen. Schon von weitem sahen wir die Flammen, die aus den Fenstern schlugen. Schwarzer Rauch wälzte sich in den Himmel, das Heulen der Sirenen zerschnitt die Nacht.

Wir hielten mit quietschenden Bremsen. Noch bevor die Türen aufsprangen, war Branko draußen, die Nase erhoben, die Muskeln angespannt. Er bellte, kurz und hart, als wolle er uns sagen, dass keine Zeit zu verlieren war.

Hanno rief Befehle, die Schläuche wurden ausgerollt, die Pumpen brüllten. Wir legten Atemschutz an, doch Branko war schon verschwunden. Er hatte sich durch ein Loch in der Mauer gedrängt, wo die Hitze am stärksten war.

„Branko!“ schrie Gudrun, doch Hanno hob die Hand. „Lass ihn. Er weiß, wo er hin muss.“

Wir folgten mit schweren Schritten, das Feuer knisterte wie tausend Stimmen, die alle zugleich schrien. Drinnen herrschte ein Chaos aus Rauch, Hitze und fallenden Balken. Doch durch das Donnern hörten wir es: ein Bellen.

Wir kämpften uns durch die Flammen. Branko stand am Ende eines Gangs, die Lefzen zurückgezogen, die Augen wild. Neben ihm eine Tür, halb verkohlt, dahinter Stimmen. Menschliche Stimmen, die um Hilfe riefen.

Wir rissen die Tür auf. Zwei Männer kauerten darin, hustend, kaum noch bei Bewusstsein. Wir packten sie, schleppten sie hinaus ins Freie. Doch Branko blieb stehen, bellte weiter.

„Es sind mehr“, keuchte Gudrun.

Wieder hinein, tiefer in den Bauch der Fabrik. Der Boden bebte, die Hitze trieb Schweiß in die Augen, trotz Atemschutz brannte die Luft in der Kehle. Branko lief voraus, sprang über Trümmer, duckte sich unter Balken. Er führte uns wie ein Schatten des Feuers selbst.

In einer hinteren Halle fanden wir sie. Drei Gestalten, zusammengekauert, von Rauch halb verschluckt. Als wir sie erreichten, fiel einer von ihnen um, bewusstlos. Wir arbeiteten mechanisch, schleppten sie hinaus, einer nach dem anderen.

Draußen empfing uns die kalte Nachtluft. Sanitäter stürzten herbei, die Männer wurden auf Tragen gelegt. Doch keiner von ihnen war ein Opfer im klassischen Sinn. Sie trugen Handschuhe, dunkle Kleidung, und in den Taschen fanden die Beamten Werkzeuge, die nicht zu einer verlassenen Fabrik passten.

„Brandstifter,“ knurrte Dorn, der inzwischen eingetroffen war. „Sie wollten, dass es aussieht wie ein Unfall.“

Klara stand daneben, gestützt von Gudrun. Ihr Gesicht war bleich, aber ihre Augen klar. „Das sind sie. Zwei davon habe ich damals im Werk gesehen. Sie wollten die Wahrheit vertuschen.“

Die Männer wurden abtransportiert, doch einer von ihnen, halb benommen, starrte Klara an und flüsterte etwas. Wir hörten nur ein Wort: „Beenden.“

Ein Schauder ging durch uns.

Die Flammen in der Fabrik waren noch nicht besiegt. Wir arbeiteten stundenlang, Wasser rauschte, Schaum lag wie Schnee über dem Asphalt. Branko blieb die ganze Zeit am Rand, den Blick nie von den Flammen gelöst. Er wirkte nicht erschöpft, sondern wie ein Wächter, der wusste, dass dieser Kampf mehr war als ein Einsatz.

Gegen Morgen war das Feuer unter Kontrolle. Die Halle stand noch, aber nur als Skelett aus Stahl und Ruß. Wir kehrten ins Gerätehaus zurück, müde, schmutzig, mit einem Gefühl, dass etwas Entscheidendes geschehen war.

Klara saß wieder auf der Bank. Sie hatte nicht geschlafen. Als wir hereinkamen, stand sie auf, ihre Hände zitterten. „Jetzt wisst ihr, warum ich geflohen bin. Es war nie ein Unfall. Sie wollten, dass mein Schweigen das Einzige ist, das bleibt.“

„Und Branko?“ fragte Hanno.

Sie sah den Hund an, ihre Augen weich. „Er war mein Versprechen. Wenn ich nicht mehr sprechen kann, dann spricht er. Er bringt euch dorthin, wo die Wahrheit liegt.“

Wir wussten, dass es noch nicht vorbei war. Zu viele Fragen hingen in der Luft. Wer hatte die Brandstifter geschickt. Wer stand über ihnen.

Branko legte sich nieder, die Schnauze auf den Pfoten, die Augen wach. Er schien etwas zu spüren, das wir nicht greifen konnten.

Plötzlich knackte das Funkgerät wieder. Keine Stimme diesmal, nur ein Rauschen, ein Knattern, das wie ein verzerrtes Flüstern klang.

Dann ein Satz, kaum hörbar, doch klar genug, um uns allen das Blut gefrieren zu lassen: „Es ist noch nicht vorbei.“

Branko hob den Kopf. Seine Augen leuchteten im Halbdunkel.

Manche Feuer verlöschen nicht, sie warten auf den letzten Funken.

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