🐾 Teil 10: Der letzte Funken
Das Funkgerät rauschte noch immer, als wir im Gerätehaus saßen. Kein Einsatz, keine klare Meldung. Nur dieses verzerrte Flüstern, das wir alle gehört hatten. „Es ist noch nicht vorbei.“
Hanno drehte den Regler leiser, als könne er so die Worte zum Schweigen bringen. Doch sie hallten in uns nach. Gudrun legte eine Hand auf Klaras Schulter. „Du bist jetzt in Sicherheit“, sagte sie, fast mehr zu sich selbst als zu ihr.
Klara schüttelte den Kopf. „Sicherheit gibt es nicht, solange die wahren Schuldigen frei sind.“
Branko lag zu ihren Füßen, sein Fell noch immer rußgeschwärzt, die Augen wach. Er hob kurz den Kopf, sah zur Tür, und wir wussten, dass auch er spürte, dass etwas fehlte.
Am nächsten Morgen kam Hauptkommissar Dorn. Er wirkte erschöpft, aber entschlossen. „Die Männer aus der Fabrik haben ausgesagt“, begann er. „Sie waren Befehlsempfänger. Der Auftrag kam von ganz oben. Ein ehemaliger Teilhaber des Sägewerks. Er wollte verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt.“
„Also war es Mord,“ sagte Hanno.
„Ja,“ bestätigte Dorn. „Der Unfall im Werk war keiner. Ein bewusst in Kauf genommener Fehler. Und Klara sollte verschwinden, weil sie es gesehen hatte.“
Stille senkte sich über den Raum. Klara schloss die Augen, Tränen liefen über ihr Gesicht. „All die Jahre habe ich mich versteckt, um nicht vergessen zu werden. Und doch hat es sich angefühlt, als wäre ich längst ausgelöscht.“
Hanno legte ihr die Hand auf die Schulter. „Du lebst. Und du sprichst. Das ist mehr, als sie je wollten.“
In den folgenden Tagen wurde Klara unter Polizeischutz gestellt. Die Ermittlungen liefen, die Zeitungen berichteten, und plötzlich war ihr Name wieder in aller Munde. Manche im Ort erinnerten sich, andere taten so, als hätten sie nie etwas gewusst.
Doch für uns war es nicht die Öffentlichkeit, die zählte. Es war der Hund, der uns alles gezeigt hatte.
Branko blieb im Gerätehaus. Er wich Klara nicht von der Seite, solange sie dort war. Wenn sie nachts aufschreckte, legte er seinen Kopf auf ihre Knie. Wenn sie zitterte, drückte er sich an sie. Er war ihr Schild, ihr Trost, ihr Beweis, dass Treue länger brennt als jedes Feuer.
Ein Abend im Mai brachte die Wende. Klara stand im Hof, das Gesicht dem Sonnenuntergang zugewandt. Branko saß neben ihr, und der Himmel färbte sein Fell kupferrot. „Ich werde nicht mehr davonlaufen,“ sagte sie leise. „Nicht vor ihnen, nicht vor meiner Erinnerung.“
Gudrun lächelte. „Dann hast du schon gewonnen.“
Branko blickte in die Ferne, als hätte er verstanden.
Einige Wochen später war der Prozess. Klara sagte aus. Ihre Stimme war zittrig, aber klar. Sie erzählte von dem Tag im Werk, von den Männern, die sie bedrohten, von den Jahren in Verstecken und Schuppen. Sie erzählte auch von Branko, der sie beschützt hatte, wenn niemand sonst da war.
Die Wahrheit kam ans Licht. Urteile wurden gesprochen. Es war keine vollständige Gerechtigkeit, denn was verloren war, kam nicht zurück. Aber es war genug, um die Dunkelheit zu durchbrechen.
Nach dem Prozess kehrte Klara noch einmal nach Bad Lobenstein zurück. Sie wollte nicht in die alte Villa am Brunnensteig, sie wollte keinen Ort voller Schatten. Sie wollte nur einmal das Gerätehaus sehen, das ihr zur Zuflucht geworden war.
Wir standen mit ihr im Hof. Branko lag im Gras, die Sonne im Fell, die Augen halb geschlossen. Er wirkte ruhiger, als sei seine Aufgabe erfüllt.
„Was wird aus ihm?“ fragte Tjark.
Klara kniete sich zu Branko. „Er gehört nicht mir,“ sagte sie. „Er gehört dorthin, wo er gebraucht wird. Er hat euch geführt. Vielleicht bleibt er bei euch. Vielleicht geht er weiter.“
Hanno schwieg lange, dann nickte er. „Manche Hunde sind nicht Besitz. Sie sind Erinnerung.“
An diesem Abend, als der Himmel dämmerte und die Saale leise rauschte, erhob sich Branko. Er ging zum Tor, blickte zurück, seine Augen bernstein und grau zugleich. Dann trottete er den Weg hinunter, hinaus in die Nacht.
Wir riefen ihn nicht zurück. Manche Gefährten sind nicht zu halten. Sie kommen, wenn man sie braucht, und gehen, wenn ihre Aufgabe erfüllt ist.
Klara sah ihm nach, Tränen im Gesicht, aber auch ein Lächeln. „Er hat mich zurückgebracht ins Leben.“
Und so blieb uns nicht nur die Erinnerung an das Feuer, nicht nur der Schmerz und die Fragen. Es blieb die Gewissheit, dass selbst im größten Rauch ein stiller Helfer auftauchen kann, der uns führt.
Manche Flammen zerstören. Andere zeigen den Weg.
Branko war fort. Doch sein Platz blieb für immer an unserer Seite.