Hilde und das Hundetaxi | Vom verstaubten Schuppen zum Herzstück der Nachbarschaft – die Geschichte von Hilde und Fritz

🐾 Teil 5: Fritz’ Krankheit

Der Husten kam wieder.
Zuerst nur gelegentlich, ein raues Räuspern, das Hilde kaum beachtete.
Doch bald war er tiefer, schwerer, und er ließ Fritz’ ganze Brust beben.

Anfang Mai lag der Geruch von Flieder in den Straßen, aber in Hildes Wohnung roch es nach Sorge.
Fritz fraß weniger, und sein Blick war müde, auch wenn er sich bemühte, ihr wie immer zur Tür zu folgen.
Manchmal blieb er schon nach ein paar Stufen stehen und atmete schwer.

Hilde beobachtete ihn, wenn er schlief.
Die Flanken hoben und senkten sich langsamer, dann wieder schneller, als müsse er die Luft jagen.
Sie legte oft eine Hand auf seinen Rücken, um den Rhythmus zu spüren.

„Wir gehen zur Frau Doktor“, sagte sie eines Morgens.
Ihre Stimme klang fester, als sie sich fühlte.
Sie legte Fritz die Leine an, vorsichtig wie bei Glas.

Die Fahrt zur Tierärztin machten sie zu Fuß, langsam und mit Pausen.
Fritz blieb mehrmals stehen, schnupperte nicht wie sonst an jedem Zaun, sondern stand still, als müsse er Kraft sammeln.
Hilde spürte, wie jeder Schritt länger dauerte als der vorherige.

In der Praxis roch es nach Desinfektionsmittel und dem leisen Nervössein vieler Tiere.
Fritz legte den Kopf in ihre Hand, während sie warteten.
Als sie aufgerufen wurden, stieg er zögernd auf den Tisch, die Pfoten leicht zitternd.

Die Tierärztin, Frau Dr. Albers, tastete Fritz ab, hörte lange auf seine Brust und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Es ist sein Herz“, sagte sie leise.
„Er hat eine Herzklappenerkrankung. Das ist bei älteren Hunden nicht selten.“

Hilde schluckte, aber die Worte blieben wie ein Stein im Hals.
„Was bedeutet das?“ fragte sie, obwohl sie es schon ahnte.
„Er wird Medikamente brauchen, wahrscheinlich für den Rest seines Lebens. Wir müssen ihn schonen, auf Anstrengung achten. Und Sie sollten ihn gut beobachten.“

Hilde nickte, als hätte sie verstanden, doch in ihrem Kopf rauschte es.
Schonung – wie sollte das gehen, wenn Fritz ihr Schatten war, auf jeder Fahrt dabei, in jeder Hofrunde.
Und das Hundetaxi?
Konnte sie einfach weiterfahren, während er zu Hause lag?

Auf dem Rückweg trug Hilde die Tüte mit den Medikamenten wie etwas Zerbrechliches.
Fritz lief dicht neben ihr, nicht aus Freude, sondern weil die Kraft fehlte, vorauszugehen.
Die Sonne lag warm auf den Pflastersteinen, aber Hilde spürte sie kaum.

Zu Hause stellte sie die Tabletten in den Küchenschrank, neben die Kaffeetassen.
Jeden Morgen, jeden Abend, hatte Dr. Albers gesagt.
Hilde strich über die kleine weiße Schachtel, als könne sie dadurch wirken.

Am Nachmittag setzte sie sich mit Fritz auf den Balkon.
Unten im Hof hörte man Kinder lachen, das Klappern von Fahrradspeichen, den fernen Ruf eines Markthändlers.
Fritz legte den Kopf in ihren Schoß, die Augen halb geschlossen.

Sie dachte an den Winter, als er noch im Schnee herumgesprungen war wie ein junger Hund.
An den Sommer vor zwei Jahren, als er im See bei Bardowick geschwommen war, während Anton – damals noch da – am Ufer gelacht hatte.
Die Bilder kamen schnell, wie Blätter im Wind, und jeder brachte einen Stich mit sich.

Das Hundetaxi stand im Schuppen, bereit für den nächsten Einsatz.
Hilde wusste, dass Anrufe kommen würden, dass Termine im Heft standen.
Aber der Gedanke, Fritz zurückzulassen, während sie fuhr, fühlte sich falsch an.

Am Abend rief Anna an.
„Frau Sommer, wir könnten auch mal ohne Sie fahren, wenn Sie bei Fritz bleiben wollen.“
Hilde dankte, doch ihre Stimme war dünn.
„Vielleicht. Aber… mal sehen.“

Nach dem Gespräch blieb sie lange am Küchentisch sitzen.
Die Lampe brannte, aber sie bemerkte nicht, wie spät es war.
Fritz lag neben dem Stuhl, und jedes leise Husten ließ sie aufschrecken.

Später, als die Stadt stiller wurde, legte sie eine Decke auf den Boden und setzte sich zu ihm.
Sie strich ihm langsam über das Fell, spürte die Wärme unter ihren Fingern.
Sein Atem war unruhig, und sie zählte unwillkürlich die Pausen dazwischen.

Hilde wusste, dass sie diese Nacht nicht ins Bett gehen würde.
Die Dunkelheit vor dem Fenster war dicht, aber sie hielt die Augen offen, als müsse ihr Blick Fritz im Hier halten.
Ab und zu flackerte die Straßenlaterne, und ihr Licht fiel auf den Messinganhänger an seiner Leine.

Sie dachte nicht an morgen, nicht an das Hundetaxi, nicht an Termine.
Nur an den Hund neben ihr, der seit Jahren jeden ihrer Schritte begleitet hatte.
Und an die stille Angst, die sie nicht beim Namen nennen wollte.

Fritz schlief ein, sein Kopf schwer auf ihrem Knie.
Hilde saß reglos da, das Herz zu schnell, den Atem zu flach.
Draußen rauschte ein später Regen, und sie wusste, dass die Nacht lang werden würde.

Und sie wusste auch, dass diese Nacht nicht die letzte sein würde, in der sie über Fritz wachte.

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