Hilde und das Hundetaxi | Vom verstaubten Schuppen zum Herzstück der Nachbarschaft – die Geschichte von Hilde und Fritz

🐾 Teil 9: Die schwere Entscheidung

In der Praxis roch es nach Desinfektionsmittel und Stille.
Frau Dr. Albers führte Hilde und Fritz direkt in den hinteren Raum.
Der Hund lag auf der Decke, die sie aus dem Wagen mitgebracht hatten, und atmete flach.
Sein Blick suchte immer wieder Hilde, als wollte er wissen, was jetzt geschah.

Die Tierärztin setzte sich auf einen kleinen Hocker.
Ihre Stimme war leise und fest, ohne Umwege.
„Hilde… es ist sein Herz. Wir sind am Ende der Möglichkeiten. Die Medikamente helfen nicht mehr so wie früher. Es geht jetzt nur noch um sein Wohl.“

Hilde spürte, wie der Boden unter ihr zu rutschen begann.
„Was… was heißt das?“
„Es heißt, dass wir ihn gehen lassen können, bevor die Schmerzen größer werden. Dass er in Frieden einschläft, ohne Angst und ohne Leid.“

Die Worte hallten in ihr nach.
Sie hörte den Regen draußen gegen das Fenster schlagen, hörte das leise Summen des Kühlschranks im Nebenraum.
Und sie hörte Fritz’ Atem, unruhig, wie ein Lied, das nicht mehr in Takt bleiben will.

„Kann ich… darüber nachdenken?“ fragte sie, auch wenn sie wusste, dass es nicht viel Zeit zu überlegen gab.
Frau Dr. Albers nickte. „Natürlich. Aber nicht zu lange. Er vertraut Ihnen. Und Sie wissen, was das Beste für ihn ist.“

Hilde kniete sich zu Fritz, legte ihre Hand an seinen Hals.
Das Fell fühlte sich warm an, die Haut darunter dünn und zerbrechlich.
„Mein Junge“, flüsterte sie, „du hast mich all die Jahre begleitet. Vielleicht ist es jetzt an mir, dich zu begleiten.“

Sie rief Anna an, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
„Kommt bitte in die Praxis.“
Wenige Minuten später standen Anna, Max und Jonas im Türrahmen, die Gesichter ernst.
Keiner sprach viel. Sie knieten sich zu Fritz, streichelten ihn, flüsterten kleine Abschiedsworte.

Anna legte ihm einen Keks vor die Nase, seinen Lieblingskeks, den er sonst gierig verschlang.
Heute leckte er nur kurz daran und legte den Kopf wieder ab.
Max strich ihm sanft über die Ohren, Jonas legte ihm eine Hand auf die Flanke.

Hilde wusste, dass der Moment gekommen war.
Sie sah zu Frau Dr. Albers und nickte langsam.
Die Tierärztin holte eine kleine Spritze, erklärte leise jeden Schritt.
„Er wird zuerst einschlafen, ganz ruhig. Dann… spürt er nichts mehr.“

Hilde zog die Decke dichter um Fritz, setzte sich so, dass sein Kopf in ihrem Schoß lag.
Ihre Finger strichen über den Messinganhänger an seinem Halsband, den sie schon so oft im Vorbeigehen berührt hatte.
„Danke“, flüsterte sie, „für jeden Morgen, für jede Fahrt, für jede Stille, die du gefüllt hast.“

Die Spritze war gesetzt, und Fritz’ Atem wurde langsamer.
Sein Blick blieb bei ihr, bis die Lider sich schlossen.
Hilde spürte, wie er schwerer in ihren Armen wurde, und dann war es still.

Eine Stille, die nicht leer war, sondern voller Erinnerungen.
An Winterabende auf dem Sofa, an Sommerwege im Park, an all die Fahrten, bei denen er neben ihr gelegen hatte.
Tränen liefen über ihre Wangen, tropften auf das Fell, das nun nicht mehr warm war.

Die Kinder standen dicht bei ihr.
Anna weinte leise, Max wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, Jonas hielt den Blick gesenkt.
Keiner wollte der Erste sein, der den Raum verließ.

Schließlich legte Hilde Fritz behutsam auf die Decke, die er geliebt hatte.
Sie nahm das Halsband ab, strich ein letztes Mal darüber, und schloss es fest in ihre Hand.
„Ich bringe dich nach Hause“, sagte sie, auch wenn sie wusste, dass nur noch ein Teil von ihm heimkehren würde.

Auf dem Heimweg war der Wagen leer, doch Hilde fuhr langsam, als säße er noch darin.
Die Kinder liefen nebenher, schweigend, nur das Rattern der Räder auf dem Pflaster war zu hören.
Vor dem Haus blieben sie lange im Hof stehen, ohne etwas zu sagen.

Später, in ihrer Wohnung, setzte sich Hilde ans Fenster.
Das Halsband lag schwer in ihrer Hand, der Messinganhänger kühl gegen die Haut.
Draußen hörte sie Stimmen, das Klirren von Geschirr aus der Nachbarwohnung und das leise Klingeln des Hundetaxis, das im Hof losfuhr.

Sie blickte hinaus.
Jonas saß im Sattel, Anna und Max liefen daneben.
Im Kasten lag ein kleiner brauner Hund, neugierig und lebendig.
Das Rad rollte hinaus in die Straße, so wie es schon viele Male getan hatte.

Hilde hielt das Halsband fester, und in ihrer Brust mischte sich Schmerz mit Dankbarkeit.
Fritz war nicht mehr da, aber er war überall in jedem Lachen, in jedem Hund, den das Hundetaxi tragen würde.
Und während sie den Wagen in der Ferne verschwinden sah, wusste sie, dass er auf seine Weise weiterfuhr.

Der Platz neben ihr war leer, doch das, was Fritz hinterlassen hatte, füllte den Raum bis zum Rand.

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