🐾 Teil 10: Fritz’ Vermächtnis
Die Tage nach Fritz’ Abschied waren stiller als alle Winter davor.
Hilde wachte noch immer in der Nacht auf, horchte auf ein Atemgeräusch, das nicht mehr da war.
Der Platz neben dem Herd blieb leer, die Decke im Flur lag unbenutzt, und das Halsband lag auf der Kommode, als würde es auf eine Hand warten, die es nicht mehr anlegen würde.
Doch unten im Hof stand das Hundetaxi, und die Liste mit den Terminen füllte sich weiter.
Die Kinder kamen jeden Morgen, klopften an ihre Tür, fragten, ob sie heute mitfahren wollte.
Anfangs schüttelte Hilde den Kopf, ließ sie allein fahren.
Aber eines Morgens, als die Sonne über den Dächern stand und die Stadt nach frischem Brot roch, zog sie die Jacke an und ging mit hinunter.
Die Fahrten waren nicht mehr dieselben ohne Fritz, aber sie hatten etwas Neues.
Die Menschen, die einst nur ihre Hunde übergaben, fragten nun nach ihr, erkundigten sich, wie es ihr ging.
Und manchmal erzählten sie von eigenen Verlusten, von Hunden, die längst vergangen waren, und von der Stille, die blieb.
Eines Nachmittags setzte sich die ganze Hundetaxi-Gruppe im Hof zusammen: Anna, Max, Jonas, Herr Fenske, Frau Voss, sogar Herr Riemer.
Auf dem Tisch lag ein Blatt Papier mit einer Skizze.
„Wir dachten“, begann Anna, „wir könnten dem Hundetaxi ein neues Logo geben. Eines, das Fritz zeigt.“
Hilde beugte sich vor.
Die Zeichnung zeigte die Silhouette eines alten Hundes, der im Kasten des Wagens saß, den Kopf leicht erhoben, so als würde er in den Wind schnuppern.
Es war unverkennbar Fritz, in jener Haltung, die er auf so vielen Fahrten gehabt hatte.
Hilde musste blinzeln, um das Bild klar zu sehen.
„Das gefällt mir“, sagte sie leise.
„Es erinnert uns daran, warum wir das hier tun.“
Von da an fuhr das Hundetaxi mit dem neuen Logo durch die Straßen.
Die Leute blieben stehen, lächelten, wenn sie den alten Hund im Bild erkannten.
Manche erzählten, dass sie Fritz noch gekannt hatten, andere fragten nach seiner Geschichte und so wurde sie immer wieder neu erzählt.
Mit der Zeit merkte Hilde, dass das Hundetaxi längst mehr war als eine Hilfe für Hunde.
Es brachte Menschen zusammen, die sonst kaum ein Wort gewechselt hätten.
Es ließ Nachbarn füreinander da sein, nicht nur für ihre Tiere.
Und es gab den Kindern etwas, das man nicht kaufen konnte: das Gefühl, gebraucht zu werden.
Im Herbst organisierten sie eine Fahrt in den Stadtpark, bei der mehrere Hunde gleichzeitig mitkamen.
Es war ein bunter Zug von Rädern, Leinen und lachenden Gesichtern, der durch die Straßen rollte.
Hilde fuhr vorne, das neue Logo an der Seite, den Wind im Gesicht.
Sie hielt an einer Kreuzung, um die Gruppe zu sammeln.
Für einen Moment, im Rauschen der Blätter und im leisen Klappern der Speichen, meinte sie etwas zu hören – das vertraute, sanfte Tappen von Pfoten neben ihr.
Sie drehte den Kopf, und auch wenn da niemand war, lächelte sie.
Als der erste Schnee fiel, hatte das Hundetaxi sein zweites Jahr begonnen.
Die Aufträge kamen nun auch aus anderen Vierteln, und die Kasse reichte, um Reparaturen und neue Decken zu bezahlen.
Und jedes Mal, wenn Hilde die Hand auf den Lenker legte, spürte sie, dass Fritz ein Stück mitfuhr.
An einem klaren Wintermorgen fuhr sie allein eine Runde durch die Altstadt.
Die Luft war kalt, aber der Himmel strahlte.
Sie trug keinen Helm, nur eine Mütze, und der Wind spielte mit den grauen Strähnen, die unter dem Rand hervorsahen.
Die Reifen knirschten auf dem Pflaster, und in ihrem Herzen lief ein Takt mit – der Takt von Fritz’ Schritten.
Sie bog in eine vertraute Straße ein, vorbei an der Bushaltestelle, an der alles begonnen hatte.
Dort, wo der Gedanke zum ersten Mal Form angenommen hatte, dass man Wege leichter machen konnte für Hunde, für Menschen, für sich selbst.
Hilde lächelte, trat fester in die Pedale und fuhr weiter.
Und irgendwo, tief in ihrem Inneren, hörte sie das leise, sichere Geräusch von Pfoten, die neben ihr liefen.
Das Hundetaxi rollte, und mit jedem Meter rollte auch ein Stück von Fritz’ Vermächtnis weiter durch die Straßen.