Ich dachte, er trauert, doch der Hund meines Vaters wollte nur wieder arbeiten

Am Morgen nach unserer ersten Runde wachte ich früher auf, als ich wollte. Nicht wegen Pflichtgefühl, sondern wegen eines kleinen Geräusches im Flur: ein leises Scharren, als würde jemand höflich anklopfen, ohne zu klopfen. Als ich die Tür öffnete, stand Hugo da, geschniegelt, wach, erwartungsvoll.

Er sah mich nicht an wie ein Hund, der Futter will. Er sah mich an wie ein Kollege, der wissen will, ob ich heute wieder auftauche. Und ich wusste sofort: Für ihn war gestern kein Ausrutscher. Für ihn war es der Anfang.

Ich zog mir eine Jacke über, noch halb im Schlaf, und holte die Weste aus dem Keller. Der Stoff roch nach Regen und Straße, nach dem, was mein Vater „normal“ genannt hätte. Als ich sie in der Hand hielt, war da dieses kurze Ziehen in der Brust, als würde jemand an einer Erinnerung ziehen, die noch nicht ganz trocken ist.

„Komm“, sagte ich leise. „Schicht beginnt.“

Hugo stand auf, als hätte ich ein Licht angeschaltet. In dem Moment wirkte er nicht alt, nicht müde, nicht verlassen. Er wirkte gebraucht.

Draußen war die Siedlung wie immer ordentlich. Die Hecken geschniegelt, die Einfahrten sauber, die Luft still. Aber ich hörte heute Dinge, die ich vorher überhört hatte: ein Fenster, das geöffnet wurde, ein Radio in der Ferne, Schritte auf Kies.

Hugo führte mich wieder zu Hildes Haus. Ich merkte, dass ich kurz zögerte, als würde ich um Erlaubnis bitten, überhaupt an ihrer Tür vorbeizugehen. Hugo zögerte nicht.

Hilde stand im Garten und hielt inne, als sie uns sah. Ihre Gardinen waren weiter aufgezogen als sonst, nur ein Stück, aber es fühlte sich an wie eine Entscheidung. Sie lächelte nicht groß, aber ihre Gesichtszüge wurden weicher.

„Na“, sagte sie. „Da ist er ja wieder.“

„Er besteht drauf“, antwortete ich, und es klang, als hätte ich keine Wahl. Was ja stimmte.

Hugo setzte sich an den Rand ihres Weges, ganz ruhig, wie gestern. Hilde kniete sich hin und strich ihm über die graue Schnauze, nicht hektisch, eher so, als würde sie sich an etwas festhalten, das nicht wegkippt. Ich stand daneben und merkte, wie selbstverständlich es sich anfühlte, dass wir keine Fremden mehr waren.

„Ich hab gestern richtig geschlafen“, sagte sie plötzlich, als wäre das ein Geständnis. „Das passiert nicht oft.“

Ich nickte nur. Mir fiel nichts Kluges ein, und vielleicht war genau das das Richtige.

Weiter vorn saß Noah wieder auf der Bordsteinkante. Heute sah er aus, als hätte er zu wenig geschlafen, die Kapuze tiefer, die Schultern hochgezogen. Hugo ging zu ihm, setzte sich wie immer einfach daneben, als wäre das sein Platz.

Noah streckte die Hand aus und berührte Hugos Fell nur kurz. Dann länger. Und ich sah, wie sein Atem ruhiger wurde, ohne dass er es selbst bemerkte.

„Morgen“, sagte ich.

„Morgen“, murmelte er zurück. Ein Wort, aber diesmal nicht wie eine Mauer, eher wie eine Tür, die einen Spalt offen bleibt.

Wir liefen zu dritt ein Stück. Es war nicht viel anders als zu zweit, aber es fühlte sich anders an. Als wäre auf einmal ein Platz mehr in dieser Runde.

An einer Einfahrt stand ein Mann mit einem Karton in den Armen und suchte mit dem Blick nach seinem Schlüssel. Er hatte diese gehetzte Stirn, die Menschen bekommen, wenn ihnen der Tag schneller davonläuft als sie selbst. Hugo blieb kurz stehen, schaute den Mann an und setzte sich.

Der Mann stutzte, dann lachte er kurz. Nicht laut, eher überrascht. „Na, du bist aber geschniegelt unterwegs“, sagte er, mehr zu Hugo als zu mir.

„Er arbeitet“, sagte ich.

Der Mann nickte, als hätte er das sofort verstanden. „Dann: Respekt.“ Und für einen Moment war sein Gesicht nicht mehr nur Stress.

Solche kleinen Stopps wurden zur Regel. Hugo hielt an, ich blieb stehen, und irgendwo in diesen Sekunden passierte etwas, das man nicht planen kann. Ein Nicken wurde länger. Ein „Hallo“ wurde echt. Ein Lächeln blieb einen Augenblick zu lange, um nur Höflichkeit zu sein.

Am Ende der Woche kannte ich mehr Namen als in den letzten zwei Jahren. Und ich merkte, dass das nicht „Kontakt“ war, wie man es in Ratgebern liest. Es war etwas Einfacheres. Anwesenheit.

Ich fing an, die Runde nicht mehr als Umweg zu sehen. Ich fing an, sie als Struktur zu sehen, die uns hält. Hugo brauchte die Aufgabe. Ich brauchte offenbar dasselbe, nur habe ich es anders genannt.

Eines Nachmittags begann es leicht zu nieseln. Kein starkes Wetter, nur dieses feine, graue, das die Welt leiser macht. Hilde war im Garten, und als wir vorbeikamen, wollte sie gerade einen Blumentopf umstellen.

Ich sah, wie ihr Fuß kurz wegrutschte. Es war kein Drama, kein Sturz ins Nichts, eher ein Moment, in dem der Körper sagt: Jetzt nicht. Hilde fing sich nicht ganz und setzte sich schwer auf die Terrassenkante, atmete scharf ein.

„Hilde!“ rief ich, schon auf dem Weg.

Hugo war schneller. Er war nicht panisch, er rannte nicht wild. Er war einfach sofort da, stellte sich dicht neben sie, ruhig, wie ein Hund, der weiß, dass Ruhe jetzt wichtiger ist als Aktion.

„Alles gut“, sagte Hilde, aber ihre Stimme klang dünner als sonst.

„Ich rufe Hilfe“, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu ihr.

„Nein“, sagte sie, und diesmal war da wieder diese alte Festigkeit. „Nicht gleich. Nur… einen Moment.“

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