Am Samstagvormittag sitzen sie an meinem Küchentisch. Es sieht aus, als hätte ein Tornado die Familie getroffen. Sandra hat Augenringe, Mark wirkt fahrig und nervös. Die Kinder sind ungewöhnlich still. Sie tragen Kleidung, die nicht ganz zusammenpasst – Mia hat eine Strumpfhose mit Löchern an und Lukas’ T-Shirt ist auf links gedreht.
Es gibt keinen selbstgebackenen Kuchen. Ich habe Brezeln vom Bäcker geholt. Butter muss sich jeder selbst schmieren. „
Also“, beginne ich und falte meine Hände auf dem Tisch. „Wie war eure Woche?“
Mark seufzt tief. „Beschissen. Entschuldige die Sprache, Uschi. Aber es war der Horror. Wir wussten nicht… wir wussten einfach nicht, wie viel du eigentlich machst. Das ganze Logistik-System ist zusammengebrochen.“
„Wir haben eine Haushaltshilfe gesucht“, fügt Sandra leise hinzu. „Sie wollte 25 Euro die Stunde. Und sie sagte, sie putzt nur, sie betreut keine Kinder. Eine Tagesmutter finden wir so schnell nicht.“
Sie sieht mich an. „Mama, es tut uns leid. Wirklich. Das am Sonntag… das war grausam von uns. Wir haben dich für selbstverständlich gehalten, weil du immer da warst. Und Beate…“ Sie schnaubt verächtlich.
„Beate hat gestern angerufen. Sie fragte, ob die Kinder die iPads mögen. Als ich ihr sagte, dass wir hier untergehen, meinte sie nur, wir sollten uns mal entspannen und ein Glas Wein trinken.“
„Ich mag die iPads nicht mehr so“, murmelt Mia plötzlich und spielt mit einem Brezelkrümel. „Meins ist runtergefallen und hat jetzt einen Riss. Und Mama hat keine Zeit, mit mir Barbie zu spielen. Oma, du spielst immer Barbie. Du bist zwar manchmal streng beim Aufräumen, aber du bist da.“
Ich atme tief durch. Das ist der Moment. „Ich liebe euch“, sage ich. „Ich liebe euch mehr als alles andere. Aber ich bin 64 Jahre alt. Ich habe mein Leben lang gearbeitet. Ich habe dich großgezogen, Sandra, und ich habe acht Jahre lang deine Kinder mit großgezogen. Aber ich bin keine Dienstleisterin.“
Ich hole einen Zettel aus meiner Tasche, auf dem ich mir Notizen gemacht habe. „Hier sind meine Bedingungen, wenn ihr wollt, dass ich wieder Teil eures Alltags werde.“
Sandra und Mark tauschen entsetzte Blicke aus, nicken dann aber eifrig. „Erstens: Ich bin Oma. Nicht Putzfrau. Wenn ich komme, ist die Spülmaschine meine Sache nicht. Und auch nicht die Wäscheberge im Bad.“
„Akzeptiert“, sagt Mark sofort.
„Zweitens: Keine festen Zeiten mehr von 6:30 bis 18:00 Uhr. Ich hole die Kinder an drei Tagen die Woche von der Schule ab und betreue sie bis 17 Uhr. Die anderen zwei Tage und die Morgende sind euer Problem. Ihr seid die Eltern. Reduziert eure Stunden oder bezahlt jemanden.“
Sandra schluckt. „Aber meine Karriere…“
„Deine Karriere ist deine Entscheidung“, unterbreche ich sie scharf. „Meine Rente ist meine Zeit. Ich werde dienstags und donnerstags zum Töpfern und zum Seniorensport gehen. Das ist nicht verhandelbar.“ „Okay“, sagt Sandra leise.
„Okay. Wir finden eine Lösung.“
„Drittens“, ich drehe mich zu den Kindern, „und das ist das Wichtigste: Respekt. In meinem Haus gelten meine Regeln. Es gibt Gemüse, es gibt Hausaufgaben, und es gibt ‚Bitte‘ und ‚Danke‘. Und wenn ich jemals wieder höre, dass ich langweilig bin, weil ich euch keine Elektronik im Wert eines Kleinwagens schenke, dann bin ich weg. Und zwar endgültig. Dann könnt ihr die Sylt-Oma fragen, ob sie euch per Facetime tröstet.“
Lukas sieht mich mit großen Augen an. Er rutscht von seinem Stuhl, rennt um den Tisch und vergräbt sein Gesicht in meinem Bauch. „Tut mir leid, Oma. Du bist nicht langweilig. Du machst den besten Marmorkuchen.“
Mia folgt ihm. Ich spüre ihre kleinen Arme und den vertrauten Geruch von Kindershampoo, und der harte Knoten in meiner Brust beginnt sich langsam zu lösen.
Ich streichle Lukas über den Kopf. „Ich weiß, Spatz. Ich weiß.“
Ich blicke über die Köpfe der Kinder hinweg zu meiner Tochter. Sandra weint stumm. Sie sieht nicht mehr herablassend aus. Sie sieht dankbar aus. Und zum ersten Mal seit Jahren sehe ich in ihren Augen nicht die Erwartungshaltung einer Chefin, sondern den Respekt einer Tochter.
„Ist noch Kaffee da?“, fragt Mark vorsichtig.
„In der Kanne“, sage ich und zeige auf die Küchenzeile. „Aber hol ihn dir selbst. Ich bin gerade beschäftigt.“ Ich drücke meine Enkel fest an mich.
Es wird nicht perfekt werden. Ich weiß, dass sie wieder in alte Muster verfallen werden. Ich weiß, dass es Tage geben wird, an denen ich wieder müde bin. Aber etwas hat sich verändert. Ich bin nicht mehr die unsichtbare „Eintopf-Oma“. I
ch bin die Oma, die Bedingungen stellt. Die Oma, die ein eigenes Leben hat. Und Beate? Beate kann ihre iPads behalten. Ich habe etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann. Ich habe den Moment, wenn die Stille nach dem Sturm vorbei ist und man merkt, wer wirklich wichtig ist.
„Oma?“, fragt Mia an meiner Schulter.
„Ja, mein Schatz?“
„Können wir heute Marmorkuchen backen? Aber ohne iPads?“
Ich lächle. „Vielleicht.
Aber erst räumt ihr den Tisch ab.“ Mia seufzt, aber sie nimmt ihren Teller.
Es ist ein Anfang.






