Ich zog rechts ran, Motorhaube auf, Hände sofort schwarz, und ich merkte, wie sehr mir dieses Gefühl gefehlt hatte: ein Problem, das sich nicht durch Reden löst, sondern durch Tun.
Ein Schlauch war porös, ein kleiner Riss, genau da, wo man nicht hinsieht, bis es zu spät ist.
Ein Lieferwagen hielt hinter mir, und ein Mann stieg aus, Mitte fünfzig vielleicht, Bauch, Bart, Augen, die schon viel gesehen hatten, ohne daran kaputtzugehen.
Er sah Kuno, dann mich, dann die offene Haube.
„Brauchst du ’ne Hand?“ fragte er.
Ich nickte, ohne falschen Stolz, und das war vielleicht die größte Veränderung in mir.
Wir arbeiteten zusammen, wortarm, effizient, wie zwei Leute, die wissen, dass man nicht erklären muss, warum man hilft.
Als der Motor wieder rund lief, klopfte er mir auf die Schulter, als wären wir alte Kollegen.
„Wo willst du hin?“ fragte er.
„In die Alpen“, sagte ich. „So weit, wie Kuno mich trägt.“
Er nickte ernst, nicht sentimental. „Dann fahr nicht zu schnell. Und such dir einen Platz, wo du stehen darfst. Die Berge verzeihen viel, aber die Menschen manchmal weniger.“
Dann stieg er ein und fuhr weg, und ich blieb kurz stehen und dachte: So ist das. Manchmal kommt Hilfe in einem Lieferwagen und fährt wieder, ohne nach einem Namen zu fragen.
Gegen Abend fand ich einen kleinen Campingplatz am Rand eines Tales, nichts Schickes, nur Kies, ein Waschhaus und ein Blick auf Berge, die im Abendlicht aussahen, als würden sie glühen.
Ich stellte das Wohnmobil ab, und mein Herz klopfte schneller, als wäre ich nicht nur angekommen, sondern endlich irgendwo gelandet.
Der Platzwart kam, ein drahtiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und der Haltung von jemandem, der seine Regeln nicht aus Lust auf Macht hat, sondern weil sonst Chaos wäre.
Sein Blick fiel sofort auf Kuno.
„Hund?“ fragte er.
„Ja“, sagte ich. Und ich erwartete das Wort „Risiko“ wie einen Schlag.
Er musterte Kuno, diesen alten Jagdhund, der mehr Würde in den Knochen trug als manche Menschen in ihrem ganzen Kalender.
Dann kratzte sich der Platzwart am Kinn und sagte: „Der ist doch längst Rentner.“
Ich blinzelte. „Wie bitte?“
Er zuckte mit den Schultern. „Solang er nicht nachts die halbe Welt zusammenbellt und du den Dreck wegmachst: Mir egal. Der sieht aus, als hätte er sein Leben verdient.“
Ich atmete aus, und es war, als würde ein Gürtel um meine Brust ein Loch weiter gestellt.
„Danke“, sagte ich, und es klang peinlich groß für so einen einfachen Satz, aber manche Sätze sind groß, weil man sie zu selten hört.
In dieser Nacht kochte ich Nudeln auf dem Gaskocher, und Kuno bekam sein Futter, und wir saßen vor dem Wohnmobil wie zwei Leute, die sich zum ersten Mal seit langem nicht schämen mussten für ihren Platz.
Die Berge standen da, still und riesig, und in ihrer Stille lag kein Urteil.
Später, als es dunkel wurde und der Campingplatz leiser, hörte ich auf einmal ein Geräusch, das nicht in die Nacht passte.
Ein kurzes Winseln. Dann noch eins.
Kuno hob den Kopf, aber nicht wachsam, eher verwirrt.
Und dann – so schnell, dass mein Herz zu spät verstand – sackte er zur Seite, als hätte ihm jemand die Kraft unter den Pfoten weggezogen.
„Kuno!“ Ich war sofort unten, Hände an seinem Brustkorb, spürte seinen Atem, spürte, dass er da war, aber anders.
Seine Augen rollten, der Körper zuckte, nicht wie in seinen Träumen, sondern wie in einem Alarm, den ich nicht kannte.
Ich rief nach Hilfe, nicht laut dramatisch, sondern diese raue, echte Stimme, die aus Panik kommt, wenn man keine Worte mehr hat.
Der Platzwart war schnell da, und zwei andere Camper ebenfalls, Menschen in Jogginghosen und Jacken, plötzlich ganz wach, plötzlich ganz menschlich.
„Tierarzt“, sagte der Platzwart sofort. „Im Ort. Zehn Minuten.“
Er zeigte auf sein Auto. „Leg ihn rein.“
Ich hob Kuno, schwer wie Schuld und Liebe zusammen, und ich merkte, wie alt er geworden war, nicht nur im Gesicht, sondern in jedem Kilo.
Im Auto hielt ich seinen Kopf auf meinem Schoß, und mein eigener Atem war zu laut, zu schnell, als würde ich ihn damit festhalten können.
Die Tierärztin war eine Frau mit ruhigen Händen und Augen, die nichts verharmlosten, aber auch nichts kaputtredeten.
Sie sprach leise, während sie Kuno untersuchte, und ich hörte Worte wie „Alter“, „Kreislauf“, „Zeit“, und jedes davon war ein Stein in meinem Magen.
„Er ist zäh“, sagte sie schließlich, und das klang bei ihr nicht nach Trost, sondern nach Respekt.
„Aber Sie müssen verstehen: Er trägt viel mit sich. Nicht nur Gewicht.“
Ich nickte, weil ich nichts anderes konnte.
Kuno atmete wieder ruhiger, aber sein Körper wirkte plötzlich kleiner, als hätte ihn die Nacht ein Stück weggenommen.
Die Tierärztin legte mir eine Hand auf den Unterarm, kurz, sachlich, menschlich.
„Bleiben Sie heute Nacht in der Nähe“, sagte sie. „Wenn Sie wollen, können Sie mit dem Wohnmobil auf dem Hof stehen.“
Ich brachte das Wohnmobil auf den Hof, stellte den Motor ab, und die Stille danach war brutal.
Kuno lag drinnen, eingewickelt in sein eigenes Kissen, und ich saß daneben, starrte auf seine Flanken und zählte Atemzüge, als wäre das eine Art Gebet.
Irgendwann vibrierte mein Telefon.
Eine Nachricht von Sabine: „Bitte sag mir, dass es euch gut geht.“
Ich hielt das Handy in der Hand, lange, und ich hätte lügen können, um sie zu beruhigen, so wie man früher „Alles gut“ gesagt hat, wenn es nicht gut war.
Aber ich dachte an Würde, an Handschläge, an Wahrheit, die weh tut und trotzdem sauber ist.
Ich schrieb: „Kuno hatte einen schlimmen Moment. Wir sind beim Tierarzt. Er schläft jetzt. Ich auch gleich. Ich melde mich morgens.“
Dann schaltete ich das Display aus, als würde ich damit die Angst kurz wegdrücken.
Draußen über dem Hof stand der Mond über den Bergen, groß und kalt, und ich begriff, dass Freiheit keinen Vertrag hat.
Sie hat nur diesen Preis: dass du alles selbst trägst, auch die Nächte, in denen du dich wünschst, es gäbe irgendwo eine Rezeption, die sagt, was als Nächstes passiert.
Ich legte meine Hand auf Kunos Kopf.
„Hör zu, Gefährte“, flüsterte ich. „Du bist nicht nur mein Hund. Du bist mein Beweis, dass ich noch fühlen kann. Also bleib noch ein bisschen.“
Kuno bewegte die Ohren, minimal, und in diesem winzigen Zeichen lag mehr Antwort als in hundert Sätzen.
Ich lehnte mich zurück, und zum ersten Mal seit Tagen weinte ich nicht aus Verzweiflung, sondern aus Dankbarkeit, weil er noch da war.
Als der Morgen dämmerte, roch die Luft nach nassem Gras und kaltem Stein, und irgendwo klirrte eine Metalltür, weil jemand den Tag aufschloss.
Ich stand auf, steif wie ein alter Schraubstock, und trat raus, sah in die Berge, die jetzt nicht mehr glühten, sondern einfach da waren, massiv und ehrlich.
Ich dachte an Sabine, an ihre Wohnung, an ihre Regeln, an ihr Leben, das so voll war, dass selbst Liebe manchmal keinen Platz fand.
Und ich dachte: Vielleicht ist das hier nicht die Flucht vor dem Ende, sondern der Versuch, den Rest richtig zu machen.
Ich ging zurück ins Wohnmobil, setzte mich zu Kuno und sagte leise:
„Wenn du wieder aufstehst, fahren wir weiter. Nicht weil wir weglaufen, sondern weil wir noch etwas vorhaben.“
Kuno öffnete die Augen ein Stück, und obwohl sie trüb waren, sah ich darin dieses alte, sture Licht.
Dann schlug seine Rute einmal gegen das Polster: Poch.
Nur einmal.
Aber es klang wie ein Ja.






