Im Bewerbungsgespräch verspottet mich mein Mann, doch die Chefin erkennt sein Geheimnis

Die Stille im Haus war kein Zustand. Sie war ein Wesen.

Sie war in zwölf Jahren gewachsen, hatte sich in die Ritzen gesetzt – zwischen Schulweg und Fußballtraining, zwischen Wäschekörben und Einkaufslisten, zwischen „Gleich“ und „Später“.

Für Hannah Berger war diese Stille einmal beruhigend gewesen: das leise Summen eines Lebens, das sie im Griff hatte.

Jetzt drückte sie wie Watte auf den Ohren. Und jedes Mal, wenn sie in der Küche stand und den Kühlschrank schloss, hörte sie es: dass die Welt draußen weiterlief – ohne sie.

Elias und Marie waren keine Kinder mehr. Sie waren fünfzehn und dreizehn, und ihre Stimmen gehörten inzwischen mehr den Freunden im Handy als ihr. Das Haus – ein großes Einfamilienhaus in einem gepflegten Vorort nahe München – fühlte sich plötzlich nicht mehr nach Zuhause an. Eher nach einer Ausstellung: „Das war mal dein Leben.“

Deshalb stand Hannah jetzt im Gästezimmer, das sie in den letzten Tagen zu einem improvisierten Arbeitszimmer gemacht hatte.

Der Geruch von frischer Wandfarbe hing noch in der Luft. Auf einem schlichten weißen Tisch stand ein neuer Laptop, daneben ein Notizblock mit sauber sortierten Stichpunkten. Hinter ihrem Stuhl hatte sie ein Regal so gestellt, dass es im Video ordentlich aussah: ein paar Bücher, eine kleine Pflanze, nichts Auffälliges.

Alles war vorbereitet.

Heute war der Tag. Das letzte Gespräch. Die finale Runde.

Projektleitung bei einer jungen Softwarefirma in der Stadt – keine bekannte Marce, kein großer Name, aber genau das, wonach Hannah gesucht hatte: ein Einstieg, der kein Betteln war. Eine echte Position. Verantwortung. Ein Schritt zurück in ein Leben, das ihr wieder gehören konnte.

Sie strich zum zehnten Mal über das Revers ihres dunkelblauen Blazers. Der Stoff fühlte sich fremd an, wie ein Kostüm. Ihre Finger zitterten leicht.

Dann ploppte eine neue E-Mail auf.

Ihr Herz sprang.

„Hannah, ich freue mich auf unser Gespräch um 10:00 Uhr. — Klara Voss“

Klara Voss. Geschäftsführerin. Die Person, die im Unternehmen Entscheidungen traf. Die Person, die nicht fragte, ob sie darf.

Hannah starrte auf den Namen, als wäre er ein Versprechen.

Die Tür knarrte.

Marc stand im Rahmen. Kaffeebecher in der Hand. Diese selbstsichere, leicht amüsierte Falte um den Mund, die Hannah so gut kannte, dass sie sie schon spürte, bevor er überhaupt etwas sagte. Er war geschniegelt, Anzug, Krawatte, geschniegelt wie ein Mann, der morgens nur kurz in den Spiegel schauen musste, um zu wissen, dass die Welt ihm nicht widersprechen würde.

Sein Blick glitt über den Tisch, über das Ringlicht, über die Notizen.

„Na? Spielst du Büro, Schatz?“

Er sagte es freundlich. Fast beiläufig.

Aber die Worte landeten wie kleine Steine auf ihrer Brust.

Hannah zwang sich zu einem Lächeln. „Ich bereite mich vor. Das ist die letzte Runde.“

„Letzte Runde.“ Marc nahm einen Schluck. Seine Augen blieben an ihrem Gesicht hängen, als würde er etwas prüfen. „Und das ist… wie heißt die Firma noch mal?“

„Voss & Partner Solutions.“

„Ah, ja. Großes Ding.“ Er stellte den Becher ab, ging näher, beugte sich kurz über den Laptop, als gehöre er dazu. „Bist du sicher, dass du dafür… bereit bist? Das ist nicht…“ Er machte eine kleine Pause, als suche er das passende Wort. „… Elternbeirat.“

Hannah spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.

Marc war nie offen gemein. Er war präzise. Er konnte mit einem Halbsatz mehr kaputtmachen als andere mit einem Schrei.

„Ich habe mich vorbereitet“, sagte Hannah. „Ich habe Kurse gemacht. Ich habe mich eingelesen. Ich—“

„Eingelesen.“ Er grinste kurz, ohne Wärme. „Mit wem hast du dich denn ausgetauscht? Mit den anderen Müttern beim Kaffee nach dem Training?“

Hannah schluckte.

Marc ging zum Fenster, drehte sich dann wieder zu ihr, als würde er nun einen Vortrag halten. „Die fragen dich nach Kennzahlen. Nach Risiken. Nach Strategie. Wenn die wissen wollen, wie du ein Projekt in Europa aufsetzt – Datenschutz, Prozesse, Dienstleister – was sagst du dann? Weißt du, wer deren wichtigster Partner ist? Kennst du die letzten Umstrukturierungen im Management?“

Er schoss Fragen ab wie Pfeile. Eine nach der anderen.

Hannah hatte sich vorbereitet. Sie kannte die Produkte, die Ziele, die letzten Veröffentlichungen. Aber diese Detailtiefe – so plötzlich, so aggressiv – ließ ihren Kopf leer werden.

Er sah das. Natürlich sah er es.

Und dann wechselte er die Taktik.

Marc trat hinter sie, legte ihr die Hand auf die Schulter. Von außen hätte es wie Unterstützung ausgesehen. Für Hannah fühlte es sich an wie Besitz.

„Siehst du?“ Seine Stimme sank, ein geflüstertes Mitleid, das keines war. „Es ist eine andere Welt. Hart. Schnell. Ich will nur nicht, dass du enttäuscht wirst. Du bist… du bist so süß, wenn du dir was vornimmst. Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen, ja?“

Er drückte kurz zu. Dann ließ er sie los und verließ den Raum.

Der Duft seines Parfüms blieb zurück. Und mit ihm diese alte, vertraute Scham, die Hannah kaum noch als Scham erkannte, weil sie so lange zu ihrem Alltag gehört hatte.

Sie saß da, die Notizen vor sich. Die Hände leicht zitternd.

Vierzig-zwei. Zwei Teenager. Zwölf Jahre raus aus allem, was „Karriere“ hieß. Ein neuer Blazer, der sich wie eine Lüge anfühlte.

Vielleicht hatte er recht, flüsterte etwas in ihr.

Vielleicht war das hier nur… Spielen.

Dann fiel ihr Blick wieder auf die E-Mail.

Klara Voss.

Hannah spürte, wie sich etwas in ihr bewegte. Kein Mut, noch nicht. Eher… Ärger. Ein stiller, heißer Punkt irgendwo unter dem Brustbein.

Marc wollte nicht, dass sie scheiterte, weil er sie liebte.

Marc wollte, dass sie scheiterte, weil er es brauchte.

Weil sein Leben auf ihrer Ruhe stand. Auf ihrem Stillhalten. Auf dem Platz, auf den er sie vor zwölf Jahren geschoben hatte.

Hannah atmete tief ein. Richtete den Rücken. Legte die Hände auf die Tastatur.

In der dunklen Laptopoberfläche sah sie kurz ihr Spiegelbild. Angst war da. Ja.

Aber da war auch etwas anderes.

Ein Funken Trotz.

Sie klickte auf den Link.

Der Warteraum öffnete sich. Ein neutrales Blau. Ein Firmenlogo, das sich drehte.

Hannah hörte ihren eigenen Atem.

Ein. Aus.

Ein. Aus.

Sie war nicht mehr nur Zuschauerin.

Heute nahm sie das Mikrofon zurück.

Dann flackerte der Bildschirm, und die Kamera sprang an.

Klara Voss erschien.

Sie war so, wie Hannah sie auf dem Profilfoto gesehen hatte und gleichzeitig anders. Nicht geschniegelt. Nicht geschniegelt-oberflächlich. Eher… konzentriert. Als wäre jede Minute ihrer Zeit eine Ressource, die sie verteidigen musste. Dunkler, gerader Haarschnitt, klare Augen, schlichtes Oberteil, keine auffälligen Accessoires.

Hinter ihr: Glas, Stahl, grauer Himmel. Eine Stadt, die sich nicht entschuldigte.

„Frau Berger“, sagte Klara ruhig. „Schön, Sie zu sehen.“

Kein Wetter. Kein Smalltalk.

„Danke, dass Sie sich Zeit nehmen“, antwortete Hannah. Sie war überrascht, wie stabil ihre Stimme klang.

„Sagen Sie Klara.“ Ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln, das sofort wieder verschwand. „Ich habe Ihren Lebenslauf gelesen. Zwölf Jahre Pause. Viele Bewerberinnen kommen nach so einer Zeit über eine Teilzeit-Assistenz zurück. Sie bewerben sich auf eine Projektleitung. Warum glauben Sie, dass Sie das können?“

Es war eine Frage wie eine Klinge. Direkt. Ohne Polster.

Marc hatte so etwas vorhergesagt. „Blutbad“, hatte er gesagt.

Hannah sah Klara an. Und dachte: Nein. Ich bin nicht hier, um um Erlaubnis zu bitten.

„Zwölf Jahre Pause“, begann Hannah langsam. „Ja. Aber ich war nicht… weg. Ich war Projektleitung – nur eben privat. Ich habe zwei Kinder durch alle Phasen gebracht, ich habe drei Zeitpläne koordiniert, Termine jongliert, Budgets verwaltet, Konflikte gelöst. Ich habe Krisen gemanagt, die nicht auf PowerPoint standen.“

Sie merkte, wie sie beim Sprechen fester wurde.

„Die Fähigkeiten sind nicht verschwunden“, sagte sie. „Sie wurden getestet. Jeden Tag. Ohne Feierabend.“

In Klares Augen blitzte etwas auf. Vielleicht Humor. Vielleicht Respekt.

„Ein interessanter Vergleich“, sagte sie. „Aber wir sprechen hier nicht über ein Schulfest. Wir planen eine Plattform, die in mehreren Ländern eingesetzt werden soll. Datenschutz, Abläufe, Haftung, Partner. Was in Ihrer jüngeren Erfahrung bereitet Sie auf diese Komplexität vor?“

Das war der Moment, in dem Hannah sonst gestolpert wäre.

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