Teil 2 – Eine Woche später, als das Warmwasser ausfiel und der Keller nach kaltem Metall roch, musste sich zeigen, ob Opas Satz nur gut klang oder ob er mein Leben wirklich verändert hatte.
Der Heizkörper gluckerte, dann wurde es still. Ich drehte den Hahn auf und zu. Nichts. Nur das Heulen der Rohre wie ein fernes Meer, das keinen Strand mehr findet.
„Kein Warmwasser“, rief ich die Treppe hoch.
Opa erschien im Türrahmen, die Zeitung noch in der Hand. Er legte zwei Finger an das Rohr, als würde er Fieber messen.
„Ruf den Installateur“, sagte er. „Und hol den Ordner Hauskosten.“
Der Handwerker kam am Nachmittag, roch nach Zinn und Arbeit und stellte fest, was ich schon ahnte. Pumpe kaputt. Ersatzteil, Anfahrt, Einbau. Er nannte eine Zahl, die sich in meinem Bauch ausbreitete wie zu heißer Tee.
„Kann ich das auf Rechnung zahlen?“, fragte ich, merkte aber selbst, wie dünn meine Stimme klang.
„Wir zahlen heute“, sagte Opa ruhig. „Warte kurz.“
Er ging in sein Arbeitszimmer und kam mit einer alten Blechdose zurück. Kein Schloss, nur ein Deckel, der aufsprang, als hätte er sich gefreut, mal wieder gebraucht zu werden. Darin lagen vier Briefumschläge, sauber beschriftet. Haus. Arzt. Unerwartet. Freude.
„Ohne Freude hält keiner durch“, sagte Opa, als er meinen Blick sah. „Das ist wichtig.“
Er zählte Scheine aus dem Umschlag Unerwartet. Nicht gehetzt. Nicht geizig. Nur entschieden. Dann reichte er mir die Summe. Ich ging mit dem Installateur an die Haustür, bezahlte, und plötzlich war mir, als würde der Keller wärmer, noch bevor die Pumpe wieder lief.
Später saßen wir am Küchentisch. Opa legte die Blechdose zwischen uns.
„Mach dir auch Umschläge“, sagte er. „Es müssen keine echten sein. Von mir aus Gläser. Wichtig ist, dass jeder Euro einen Platz hat, bevor er kommt.“
Ich nickte. In meinem Kopf rutschten Zahlen an neue Orte. Nicht mehr überall und nirgendwo, sondern in Schubladen, die Namen hatten.
Am Abend schrieb ich vier Etiketten und klebte sie auf vier leere Einmachgläser. Fixkosten. Essen. Unerwartet. Freude. Ich füllte Kleingeld hinein. Es klirrte, als würde etwas zustimmen, das größer war als ich.
Am nächsten Tag gingen wir einkaufen. Opa schob langsam den Wagen, ich trug die Liste. Er blieb vor dem Regal mit den Nudeln stehen, zeigte auf das Preisschild.
„Nicht auf die Packung schauen“, sagte er. „Auf den Preis pro Kilo. Das ist der ehrliche Preis.“
Ich rechnete. Er lächelte. Wir nahmen nicht die hübscheste Packung, sondern die, die sich nicht schämte, ehrlich zu sein. Im Gemüse hing der Geruch von Erde und Geduld. Opa strich über einen Kohlrabi, als sei er ein alter Bekannter.
Zu Hause kochten wir Suppe, die nach Arbeit und Wohnen schmeckte. Ich fror zwei Portionen ein. Nicht aus Angst, sondern aus einem neuen Gefühl, das ich noch nicht benennen konnte. Vielleicht war es Ruhe im Voraus.
Abends schrieb mir eine Freundin. Geburtstag am Samstag. Dachterrasse, Drinks, später vielleicht noch weiter. Ich sah auf mein Glas Freude. Es war nicht leer, aber voll war es auch nicht.
Ich tippte und löschte. Tipperte wieder.
Dann schrieb ich: „Ich komme gern. Aber ich mache gerade Kassensturz mit mir. Wenn wir Sonntag eine Runde im Park drehen und ich bringe Kuchen mit, fände ich es noch schöner.“
Es dauerte. Ich hörte den Kühlschrank anspringen. Opa blätterte im Wohnzimmer in der Zeitung. Dann vibrierte das Handy.
„Ich finde dich mutig“, stand da. „Park ist perfekt. Und Kuchen erst recht.“
Ich las die Nachricht zweimal. Mutig hatte sich bisher immer anders in meinem Kopf angefühlt. Laut. Extravagant. Dies hier war leise. Es roch nach Filterkaffee.
Im Büro schaute ich am Montag auf die Zahlen unserer Kampagne. Budgets, Klickpreise, Ziele. Zum ersten Mal sah ich keine kalten Spalten mehr, sondern kleine Gläser auf dem Tisch der Firma. Ich machte eine Notiz, legte einen einfachen Plan für die nächsten Wochen an, sortierte Maßnahmen in Fix, Test, Unerwartet, Freude. Freude hieß in dem Fall: ein kleines Experiment mit einer Idee, die keiner ernst nahm. Ich stellte den Plan vor. Niemand klatschte. Aber die Chefin nickte und sagte, wir probieren es aus.
Abends klopfte Opa an meine Tür. In der Hand hielt er kein Bier und keine Fernbedienung, sondern ein Heft mit grauem Umschlag. Darin Seiten, auf die eine ordentliche Schrift Zahlen und kurze Sätze gesetzt hatte. Es begann 1983.
„Das ist mein Haushaltsbuch“, sagte er. „Ich habe es geführt, als die Zinsen bissig waren und die Aufträge gezählt werden mussten.“
Er zeigte auf Einträge, die mehr waren als Buchstaben. Miete. Brot. Strom. Dann stand da im März ein Posten, der größer war als alle anderen. Medikamente. Daneben ein kleiner Stern.
„Deine Oma war krank“, sagte er leise. „Wir brauchten teure Mittel. Ich habe Schichten getauscht, Nächte gemacht, tagsüber an der Werkbank gestanden. Und ich habe alles aufgeschrieben, weil man Dinge nur hungrig machen kann, wenn man ihnen einen Namen gibt. Die Angst wurde kleiner, wenn sie eine Zahl wurde.“
Ich strich mit dem Finger über das Papier. Die Seiten waren weich vom Leben. Kein Heldentum. Nur Beharrlichkeit, die keinen Applaus wollte.
Am Samstag gingen wir über den Flohmarkt. Es roch nach Waffeln, nach Regen, der auf warmes Pflaster fällt, nach alten Büchern, die Geschichten ausatmen. Opa blieb vor einem Stand mit Küchenzeug stehen. Er hob einen gusseisernen Topf hoch, schwer wie eine Entscheidung, die man endlich getroffen hat.
„Zwölf Euro“, sagte die Verkäuferin.
Opa legte den Topf auf den Tisch, strich über die Kante.
„Zehn und er bekommt jeden Sonntag Arbeit“, sagte er.
Die Frau lachte. „Zwölf und er bekommt jede Woche Applaus.“
„Elf und ich bringe Suppe“, sagte Opa.
Sie nickte. Wir trugen den Topf nach Hause, als hätten wir etwas gerettet. Am Abend kochte ich Linseneintopf. Der Duft zog durch den Flur, mild und warm. Frau Mertens aus dem Erdgeschoss klingelte, hielt eine Schale hoch.
„Manche Düfte sind lauter als Türglocken“, sagte sie. „Darf ich ein bisschen mit nach oben nehmen?“
Wir gaben ihr eine Schöpfkelle voll und sie gab uns dafür zwei Geschichten aus ihrem Leben und ein Kompliment für den Topf.
Am Sonntag machte ich meine Gläser neu. Ich erhöhte den Dauerauftrag um fünfzig Euro. Es war nicht viel. Aber es war eine Richtung. Ich schrieb an die Innenseite des Schrankes eine kleine Liste. Fixkosten. Offene Punkte. Und dann Ziele. Ein Monat Puffer. Zwei Monate Puffer. Ruhefonds. Ich malte neben jedes Ziel ein Kästchen. Leere Kästchen, die nicht schimpften, sondern einluden.
Am Montag lag ein Brief im Flur. Absender Verwaltung. Nachzahlung Nebenkosten für die alte Wohnung. Die Zahl war nicht so hoch wie der Heizungsdienst, aber hoch genug, um mir die Schultern kurz eng zu machen.
Ich nahm den Umschlag, ging in die Küche und legte ihn neben die Blechdose. Opa kam herein, sah auf den Tisch, sagte nichts. Er setzte Wasser auf und holte zwei Tassen.
„Wir zahlen“, sagte er, als der Tee zog. „Und wir lernen.“
„Was lernen wir?“, fragte ich.






