Im Keller meines Opas lernte ich, dass Ruhe der wahre Luxus ist

„Dass Unerwartet doch sehr oft kommt“, sagte er. „Darum bleibt der Umschlag nie leer. Und die Freude auch nicht.“

Ich nahm die Hälfte aus meinem Unerwartet Glas, die andere Hälfte aus meinem Freude Glas. Es tat weh. Aber nicht so, wie ich es kannte. Früher fühlte sich zahlen an wie Verlust. Jetzt war es wie ein Pflaster, das man in Ruhe abzieht. Nicht schön. Aber richtig.

Am Abend saßen wir mit zwei kleinen Stückchen Streuselkuchen am Tisch. Opa schnitt jede Hälfte noch einmal durch, sehr gleichmäßig, wie jemand, der sein Leben mit ruhiger Hand teilt. Der Kuchen schmeckte nach nicht viel. Und doch nach allem, was zählt.

„Weißt du“, sagte Opa, „man kann sich vieles abgewöhnen. Ungeduld. Vergleiche. Trostkäufe. Aber man sollte sich nie abgewöhnen, sich zu freuen.“

Ich nickte. Draußen wurde es früh dunkel. Drinnen war Licht. Kein großes. Ein kleines, das ausreichte.

In der Woche darauf merkte ich, wie sich etwas in mir verschoben hatte. Ich scrolle weniger, ich koche mehr, ich schaue seltener auf Preise und häufiger auf Werte. Ich trainiere ein neues Muskelgedächtnis. Die Hand, die nicht bestellt. Der Fuß, der einen Stopp mehr läuft. Der Kopf, der erst schläft und dann entscheidet.

Im Büro fragte mich die Chefin, ob ich am Freitag die Ergebnisse der kleinen Testkampagne vorstellen könne. „Du scheinst einen Blick für Ordnung in Zahlen zu haben“, sagte sie. Ich lächelte. Vielleicht, dachte ich, fangen berufliche Chancen manchmal genau da an, wo das private Chaos aufhört.

Am Donnerstagabend schrieb Opa etwas an den Rand seines Küchenkalenders. Arzt Mittwoch. Ein Wort, ein Tag, sonst nichts. Seine Schrift blieb ruhig, nur der Stift hielt einen Moment zu lange inne. Ich sah den kleinen zitternden Punkt am Ende der Linie.

„Routine“, sagte er, als er meinen Blick bemerkte. „Einmal Kontrolle.“

Ich nickte. Die Ruhe im Keller fühlte sich einen Herzschlag lang an wie eine Pause, nicht wie Frieden.

Später lag ich auf dem Sofa, hörte die Rohre leise murmeln und dachte an meine Gläser im Schrank. An den Topf auf dem Herd. An den Brief, den wir bezahlt hatten, ohne zu schimpfen. An das Wort, das Opa mir geschenkt hatte. Ruhe.

Man spart für Zahlen. Man lernt für Zahlen. Man plant für Zahlen. Aber am Ende der Woche begriff ich, dass es nie nur um Zahlen geht. Es geht um die Fähigkeit, stehen zu bleiben, wenn etwas in einem Haus, in einer Stadt, in einem Körper unruhig wird. Und darum, nicht allein zu sein, wenn es stiller wird, als man wollte.

Als ich das Licht ausmachte, fiel mein Blick noch einmal auf den Kalender. Arzt Mittwoch. Ich strich mit dem Finger darüber, als könnte ich das Wort glatter machen.

„Nur Routine“, hatte er gesagt.

Ich beschloss, am Mittwoch frei zu nehmen. Nicht, weil ich Angst hatte. Weil ich kapiert hatte, worum es eigentlich geht, wenn man sagt, man wolle später mehr können.

Später ist manchmal nur ein Mittwoch.

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