Josie und das Zeitungsbündel | Sie fand nur einen Welpen im Zeitungshaufen doch das, was folgte, rührte ein ganzes Dorf

🐾 Teil 7: Die Stimme im Kasten

Am frühen Morgen war der Himmel rot wie glühende Kohle.
Josie schlüpfte leise aus dem Bett, streifte sich den Pullover über und trat mit Bunti hinaus in den Garten.
Die Kälte biss ihr in die Wangen, doch sie spürte keine Müdigkeit.

Sie setzte sich auf die alte Holzbank unter dem Apfelbaum.
Bunti sprang hinauf, legte den Kopf auf ihren Schoß.
Alles war still. Nur ein einzelner Vogel sang irgendwo in der Ferne.

Dann hörte sie Schritte.
Zögerlich, vorsichtig.
Josie hob den Blick.

Ein Mädchen stand am Zaun.
Dunkle Kleidung, das Gesicht halb verborgen unter einer Mütze.
Sie sagte nichts, aber ihre Augen blickten direkt in Josies.

Josie stand auf.
„Du bist Leonie.“
Ein Nicken.

Sie trat langsam näher, Bunti blieb ruhig.
„Warum versteckst du dich?“

Die Stimme kam leise, fast brüchig.
„Weil ich nicht wusste, ob es jemand versteht.“

Josie reichte ihr die kleine Metallmarke.
„Ich hab ihn gefunden. Genau da, wo du ihn hingelegt hast.“

Leonie nahm die Marke in die Hand.
Ihre Finger zitterten.
Dann sagte sie:
„Ich hab noch was für dich. Aber ich kann es nicht bringen. Es liegt im alten Schrank bei Monika. Unten, ganz hinten.“

Bevor Josie antworten konnte, war Leonie schon wieder verschwunden.
Kein Wort mehr. Kein Blick zurück.


Eine Stunde später standen sie wieder im Haus am Waldrand.
Die Dielen knarrten unter ihren Schritten, der Staub hing schwer in der Luft.
Paul hielt die Taschenlampe, Josie suchte systematisch jedes Fach ab.

Der Schrank in Monikas Schlafzimmer war aus dunklem Holz, mit Messinggriffen.
Im untersten Fach, hinter alten Wolldecken, lag eine verschlossene Blechkiste.
Kein Schloss, nur ein Riegel.

Josie öffnete sie mit vorsichtigen Fingern.
Drinnen lag ein kleiner Kassettenrekorder, daneben eine einzelne Kassette in einer beschrifteten Hülle.

„Für später wenn jemand zuhört“

Paul holte Batterien aus seiner Tasche.
„Hab ich vorsichtshalber eingepackt.“

Der Rekorder klickte, dann ein leises Rauschen.
Schließlich ertönte eine Stimme alt, brüchig, aber eindeutig weiblich.

„Ich bin Monika Breuer. Wenn du das hörst, dann bist du entweder mutiger als ich… oder noch auf der Suche.“

Josie hielt den Atem an.
Die Stimme sprach weiter.

„Ich habe Dinge gesehen, die ich nicht vergessen konnte. Kinder, die in kalten Nächten draußen schlafen mussten. Hunde, die niemand mehr wollte. Und eine Tochter, die irgendwann nicht mehr sprach.“

Eine Pause, dann ein schweres Ausatmen.
„Leonie hat gelitten. Nicht an mir, sondern an dem, was ich nicht sagen konnte. Ich habe zu viel geschwiegen. Ich dachte, Schweigen schützt. Dabei macht es nur einsam.“

Josie spürte, wie Paul ihr leicht die Hand auf die Schulter legte.

„Wenn du Leonie findest“, sagte die Stimme, „dann sag ihr, dass sie nie falsch war. Dass sie geliebt wurde. Auch wenn ich es nicht oft genug gesagt hab.“

Ein letztes Rauschen, dann Stille.


Sie saßen lange schweigend im Wohnzimmer.
Der Kassettenrekorder lag auf dem Tisch wie ein kleiner Zeuge vergangener Schuld.

„Sie wollte, dass es nicht endet wie bei ihr“, sagte Paul schließlich.
„Deshalb die Zettel. Die Hinweise. Das alles war kein Spiel. Es war ein Ruf.“

Josie stand auf.
„Wir müssen ihr das vorspielen. Sie muss wissen, dass es gesagt wurde.“


Am Nachmittag fuhren sie zurück zur Streuobstwiese.
Josie trug den Rekorder in einem Rucksack, Bunti lief aufgeregt voraus.

An der alten Hütte angekommen, legte sie den Rekorder vorsichtig auf die Bank vor dem Eingang.
Daneben einen Zettel:

„Für Leni. Nur zuhören. Kein Wort zu sagen.“

Sie zogen sich zurück, blieben auf Abstand, versteckt hinter den Bäumen.
Es dauerte fast eine Stunde.
Dann sahen sie, wie eine Gestalt sich der Hütte näherte.

Leonie.
Sie blieb stehen, starrte auf den Rekorder.
Dann setzte sie sich, drückte auf Play.

Josie konnte nicht hören, was gesagt wurde. Aber sie sah die Schultern zucken.
Einmal wischte sich Leonie übers Gesicht.
Dann stand sie auf, hob den Rekorder hoch und hielt ihn an sich wie etwas Kostbares.


Am Abend klopfte es an der Tür.
Paul öffnete.
Leonie stand da, mit einer Tüte in der Hand.

„Für euch“, sagte sie leise.
„Selbstgebacken. Nichts Besonderes.“

Paul lächelte.
„Das Beste ist oft das, was mit Herz gemacht wurde.“

Josie trat dazu.
Bunti sprang an Leonies Beinen hoch, leckte ihre Hand.
Sie streichelte ihn, und diesmal lachte sie leise.

„Er hat sich nicht verändert. Immer noch ein kleiner Dickkopf.“

„Wie du?“, fragte Josie.
Leonie nickte.
„Vielleicht. Aber ich will’s nicht mehr verstecken.“

Sie gingen gemeinsam in die Küche.
Kerzenlicht, Teetassen, das Geräusch eines Wasserkochers.
Ein Abend wie jeder andere und doch der Beginn von etwas Neuem.


Bevor Leonie ging, hielt sie noch einmal inne.
„Ich weiß nicht, ob ich bleibe. Vielleicht nicht hier. Aber… ich komme wieder.“

Josie reichte ihr einen kleinen Umschlag.
Darin die Marke von Flocke.

„Er war nie wirklich fort.“
Leonie nickte.
„Ich auch nicht.“

Scroll to Top