Josie und das Zeitungsbündel | Sie fand nur einen Welpen im Zeitungshaufen doch das, was folgte, rührte ein ganzes Dorf

🐾 Teil 9: Das Versprechen am Fluss

Es war der erste Tag mit echtem Sonnenschein nach vielen grauen Wochen.
Die Äste der Apfelbäume glitzerten, als hätte der Frost sie in Zucker getaucht.
Josie stand mit den Händen in den Taschen an der Böschung des kleinen Flusses, der sich hinter dem Garten entlangschlängelte.

Bunti sprang durch das hohe Gras, bellte fröhlich und jagte einem Blatt hinterher.
Paul lehnte am alten Weidepfahl, eine Thermoskanne unter dem Arm.
Leonie und Timo kamen den Hang herab, langsam, fast feierlich.

„Hier also“, sagte Leonie leise.
„Hier wollte sie früher immer ein neues Tierheim bauen. Nicht groß. Nur drei Zwinger. Mehr brauchte sie nicht.“

Josie sah zu ihr hoch.
„Monika?“
Leonie nickte.
„Sie meinte, dort wo Wasser ist, heilt es. Weil alles weiterfließt. Selbst das, was einmal stillgestanden hat.“

Sie stellte ihre Tasche auf die Bank, die Paul vor Tagen hier aufgebaut hatte.
Darin war ein alter Ordner.
Der Titel: Projekt Morgenlicht

„Sie hat es nie geschafft“, murmelte Leonie.
„Aber vielleicht ist jetzt die Zeit.“


Am Nachmittag saßen sie zu viert in der Küche.
Der große Esstisch war voll mit Papieren, Stiften, Skizzen.
Paul hatte einen Plan gezeichnet, wie man aus dem alten Schuppen hinter dem Bahndamm einen Unterschlupf machen könnte.

„Kein offizielles Tierheim“, sagte er, „aber ein Ort, an dem man für eine Weile bleiben kann. Zwei Hunde, vielleicht drei. Mehr nicht.“

Timo zeichnete eine Rampe für alte Hunde, Leonie schrieb eine Liste mit Dingen, die man brauchen würde.
Josie malte ein Schild mit Buntstiften:
Zuhause auf Zeit

Bunti saß auf einem alten Kissen am Fenster.
Er beobachtete das Treiben wie ein alter Wächter, der wusste, dass sein Platz gesichert war.


Am Abend packten sie alles zusammen.
Leonie blieb noch einen Moment allein in der Küche.
Josie trat leise zurück, wollte sie nicht stören.

Sie sah, wie Leonie das kleine Bild von Flocke in die Hand nahm, das sie aus dem Album ausgeschnitten hatte.
Dann sprach sie leise:
„Ich hab’s fast vergeigt, Flocke. Aber sie haben mich nicht aufgeben lassen. Ich verspreche dir – diesmal bleib ich.“

Als sie sich umdrehte, stand Josie im Türrahmen.
Sie sagte nichts.
Aber sie lächelte.
Und Leonie lächelte zurück.


Am nächsten Morgen war es still.
Nur das Zwitschern der ersten Vögel und das sanfte Klirren von Timos Werkzeug, der draußen am Schuppen arbeitete.

Josie ging mit Bunti am Fluss entlang.
Die Sonne spiegelte sich im Wasser, kleine Wellen tanzten um die Steine.
Sie dachte über alles nach.
Über den Anfang, den Zeitungshaufen, die Zettel.
Über all die Fragen, die sie gestellt hatte.
Und über die Antworten, die kamen – nicht auf einmal, aber zur richtigen Zeit.

Sie setzte sich ans Ufer.
Bunti schmiegte sich an sie, sein Fell warm gegen ihre Wange.

Dann hörte sie Schritte.
Leonie kam mit einem alten Pinsel und einem Farbeimer.

„Ich dachte, du willst das Schild vielleicht selber anbringen“, sagte sie.
Josie nickte.
Sie standen auf, liefen gemeinsam zum Eingang des Schuppens.

Das Schild war aus einfachem Holz.
Die Buchstaben hatte Josie bunt gemalt.
Darüber, in kleiner Schrift:
In Erinnerung an Monika und Flocke

Sie schlug den ersten Nagel ein.
Mit ruhiger Hand, fester als man es einem zehnjährigen Mädchen zugetraut hätte.


In den nächsten Tagen kamen die ersten Nachbarn vorbei.
Ein alter Mann mit einem kranken Dackel.
Eine junge Mutter mit einem Wurf Welpen, den sie nicht behalten konnte.

Leonie sprach mit jedem Einzelnen.
Timo half beim Füttern, beim Streichen, beim Tragen.
Paul telefonierte mit einem befreundeten Tierarzt, der anbot, die Grundversorgung zu übernehmen.

Josie war überall zugleich.
Sie spielte mit den Hunden, verteilte Decken, klebte neue Namensschilder an die Körbchen.

Am Abend schrieb sie in ihr Tagebuch:

„Wir haben keinen großen Ort.
Aber wir haben offene Türen.
Und vielleicht ist das alles, was zählt.“


An einem dieser Abende, als die Dämmerung über die Wiese kroch, klopfte es leise an der Hintertür.
Josie öffnete.

Ein Junge stand da. Vielleicht dreizehn.
Sein Blick war unsicher, sein Mantel zu dünn.
Hinter ihm, ein kleiner Hund, mager, mit struppigem Fell.

„Ich… ich hab gehört, hier kann man bleiben. Für ein paar Nächte.“
Josie trat zur Seite.
„Drinnen ist warm.“

Der Junge trat ein.
Der Hund zögerte, dann folgte er.

Paul brachte eine Decke, Leonie einen warmen Kakao.
Niemand stellte viele Fragen.

Denn sie alle wussten:
Manchmal beginnt Heilung nicht mit einem Gespräch, sondern mit einem offenen Tor.


Später fragte Paul, während er Holz im Kamin nachlegte:
„Und wie nennen wir ihn?“
Josie sah zu dem kleinen Hund, der nun zusammengerollt im Korb lag.

Sie lächelte.
„Vielleicht… Morgenstern. Weil er genau dann kam.“

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