Josie und das Zeitungsbündel | Sie fand nur einen Welpen im Zeitungshaufen doch das, was folgte, rührte ein ganzes Dorf

🐾 Teil 10: Die letzte Seite

Der Dezember kam still.
Kein Schnee, nur kalte Luft und frühe Dunkelheit.
Doch rund um den alten Schuppen am Fluss war Leben.
Lichterketten hingen in den Fenstern, aus dem Kamin stieg Rauch auf, und das Schild „Zuhause auf Zeit“ glänzte im Licht der Laterne.

Josie saß auf dem Boden neben Bunti.
Er war gewachsen, sein Fell war glänzend geworden, das Auge fast vollständig verheilt.
Nur das eingerissene Ohr blieb als Erinnerung.
An den Anfang.
An den Zeitungshaufen.
An den Zettel.

Paul schlug das große Buch auf, das sie in den letzten Wochen gemeinsam geführt hatten.
Darin standen alle, die gekommen waren.
Menschen. Hunde. Geschichten.
Kurze Einträge, oft nur ein paar Sätze.

„Milo – gefunden am Bahndamm, scheu – jetzt bei Familie Berger“
„Elsa – alte Hündin mit traurigem Blick – seit gestern wieder schwanzwedelnd“

Leonie schrieb gerade einen neuen Eintrag.
Der Junge mit dem zu dünnen Mantel war geblieben.
Sein Name war Emil.
Sein Hund hieß Lupo.
Und beide hatten ein Zimmer im alten Bahnwärterhäuschen bezogen, das Paul notdürftig hergerichtet hatte.


An diesem Abend, kurz vor dem Einschlafen, hörte Josie ein leises Geräusch an ihrem Fenster.
Ein leichtes Klopfen.
Sie öffnete vorsichtig.

Auf der Fensterbank lag ein kleiner Umschlag, sorgfältig mit Kordel verschnürt.
Kein Absender.
Nur ein einziger Satz auf der Rückseite:
„Für die, die weitergehen.“

Sie öffnete ihn mit zitternden Fingern.
Darin: ein Zeitungsausschnitt.
Vergilbt, eingerissen, aber noch lesbar.

„Unbekanntes Mädchen rettet streunenden Hund und verändert ein Dorf.“
Das Foto zeigte sie.
Josie, mit Bunti auf dem Arm, unter dem Apfelbaum.

Sie drehte die Rückseite um.
Jemand hatte mit Tinte dazugeschrieben:
„Die letzte Seite ist erst geschrieben, wenn man aufhört, Fragen zu stellen.“

Josie presste das Papier an ihre Brust.
Sie verstand jetzt.


Am nächsten Morgen setzte sie sich mit Leonie an den Küchentisch.
„Ich glaube, das war ihr“, sagte sie leise.
„Monika. Oder wer auch immer hinter all den Zetteln stand.
Vielleicht war es nicht nur eine Person. Vielleicht war es die Geschichte selbst.“

Leonie nickte.
„Oder das, was davon übrig bleibt, wenn man nicht loslässt.“

Sie legten den Zeitungsausschnitt ins große Buch.
Ganz hinten, auf die letzte Seite.
Darunter schrieb Josie in ruhiger, klarer Schrift:

„Und manchmal ist das größte Zuhause ein Herz, das offen bleibt.“


Zu Weihnachten kamen viele Besucher.
Menschen aus dem Dorf, ein paar Kinder aus dem Kinderheim, sogar die Tierärztin Frau Dr. Köhler mit einer Torte in der Hand.

Timo stand am Feuer und spielte leise Gitarre.
Leonie bereitete Tee aus Kräutern, die sie selbst gesammelt hatte.

Paul erzählte am Rande vom allerersten Tier, das er als Junge gerettet hatte.
Ein Igel, der sich im Maschendraht verfangen hatte.
Alle lachten, als er gestand, dass er ihm damals den Namen „Professor Pieks“ gegeben hatte.

Josie saß auf der Treppe und beobachtete das alles.
Es war kein großes Fest.
Aber es war das richtige.


Später, als der Abend still wurde, legte sie sich mit Bunti in den Arm zurück aufs Sofa.
Der Kamin knisterte leise, draußen fielen die ersten Schneeflocken.

„Weißt du“, flüsterte sie, „ich hab nie gedacht, dass ein Zeitungsbündel so viel verändern kann.“
Bunti hob kurz den Kopf, leckte über ihre Hand und ließ sich wieder fallen.

Josie schloss die Augen.
Sie dachte an all die Wege, die sie gegangen waren.
An Monikas Stimme auf dem Tonband.
An Leonies Tränen.
An den Jungen mit dem weißen Schal.
An Flockes Grab.
An den Satz: „Nicht jeder Abschied ist das Ende.“

Und sie wusste jetzt: Es war kein Ende.
Es war der Anfang von etwas, das blieb.


Ein paar Wochen später, im neuen Jahr, kam ein Brief mit der Post.
Kein Absender.
Aber innen: eine Zeichnung.
Ein Hund mit zerzaustem Ohr und einem Mädchen, das ein Buch in der Hand hielt.

Darunter:
„Für Josie, die erste Seite hat schon alles gesagt. Danke, dass du weitergeschrieben hast.“

Scroll to Top