Knopfs Briefe | Ein Mädchen schreibt ihrem toten Hund Briefe und bekommt plötzlich welche zurück

Teil 7: Der fremde Hund

Es war ein Mittwoch, kurz nach dem Mittag. Die Sonne stand tief, obwohl es erst Februar war, und der Schnee am Wegrand hatte sich in braunen Matsch verwandelt. Leni ging langsam nach Hause. Der Schulranzen drückte schwer auf den Schultern, aber ihre Gedanken waren leicht – sie hatte heute einen neuen Brief an Knopf geschrieben und ihn unter die große Wurzel am Apfelbaum gelegt.

Sie wusste nicht, warum sie das tat. Es war einfach… richtig.

Als sie die letzte Straße vor dem Haus entlangging, hörte sie es.

Ein leises, kehliges Winseln.

Leni blieb stehen. Sie drehte sich um – und sah ihn.

Ein Hund.

Er stand zwischen zwei parkenden Autos, halb im Schatten. Nicht groß, nicht klein. Schlanker Körper, aufgerichtete Ohren, struppiges Fell. Grau-braun, fast wie Knopf. Aber die Augen waren anders – hell, fast bernsteinfarben.

Der Hund blickte sie direkt an. Kein Schwanzwedeln. Kein Knurren. Nur dieser Blick.

Und dann – bewegte er sich langsam auf sie zu.


Leni hielt den Atem an.
„Knopf?“, flüsterte sie, obwohl sie wusste, dass das unmöglich war.

Der Hund blieb ein paar Schritte entfernt stehen. Seine Brust hob und senkte sich schnell, als wäre er lange unterwegs gewesen. Am Hals trug er kein Halsband.

„Na du?“, sagte Leni vorsichtig und ging in die Hocke.

Der Hund zögerte – dann trat er näher.

Einen Moment lang berührte seine Nase ihre Fingerspitzen.

Warm. Echt.

Leni spürte einen Stich im Herz. Kein Schmerz – eher ein Wiedererkennen. Wie wenn man einen Geruch riecht, der einen zurück in die Kindheit katapultiert.

Sie streichelte sanft über sein Fell.

„Du bist nicht Knopf“, flüsterte sie. „Aber du weißt was von ihm.“


Der Hund setzte sich. Direkt vor ihr.
Dann schaute er sie lange an.

Leni hatte das Gefühl, es war kein leerer Blick. Kein gewöhnliches Tierverhalten.

Da war etwas.

Verstehen. Nähe. Und… Geduld.

„Gehst du mit mir mit?“, fragte sie leise.

Der Hund stand auf.

Und folgte ihr.


Ihre Mutter war nicht zu Hause.
Also ging sie mit dem Hund vorsichtig durch die Hintertür in den Garten. Dort legte sie ihm eine alte Decke auf die Holzbank unter dem Apfelbaum. Der Hund legte sich hin, ohne Widerrede.

Sie betrachtete ihn im Sonnenlicht.

Er hatte Narben an der rechten Schulter. Eine leicht geknickte Pfote. Und ein kleines Stück vom rechten Ohr fehlte.

Ein Hund mit Geschichte.

Sie holte eine Schüssel Wasser, einen Rest vom Mittagessen – Bratkartoffeln mit Ei –, und legte alles vor ihn hin.

Er fraß langsam. Mit Würde. Nicht gierig.


Als ihre Mutter später zurückkam und durch das Küchenfenster nach draußen sah, sagte sie nur:
„Ein Streuner?“

„Ich glaube… er ist nicht ganz fremd“, antwortete Leni.

„Dann soll er bleiben. Aber nur, wenn er dich wirklich will.“


In der Nacht schrieb Leni.

Lieber Knopf,

Heute ist ein Hund zu mir gekommen.

Er hat nichts gesagt. Aber ich glaube, er hat dich gerochen.

Vielleicht hast du ihn geschickt. Oder vielleicht war er schon lange unterwegs.

Jedenfalls – ich hab ihn „Streifen“ genannt.
Wegen dem Muster auf seinem Rücken.

Er schläft draußen. Direkt unter dem Apfelbaum.

Und ich hab keine Angst.

Deine Leni


In den nächsten Tagen wich Streifen nicht von ihrer Seite.
Er begleitete sie bis zur Schule. Wartete an der Ecke. Holte sie am Nachmittag wieder ab.

In der Nachbarschaft flüsterten die Leute.

„Dieser Hund… wo kommt der her?“
„So ruhig, so klug… ist das nicht seltsam?“
„Ich hab ihn nie bellen gehört.“

Frau Winter streichelte ihn eines Tages sanft und sagte nur:
„Alte Seele.“


Eines Morgens, als der Tau auf dem Gras glitzerte, legte Streifen etwas auf die Fußmatte vor Lenis Zimmertür.

Ein zusammengefaltetes Blatt.

Es war… ihr Brief an Knopf. Der vom Montag. Sie hatte ihn doch unter der Wurzel gelassen.

Jetzt war er zurück.

Sauber. Unzerknittert. Als hätte ihn jemand bewacht.

Leni faltete ihn auf – und fand etwas Neues.

Ein Pfotenabdruck.
Nicht scharf. Aber deutlich.
Als hätte jemand mit der nassen Pfote darauf gedrückt.


Sie rannte zu Streifen.
Er lag, wie immer, unter dem Apfelbaum.
Sah sie an, als wüsste er genau, was sie in der Hand hielt.

„Warst du das?“, flüsterte sie. „Hast du ihn gelesen? Oder… gebracht?“

Streifen antwortete nicht. Natürlich nicht.

Aber er stand auf, kam zu ihr – und leckte ihr ganz langsam über die Hand.

Wie Knopf es getan hatte.


In dieser Nacht schrieb sie einen anderen Brief.

Lieber Streifen,

Ich weiß, du kannst nicht schreiben.

Aber vielleicht kannst du lesen. Oder riechen. Oder spüren.

Ich danke dir. Dass du gekommen bist.

Du bist anders. Aber du bist da.

Und ich bin nicht mehr allein.

Wenn du Knopf siehst – sag ihm: Ich bin okay.

Ich weine nicht mehr jeden Tag.

Deine Freundin,
Leni


Sie legte den Brief unter das alte Ofengitter im Garten.
Streifen beobachtete sie dabei, als wüsste er, was das bedeutete.

Und dann, in der Dämmerung, hob er den Brief vorsichtig mit der Schnauze auf – und trug ihn fort.

Doch eines Morgens war Streifen verschwunden – und Leni fand stattdessen etwas ganz anderes vor dem Haus.

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