Lotta und der letzte Bus | Sie wartete jeden Abend auf den Bus doch was ihr Hund tat, veränderte alles

Sie kam jeden Abend zur Bushaltestelle.

Nicht weil sie irgendwohin wollte, sondern weil jemand fehlte.

Neben ihr: ein alter Hund, der nicht sprach, aber alles verstand.

Sie glaubte, sie hatte ihn gerettet.

Doch in Wahrheit hatte er sie gefunden, als niemand anders mehr kam.

🐾 Teil 1: Der verpasste Bus

Es war ein Dienstag im Oktober, der Himmel über Leipzig schwer wie eine nasse Decke. Die Blätter klebten an den Schuhsohlen, und die Straßenbahnen zogen mit trübem Quietschen an den Haltestellen vorbei. Lotta Kramer stand an der Bushaltestelle vor dem Seniorenheim „Rosenhain“ und schloss langsam ihre Handtasche.

Sie hatte sich wieder verquatscht. Margarete hatte geweint. Und Frau Loos hatte unbedingt noch zeigen müssen, wie sie alte Briefmarken sortierte. Lotta war höflich geblieben. Doch nun stand sie allein, der letzte Bus nach Gohlis war schon längst weg.

Sie atmete tief ein, kramte ein Bonbon aus der Manteltasche und begann zu gehen. Ihr Gang war ruhig, aber nicht mehr sicher. Hüfte und Knie meldeten sich regelmäßig. Sie nahm den Weg über den Nordfriedhof, der war kürzer und stiller. Nur die Krähen begleiteten sie.

Nach ein paar hundert Metern spürte sie es.

Nicht gesehen. Nur gespürt.

Ein leises Tapsen hinter ihr. Kein Mensch. Keine Taschenlampe. Nur Schritte, leicht, weich, wieder verschwindend im Laub.

Sie blieb stehen.

Es raschelte kurz. Dann nichts.

Lotta drehte sich langsam um.

Am Rande des Weges, halb verborgen im Schatten eines Ahorns, saß ein Hund. Groß, zottelig, mit hängenden Ohren und einem Ausdruck im Gesicht, der weder Angst noch Neugier zeigte sondern so etwas wie geduldiges Warten.

„Na du?“, sagte Lotta leise.

Der Hund rührte sich nicht.

Sie ging weiter. Und hörte wieder die Schritte.

Bis zu ihrer Haustür in der Kantstraße blieb er in sicherem Abstand hinter ihr. Nicht aufdringlich. Nicht bettelnd. Nur dabei.

Sie suchte den Schlüssel, sah sich noch einmal um und da war er, ganz nah jetzt, saß einfach da, als gehöre das so.

„Ich hab nichts für dich“, murmelte sie und schloss die Tür.

Am nächsten Morgen, kurz nach sieben, öffnete sie das Fenster.

Der Hund lag immer noch da. Auf dem Bürgersteig, eingerollt, den Kopf auf den Pfoten. Als hätte er gewacht. Als hätte er gewartet.


Sie nannte ihn nicht beim Namen. Denn er hatte keinen. Und sie wollte sich nicht binden.

Aber als sie am Nachmittag wieder zum Seniorenheim aufbrach, ging er neben ihr her. Schritt für Schritt, ohne Leine, ohne Kommando. Nur mit dem ruhigen Ernst, den alte Hunde und alte Menschen gemeinsam haben.

Er wartete vor dem Tor, als sie drinnen war. Wartete stundenlang.

Und begleitete sie wieder nach Hause.

Es wurde zur Gewohnheit.

Zwei Tage. Drei Tage. Eine Woche.

Die Leute begannen zu grüßen. Ein Bäckerjunge rief: „Morgen, Oma mit Hund!“

Sie lächelte nicht, aber sie hörte es gern.

Einmal fragte ein Kind: „Heißt er Bello?“

Lotta schüttelte den Kopf. „Er heißt gar nicht.“

Das Kind runzelte die Stirn. „Aber er hört doch auf dich.“

„Er hört auf mein Schweigen“, sagte sie.


Dann kam der Dienstag darauf.

Ein grauer Tag, wie gemalt für Abschiede.

Im Heim nahm man sie zur Seite. Sanft, aber klar.

„Frau Kramer, es geht zu Ende mit Herrn Kramer.“

Ihr Herz wurde still. Kein Pochen, kein Aufruhr. Nur eine Kälte, die sich in den Fingern festsetzte.

Sie durfte seine Hand halten. Seine Haut war dünn wie Pergament. Die Augen geschlossen. Die Lippen leicht geöffnet, als wolle er noch etwas sagen, was nicht mehr kam.

Sie blieb lange. Zu lange.

Als sie schließlich das Heim verließ, war es dunkel.

Sie trat vorsichtig auf den Gehweg hinaus und da saß er.

Der Hund.

Wie immer. Als wäre nichts geschehen.

„Er ist gegangen“, flüsterte sie.

Der Hund stand auf, ging neben ihr her, sagte nichts.

Kein Mensch sprach sie an. Keine Kinder. Nur das Ticken der Ampel und das Geräusch ihrer Schritte und seiner.

Am Haltestellenhäuschen auf der Georg-Schumann-Straße blieb sie stehen.

Sie setzte sich auf die Bank.

Der Hund setzte sich neben sie.

Der Bus kam nicht. Und das war gut so.


Sie öffnete ihre Tasche, zog ein zerknittertes Taschentuch heraus und presste es in die Faust. Dann beugte sie sich langsam zu dem Hund hinunter, sah ihm zum ersten Mal direkt in die Augen.

Braun. Müde. Und tief wie ein Brunnenschacht.

„Weißt du“, sagte sie, „ich glaub, du weißt mehr über mich, als mir lieb ist.“

Der Hund legte den Kopf auf ihr Knie. Kein Bellen. Kein Winseln. Nur Wärme.

Und da, ganz leise, sagte sie: „Vielleicht sollst du Emil heißen.“

Sie erschrak über sich selbst.

Ein Name.

Ein Schritt.


Als sie sich wieder aufrichtete, fielen feine Regentropfen.

Der Hund stand auf.

Sie auch.

Zusammen gingen sie heim.

Aber etwas hatte sich verändert.


Am nächsten Morgen stand sie früher auf denn heute wollte sie wissen, ob er wieder kommt.

🐾 Teil 2: Der stille Begleiter

Lotta war schon um sechs wach, lange bevor der Wecker klingelte, den sie ohnehin kaum noch benutzte. Der Regen hatte sich verzogen, und durch den dünnen Vorhang drang das fahle Licht eines grauen Morgens. Sie saß am Küchentisch, trank ihren dünnen Kaffee und sah zur Tür, als würde jemand klopfen.

Sie fühlte sich leer. Nicht wie nach einem Schock, sondern wie nach einem langen Gespräch, bei dem alles gesagt war.

Emil.

Der Name war aus ihrem Mund gefallen wie ein Tropfen Wasser auf heißen Stein. Ungeplant. Ehrlich. Gefährlich.

Denn einen Hund benennen, das bedeutete mehr als Worte. Das war Bindung. Und sie wusste, wie das endet. Immer.

Gegen halb acht zog sie den Mantel über, steckte ein altes Brötchen in ihre Tasche und öffnete vorsichtig die Tür.

Er war da.

Genau wie sie es gehofft und zugleich gefürchtet hatte.

Er lag nicht mehr eingerollt, sondern saß aufrecht, aufmerksam, als hätte er ihre Gedanken gehört.

„Guten Morgen, Emil“, sagte sie leise.

Der Hund stand auf, streckte sich mit einem leisen Seufzen und schloss sich ihr an, als wäre dieser Spaziergang ihr gemeinsames Ritual seit Jahren.

Sie gingen nicht zum Seniorenheim. Heute nicht.

Sie gingen zum Wochenmarkt am Lindenauer Markt, wo Lotta früher mit ihrem Mann frisches Gemüse gekauft hatte, als sie noch zu zweit waren. Sie hatte es lange gemieden zu viele Erinnerungen, zu viele Stimmen, die inzwischen verstummt waren.

Doch Emil trottete ruhig neben ihr her, ohne zu ziehen, ohne zu drängen. Als sie stehen blieb, blieb auch er. Als sie sich setzte, legte er sich zu ihren Füßen.

Vor einem Stand mit Äpfeln hielt sie an. Die Verkäuferin, eine kräftige Frau mit wettergegerbtem Gesicht, sah sie freundlich an.

„Na, Sie haben ja einen feinen Begleiter.“

Lotta nickte.

„Meiner, denken Sie? Ich glaub, eher andersrum.“

Die Frau lachte.

„So ist das oft mit den besten Hunden.“


Auf dem Heimweg gingen sie einen Umweg über den Auwald. Dort roch es nach feuchtem Laub und Pilzen. Die Pappelblätter klebten an ihren Schuhen, und irgendwo in der Ferne hörte man eine Straßenbahn quietschen.

Lotta blieb stehen und lehnte sich an eine Birke. Sie streichelte Emil zum ersten Mal bewusst über den Rücken. Sein Fell war dicht, zottelig, aber sauberer, als sie erwartet hatte. Kein Halsband. Keine Marke. Nur ein dunkler Fleck auf der rechten Seite, geformt wie ein Fragezeichen.

„Wo kommst du her, Emil?“, flüsterte sie. „Wen hast du verloren?“

Er antwortete nicht. Natürlich nicht. Aber er setzte sich so ruhig neben sie, dass ihre Frage trotzdem aufgehoben war.


Zuhause legte sie eine Decke vor den alten Ofen, den sie selten noch nutzte. Er war Symbol für eine Zeit, in der Wärme noch durch Feuer kam, nicht durch Drehregler.

Emil legte sich hin, als wäre es der selbstverständliche Platz eines alten Freundes.

Sie machte Tee. Schwarz, stark, ohne Zucker. Genauso wie ihr Mann ihn getrunken hatte. Doch diesmal stellte sie zwei Tassen hin. Eine für sich. Eine blieb stehen, unberührt – aber nicht leer.

Denn mit Emil im Raum war da plötzlich jemand.


Am nächsten Abend standen sie wieder an der Bushaltestelle. Nicht weil sie musste. Sondern weil sie es wollte.

Es war eine Art Gedenken.

Lotta setzte sich auf die Bank, zog die Schultern hoch, und Emil legte sich zu ihren Füßen. Die Passanten kamen und gingen, Autos fuhren vorbei, und doch schien die Zeit an diesem Fleck stillzustehen.

Sie sprach kaum. Doch in ihrem Inneren bewegte sich vieles.

„Er war still, weißt du. So wie du“, sagte sie leise. „Aber er war nie kalt. Man kann still und warm sein, das hab ich bei ihm gelernt.“

Ein Bus fuhr vorbei. Nicht ihrer. Nicht mehr.

Und sie blieb sitzen, als wäre sie auf etwas anderes verabredet.


Am dritten Abend fing es leicht zu schneien an. Zu früh für Leipzig, zu nass für Dezember. Die Flocken schmolzen auf Lottas Mantel, doch sie rührte sich nicht. Emil hatte sich dicht an sie gedrückt, seine Wärme durchdrang die Kälte wie ein alter Kachelofen.

Ein Mann im Anzug blieb kurz stehen. „Geht’s Ihnen gut, gnädige Frau?“

Sie nickte.

„Ich warte.“

„Auf den Bus?“

„Nein.“

Der Mann zog die Stirn kraus, lächelte unsicher und ging weiter.

Lotta sah ihm nach.

„Die verstehen das nicht, Emil. Die verstehen nicht, dass man manchmal da bleibt, wo man jemanden vermisst hat.“


In der folgenden Woche veränderte sich etwas.

Die Menschen begannen, die beiden zu erkennen. Ein Briefträger grüßte sie. Eine ältere Dame aus der Nachbarschaft brachte unaufgefordert Leckerlis vorbei. Und selbst der Kioskbesitzer nickte ihr zu.

Doch was sie am meisten berührte, war ein kleiner Junge, vielleicht acht oder neun Jahre alt, mit schief sitzender Mütze und einem zu großen Schulranzen.

Er stellte sich neben sie an der Haltestelle, sah Emil an und sagte: „Der ist traurig.“

Lotta sah ihn überrascht an. „Wieso?“

„Weil er niemanden mehr nach Hause bringt.“

Sie wollte widersprechen. Doch dann schwieg sie.

Denn der Junge hatte recht.


Am Abend ging sie in den Keller. In einer verstaubten Holzkiste suchte sie nach einem alten Fotoalbum. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie die Seiten umblätterte. Da waren sie: sie und ihr Mann, vor dem alten Bus der Linie 70. Sommer 1972. Beide lachend, die Arme umeinander.

Sie hielt das Foto lange fest, bevor sie es auf den Küchentisch legte. Emil kam langsam näher, legte den Kopf auf ihre Knie und blieb so, während sie mit den Fingern über das verblasste Bild fuhr.

„Ich glaube, du erinnerst dich an sowas“, flüsterte sie.

Und wieder schwiegen sie gemeinsam.


Am nächsten Morgen lag etwas Unbekanntes vor ihrer Tür – ein alter, abgenutzter Hundemarkenanhänger mit eingeritzten Initialen.

🐾 Teil 3: Die Initialen im Schnee

Der Hundemarkenanhänger lag halb im Schnee, halb auf der Fußmatte. Lotta entdeckte ihn, als sie frühmorgens die Tür öffnete, um Emil wie immer hinauszulassen. Es war noch dämmrig, und der Himmel über Leipzig war in bleiches Blau getaucht. Die Straßen waren still, nur das leise Knirschen von Reif auf Asphalt verriet, dass der Tag begonnen hatte.

Sie bückte sich mühsam und hob das Metallstück auf. Es war kalt, schwerer als erwartet, verkratzt von Jahren auf rauem Boden. Die Gravur war kaum noch zu erkennen. Sie rieb es vorsichtig an ihrem Wollrock, bis die Buchstaben etwas klarer wurden.

„H.F.“, flüsterte sie.

Zwei einfache Initialen. Keine Adresse, keine Nummer. Nur diese beiden Buchstaben.

Emil schnüffelte kurz an dem Anhänger, dann wandte er sich ab, als hätte er ihn schon lange gekannt. Lotta aber blieb reglos stehen. Irgendetwas in ihrem Inneren hatte sich gerührt. Eine Erinnerung vielleicht, ein Echo von etwas, das zu lange geschwiegen hatte.

Sie nahm den Anhänger mit hinein, legte ihn auf den Küchentisch neben das Fotoalbum und starrte ihn an, während der Tee langsam kalt wurde.


Gegen Mittag zog sie ihren Mantel an und verstaute das Metallstück in der Manteltasche. Sie ging mit Emil zur Haltestelle, wie jeden Tag, doch heute fuhr sie mit dem Bus weiter.

Ziel: das Seniorenheim Rosenhain.

Nicht, um zu trauern. Sondern um zu fragen.

Die junge Pflegerin am Empfang erkannte sie sofort.

„Guten Tag, Frau Kramer. Möchten Sie…“

„Nein“, unterbrach Lotta sanft. „Ich wollte Sie etwas fragen. Über… Hunde.“

Die Pflegerin runzelte die Stirn, nickte dann aber.

„Vor ein paar Monaten gab es einen Bewohner, Herr Friedrichs. Still, sehr zurückgezogen. Er hatte einen Hund, ja. Einen großen, alten, grau-beigen Kerl. Immer treu an seiner Seite. Als Herr Friedrichs gestorben ist, lief der Hund einfach davon. Niemand konnte ihn halten.“

Lotta atmete tief ein. „Hieß er Emil?“

Die Pflegerin überlegte. „Nein… ich glaube, er sagte immer nur Hasso.“

Hasso.

Ein alter Name. Ein Name aus Zeiten, in denen Hunde noch auf Höfen lebten, nicht auf Sofas. Ein Name mit Geschichte.

„Und Friedrichs? Sein voller Name?“

„Heinrich Friedrichs. Warum?“

Lotta griff in die Tasche und legte das Metallstück auf den Tresen.

Die junge Frau schluckte.

„Das… das hatte er am Halsband.“


Auf dem Rückweg sprach Lotta kein Wort. Emil ging wie immer neben ihr her, ruhig, wachsam, als spürte er, dass sich etwas in ihr bewegte, das noch keinen Namen hatte.

Sie kehrte nicht direkt nach Hause zurück. Stattdessen bog sie in eine kleine Seitenstraße ein, in der sich ein kleiner Secondhand-Laden befand. Im Fenster standen alte Bücher, gebrauchte Mäntel, eine Schreibmaschine.

Innen roch es nach Staub und Kaffee.

„Ich suche ein Hundehalsband“, sagte sie zur Verkäuferin, einer Frau mit grauem Dutt und weicher Stimme.

„Welcher Größe?“

„Groß. Sehr groß. Und… mit Platz für eine Marke.“

Die Verkäuferin nickte, verschwand in einem Regal und kam mit einem breiten, dunkelbraunen Lederhalsband zurück. Abgenutzt, aber stabil.

„Darf ich es ihm anlegen?“, fragte Lotta.

Draußen, auf dem Trottoir, hockte sie sich langsam neben Emil, der sich widerstandslos setzen ließ. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie das Halsband schloss und die Marke mit den Initialen befestigte.

„Für dich. Für dein Vorher. Und für unser Jetzt.“


Am Abend saßen sie wieder an der Haltestelle. Der Wind hatte aufgefrischt, und Emil schmiegte sich näher an ihre Beine. Die kleine Bank war kalt, aber Lotta störte es nicht. Sie hatte ihren dicken Schal um die Schultern gewickelt und hielt eine Thermoskanne in den Händen, aus der es nach Hagebuttentee duftete.

Sie dachte an Heinrich Friedrichs. An diesen stillen Mann, der in seinem letzten Lebensjahr denselben Trost gesucht hatte wie sie jetzt. Vielleicht hatten sie sich einmal im Flur des Heims gesehen, ein stummes Nicken, zwei Alte, die wussten, dass Worte manchmal zu viel und doch zu wenig waren.

Vielleicht hatte Hasso oder Emil zuerst ihn verloren. Und dann einen Weg gesucht, um nicht selbst verloren zu gehen.

Und so saß er nun hier. Neben ihr.

Nicht mehr Hasso. Aber auch nicht ganz Emil.

Etwas Neues. Etwas Dazwischen.


Ein Junge kam vorbei, derselbe wie in der Woche zuvor. Die Mütze saß heute richtig, und er hielt ein Buch in der Hand.

„Er trägt jetzt ein Halsband“, stellte er fest.

Lotta nickte.

„Er gehört jetzt zu mir.“

Der Junge grinste. „Oder du zu ihm.“

Dann lief er weiter.

Lotta sah ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwand.

„Schlaue Kinder heutzutage“, murmelte sie. „Sehen mehr, als wir glauben.“


In der Nacht träumte sie von einem Bus.

Aber sie war nicht allein. Sie saß auf einem Platz am Fenster, Emil lag im Gang zwischen den Sitzen, und auf dem Platz gegenüber saß ihr Mann. Er sah jünger aus, lächelte, sprach kein Wort.

Nur der Bus fuhr immer weiter, durch Felder, durch Dörfer, durch die Zeit.

Als sie erwachte, war es still. Aber nicht leer.

Sie hörte das leise Schnauben aus dem Wohnzimmer. Emil, der auf der Decke vor dem Ofen schlief, leise träumte, die Pfoten zuckten.

Lotta zog die Decke höher und lächelte.


Am nächsten Tag wollte sie den Brief schreiben. An das Amt, an das Tierheim, an wen auch immer. Sie wollte sagen, dass der Hund bei ihr sei. Dass er gefunden habe, was er gesucht hatte.

Aber als sie an den Tisch trat, lag dort schon etwas.

Ein Briefumschlag. Ohne Absender.

Sie öffnete ihn vorsichtig.

Nur ein Zettel. Handschriftlich, leicht zittrig.

„Haben Sie ihn gefunden? Ich hoffe, er hat Sie gefunden.“

Mehr nicht.

Keine Unterschrift. Kein Name.

Nur dieser Satz, wie ein Rätsel.


Lotta faltete den Zettel langsam zusammen und spürte zum ersten Mal, dass ihre Geschichte vielleicht längst größer war, als sie selbst wusste.

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