Ich habe mein Bein auf der A9 verloren. Und mein Leben gleich mit.
Zehn Jahre lang saß ich in diesem Haus und wartete auf etwas, das nicht kam.
Dann humpelte ein Hund in mein Leben. Nur drei Beine, kein Blick zurück.
Er brauchte keinen Mitleid. Nur einen Platz neben mir.
Und ich brauchte ihn, ohne es zu wissen.
🐾 Teil 1: Der leere Hof
Früher war ich Fernfahrer.
Karl-Heinz Mertens, geboren 1956 in der Nähe von Bitterfeld. Dreißig Jahre auf deutschen Autobahnen, mit einem alten MAN unter dem Hintern und Koffein im Blut. Jetzt hocke ich in einer kleinen Doppelhaushälfte am Ortsrand von Zeitz, wo der Putz an den Wänden blättert und der Briefkasten leer bleibt. Seit dem Unfall hat sich keiner mehr gemeldet.
Mein linker Unterschenkel ist weg. Ab dem Knie.
„Stell dir vor, du wachst auf, und dein Bein fehlt.“ So hab ich es mal einem Physiotherapeuten gesagt. Er hat nicht gelacht. Hat mich angesehen wie einen, der schon zu lange in sich selbst lebt. Vielleicht hatte er recht.
Der Unfall war kurz, laut, endgültig. Ich erinnere mich an das metallene Knirschen, als wär es gestern gewesen. Ein übermüdeter Lieferwagenfahrer bei Jena hat mich geschnitten. Der Rest ist Schweigen.
Seitdem ist das hier mein Alltag: ein zu großer Fernseher, ein klappernder Rollator, ein Gaskocher, weil die Einbauküche den Geist aufgegeben hat. Und ein Brief von der Spedition, der sagt: „Danke für alles, gute Besserung, aber wir brauchen fitte Leute.“
Manchmal sitze ich stundenlang am Fenster und sehe dem Hof zu. Da ist nichts. Nur Asphalt und ein rostiger Wäschepfosten. Aber am 3. März dieses Jahres, da hat sich etwas verändert.
Ein Hund.
Nicht irgendeiner.
Er kam aus dem Nichts, ganz plötzlich, mitten in den Regen. Braun-weiß gefleckt, Rippen sichtbar, die linke Vorderpfote fehlte. Nur drei Beine, aber er lief, als hätte er nie was anderes gekannt.
Ich öffnete das Fenster und rief: „He, du!“
Er blieb stehen, sah hoch. Unsere Blicke trafen sich. Ich weiß noch, wie sein rechter Fang leicht gezittert hat. Kein Winseln. Kein Schwanzwedeln. Nur dieses ruhige Sehen.
Ich stützte mich auf meine Gehhilfe, tappte zur Tür und trat hinaus.
„Na, hast du dich verlaufen?“
Der Hund kam nicht näher. Nur der Regen kam. In Strömen.
Er stand da wie ein Denkmal. Ich machte drei Schritte, so gut es ging, dann sank ich auf den Hocker, den ich mir zurechtgestellt hatte. Der Hund hob den Kopf, setzte sich hin. Wir saßen so, im Regen. Einer mit drei Beinen. Einer mit einem.
Ich weiß nicht mehr, wie lange. Eine Stunde? Zwei? Irgendwann war ich zu müde zum Reden. Ich drehte mich um und humpelte zurück ins Haus. Lies die Tür angelehnt.
Am nächsten Morgen lag er im Flur.
Kein Bellen. Kein Chaos. Nur dieser leise Hundekörper auf der alten Fußmatte. Ich hätte ihn rausschicken können. Hätte sagen können: „Ich hab schon genug kaputtes Leben hier drin.“ Aber ich sagte:
„Willkommen, Kumpel.“
Er schlug mit dem Schwanz. Nur einmal.
Ich nannte ihn Max.
Max war ruhig. Er bellte nie. Fiel niemandem zur Last. Ich gab ihm, was ich da hatte: Dosenravioli, ein paar trockene Brötchen, später dann Futter vom Netto um die Ecke. Er fraß alles. Dankbar, aber nicht gierig.
Und nachts da blieb er an meiner Seite. Schlief auf einer alten Decke neben meinem Bett. Ich hörte ihn atmen. Langsam. Gleichmäßig.
Am vierten Tag gingen wir das erste Mal gemeinsam raus. Ich mit Krücke, er auf drei Beinen. Wir waren ein seltsames Paar. Die Nachbarn schauten. Manche tuschelten. Aber keiner sagte was.
Ich mochte das.
Manchmal liefen wir zur alten Tankstelle. Der Pächter kannte mich noch von früher. Er sagte: „Na, Karl-Heinz, neues Familienmitglied?“ Ich nickte nur. Was sollte ich auch sagen? Dass der Hund mich mehr aus meinem Loch gezogen hatte als alle Reha-Termine zusammen?
Abends saß ich auf dem Balkon. Max lag neben meinem Stuhl. Und ich begann zu reden.
Ich erzählte von Sylt, wo ich mal einen Lkw voller Fisch abgeliefert hatte.
Von der Raststätte Hohenwarsleben, wo ich im Winter 2002 stecken geblieben war.
Von meinem Sohn, dem ich seit sieben Jahren nicht geschrieben hatte.
Max hörte zu. Immer.
Einmal wachte ich schweißgebadet auf. Albtraum. Wieder der Unfall. Der Gurt, der mich hielt. Die Metallplatte, die durchs Fahrerhaus flog. Ich schrie. Und Max…
…legte seine Schnauze auf mein Bein.
Oder das, was davon übrig war.
Zwei Wochen später stand ein Auto vor dem Haus.
Ein schwarzer Audi. Kennzeichen aus Gera. Ich sah es vom Fenster aus. Eine Frau stieg aus. Dunkle Jacke, Pferdeschwanz, schmale Lippen. Sie kam nicht zum Reden. Das sah man.
Ich öffnete nur einen Spalt.
„Gehört der Hund Ihnen?“
Max stand hinter mir. Knurrte leise.
„Seit wann?“ fragte sie.
„Zwei Wochen.“
„Er ist weggelaufen. Aus dem Tierheim. Ich bin die Leiterin.“
Mir wurde kalt.
„Er hieß bei uns Otto. War schwer vermittelbar. Dreibeinig, schon klar. Aber er hat sich durchgebissen.“
„Dann holen Sie ihn zurück.“ Mein Ton war rauer, als ich wollte.
Sie sah mich an. Lange.
Dann sagte sie: „Ich wollte nur sehen, wo er gelandet ist.“
Drehte sich um. Ging zum Wagen.
Ich rief: „Warten Sie!“
Sie blieb stehen.
„Warum kam er zu mir?“
Die Frau zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht, weil Sie auch was verloren haben.“
Dann fuhr sie.
Später an diesem Abend nahm ich Max zu mir aufs Sofa. Das erste Mal. Ich fuhr mit der Hand über sein Fell.
„Du bleibst hier, alter Freund.“
Max sah mich an. Und zum ersten Mal, seit wir uns kannten, legte er seine Pfote – die eine vordere, die er noch hatte – auf mein Knie.
Und in diesem Moment klingelte es an der Tür.
Ein Satz blieb in meinem Kopf hängen:
Doch was ich dort sah, stellte mein neues Leben auf den Kopf.
🐾 Teil 2: Besuch aus der Vergangenheit
Ich öffnete die Tür langsam.
Draußen stand ein junger Mann. Vielleicht Mitte dreißig. Schlank, dunkle Haare, Dreitagebart. Eine dieser modernen Windjacken, bei denen man nie weiß, ob der Träger wandert oder bloß cool sein will.
„Sind Sie Herr Mertens?“ fragte er.
Ich nickte.
„Ich bin Simon. Simon Mertens.“
Es war, als hätte mir jemand die Luft aus der Lunge gedrückt.
Mein Sohn.
Ich hatte ihn zuletzt gesehen, als er vierzehn war. Damals war er mit seiner Mutter nach Leipzig gezogen, nach der Scheidung. Ich hatte immer geglaubt, er wolle keinen Kontakt. Vielleicht stimmte das auch. Und trotzdem stand er jetzt hier, mit nassen Schuhen und einem Blick, den ich nicht deuten konnte.
„Ich hab von Ihnen gehört“, sagte er. „Also, vom Unfall. Später von der Reha. Ich hab eine Weile gebraucht.“
Ich trat zur Seite. Wortlos.
Er kam rein. Roch nach kaltem Regen und billigem Rasierwasser. Max stellte sich schützend vor mich, knurrte leise.
Simon blieb stehen.
„Der gehört Ihnen?“
„Uns“, sagte ich.
Max beruhigte sich, aber ließ ihn nicht aus den Augen.
Wir saßen in der Küche. Zwei Stühle, der Tisch klebte ein wenig. Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet. Ich reichte ihm eine Tasse Tee, die ich vom Morgen noch mal aufgewärmt hatte.
„Schön hast du’s hier“, log er.
Ich lachte kurz. Trocken.
„Wieso jetzt?“ fragte ich.
Simon trank einen Schluck, sah mich nicht an.
„Ich hab eine Tochter. Sie heißt Leni. Ist sechs. Letzte Woche hatte sie einen Aufsatz in der Schule. Thema: ‚Mein Opa‘. Und da hab ich gemerkt, dass ich nichts über dich erzählen kann.“
Sein Blick traf mich wie ein Schlag.
„Ich dachte, vielleicht willst du sie kennenlernen.“
Ich schwieg lange. Max leckte meine Finger unter dem Tisch. Vielleicht, um mich zu erden.
„Ich hab Fehler gemacht, Simon.“
Er nickte.
„Ich auch.“
Dann sagte keiner mehr etwas. Minutenlang.
Bis ich schließlich fragte:
„Willst du bleiben? Zum Abendbrot?“
Er lächelte. Zum ersten Mal. Und dann aßen wir kalte Kartoffeln mit etwas Butter, und es war besser als jedes Sonntagsessen, das ich allein verbracht hatte.
In den Tagen danach kamen sie öfter. Simon und Leni.
Das Mädchen war schüchtern am Anfang. Stand hinter ihrem Vater, versteckte sich. Doch dann sah sie Max. Und Max sah sie. Und alles, was gefehlt hatte, war auf einmal da.
Leni setzte sich auf den Boden. Max kam zu ihr, legte sich hin, so nah, dass ihre kleinen Hände sein Fell berührten.
„Was ist mit seinem Bein passiert?“ fragte sie.
Ich kniete mich mühsam zu ihr.
„Er hatte einen Unfall. Aber weißt du was? Er hat trotzdem nicht aufgegeben.“
Sie nickte.
„Wie du, Opa.“
Ich musste schlucken. Lange.
An einem sonnigen Mittwoch, Anfang April, wagten wir etwas Verrücktes.
Ich hatte den alten Anhänger aus dem Schuppen geholt. Damals hatte ich ihn zum Sperrmüllfahren benutzt, jetzt war er ein Gefährt für Max. Simon hatte Rollen drangeschraubt, und ich hatte eine Decke hineingelegt.
Leni malte ein Nummernschild aus Papier: „MAX-01“.
Wir fuhren zum alten Bahndamm. Ich auf Krücke, Leni mit Max im Anhänger, Simon nebenher.
Ich war lange nicht so weit gegangen. Die Luft roch nach frischem Gras, die Vögel schrien über uns. Max genoss den Fahrtwind, sein Kopf immer nach vorn gerichtet.
Am Ende des Weges stand eine alte Bank, halb vermoost. Wir setzten uns.
Simon zeigte auf eine Eiche.
„Da hast du mich mal hochgehoben. Ich war fünf. Ich hab’s nie vergessen.“
Ich sah ihn an.
„Ich dachte, du wärst nur enttäuscht von mir.“
„War ich auch. Aber irgendwann war ich einfach… traurig.“
Leni kletterte auf meinen Schoß. Max rollte sich unter der Bank zusammen.
Ich legte den Arm um sie.
Und in diesem Moment dachte ich: Vielleicht ist es nie zu spät.
Am Abend fütterte ich Max. Er fraß langsamer als sonst. Dann ging er zur Tür, stellte sich davor.
„Willst du raus, Freund?“
Er wartete nicht. Lief auf drei Beinen in den Hof, schnüffelte an der Luft. Ich beobachtete ihn.
Dann bellte er. Nur einmal. Laut, fremd.
Ich trat hinaus. Max stand stocksteif.
Ich folgte seinem Blick.
Ein Schatten bewegte sich jenseits des Zauns. Dunkel, gedrungen. Zwei gelbe Augen blitzten kurz auf. Dann war es wieder still.
Ein Fuchs? Ein Streuner?
Max knurrte. Aber ging nicht näher.
Ich rief ihn. Er kam langsam zurück. Ich schloss das Tor.
Etwas war da draußen.
Etwas, das wir nicht verstanden.
Später in der Nacht träumte ich von der Autobahn. Ich fuhr wieder. Der Motor brummte unter mir, die gelbe Mittellinie zog sich endlos durch die Dunkelheit.
Und auf dem Beifahrersitz: Max.
Er sah mich an. Und sagte nichts.
Dann kam ein Tunnel.
Ich fuhr hinein.
Und am anderen Ende war nicht die Straße.
Sondern ein Grabstein.
Ich schreckte hoch. Herzrasen. Der Schweiß klebte am Rücken.
Ich tastete nach Max.
Seine Decke war leer.
Ich fand ihn im Hof.
Er lag still unter dem alten Wäschepfosten. Die Augen offen, aber ruhig.
Ich ging zu ihm, hockte mich.
„Alles okay?“
Er bewegte die Rute. Einmal.
Dann sah er zur Mauer.
Ich folgte seinem Blick.
Da war wieder dieses Geräusch.
Ein Kratzen. Langsam, tief.
Ich stand auf. Mein Herz schlug zu laut.
Hinter der Mauer – da war jemand. Oder etwas.
Ich trat näher.
Und dann hörte ich eine Stimme.
Leise. Heiser.
„Du hast ihn mir genommen…“
Und ich wusste: Das war kein Zufall, dass Max zu mir gekommen war.
🐾 Teil 3: Schatten aus dem Hof
Ich blieb stehen.
Die Stimme war so leise, dass ich mir fast einbildete, sie nur geträumt zu haben.
Aber Max war wach. Und sein Blick war fest auf die Stelle hinter der Mauer gerichtet, wo das Geräusch herkam.
„Du hast ihn mir genommen…“
Ich kannte die Stimme nicht. Sie klang alt, rau wie kalter Tabak, voller Bitterkeit.
Mein erster Impuls war, jemanden zu rufen. Vielleicht Simon. Vielleicht die Polizei. Aber es war spät. Zu spät. Und irgendetwas sagte mir: Das hier muss ich allein klären.
Ich stützte mich auf die Krücke und ging näher an die Mauer. Max folgte mir langsam, seine drei Beine bewegten sich schwerfälliger als sonst.
„Wer ist da?“ fragte ich laut.
Keine Antwort.
Nur ein weiteres Kratzen, dann Stille.
Ich beugte mich über die Mauerkante. Dahinter war der alte Garten des Nachbargrundstücks, seit Jahren verwildert. Ich erinnerte mich, dass dort mal ein Mann gewohnt hatte. Herr Fromm. Witwer. Ruhig. Kaum draußen gesehen. Vor drei Jahren war er gestorben, das Haus stand seitdem leer.
Max bellte erneut. Laut.
Dann trat aus dem Schatten ein Mensch.
Ein dünner Mann, unrasiert, mit eingefallenem Gesicht. Die Augen lagen tief in den Höhlen, das Haar wirr. Er trug einen schmutzigen Parka und starrte mich an, als hätte ich ihm Unrecht getan.
„Was wollen Sie hier?“ rief ich.
Er antwortete nicht sofort. Dann murmelte er: „Das war mein Hund. Vorher.“
Ich begriff nicht.
„Max?“
Er nickte langsam.
„Ich hatte ihn gefunden. Als Welpe. Auf der Straße. Aber ich… ich konnte ihn nicht behalten. Ich war krank. Hatte nichts. Ich hab ihn ins Heim gebracht. Und dann war er weg.“
Er trat näher an die Mauer.
„Und jetzt liegt er bei Ihnen im Hof. Frisst Ihre Reste. Hört auf Ihre Stimme. Als ob er nie zu mir gehört hätte.“
Ich spürte, wie Max sich an mein Bein drückte.
„Hören Sie… ich wusste nichts davon.“
„Er war alles, was ich hatte!“ Der Mann schrie jetzt. „Und Sie haben ihn mir genommen!“
Seine Stimme zerriss die Nacht.
Ich wollte etwas sagen. Einen Schritt auf ihn zugehen.
Da warf er etwas.
Etwas Kleines, Rundes.
Es landete zu meinen Füßen.
Ein altes Halsband. Abgewetzt, zerrissen.
Max starrte es an. Dann mich.
Ich bückte mich langsam, hob es auf.
Der Anhänger war rostig, aber man konnte noch lesen, was eingeritzt war: „Otto“.
Max’ alter Name.
In dieser Nacht schlief ich kaum. Ich lag im Bett, Max auf seiner Decke, den Kopf wachsam gehoben.
Immer wieder sah ich das Gesicht dieses Mannes vor mir. Diese Mischung aus Verlust und Wut.
Ich fragte mich, ob ich Max tatsächlich genommen hatte. Oder ob ich ihn nur aufgenommen hatte, als niemand sonst es tat.
Am Morgen rief ich im Tierheim an. Die Leiterin, Frau Krämer, nahm sich Zeit. Ich erzählte ihr von dem Mann.
„Wir kennen ihn“, sagte sie. „Er hat den Hund damals abgegeben. Ohne Namen, ohne Erklärung. Einfach vor das Tor gesetzt. Ein Mitarbeiter hat ihn gefunden, fast erfroren.“
„Warum hat er ihn nicht behalten?“
„Er sagte, er sei drogenabhängig. Hatte Angst, dem Tier was anzutun.“
Ich nickte.
„Meinen Sie, er will ihn zurück?“
Frau Krämer schwieg.
„Wenn er’s wirklich gewollt hätte, hätte er ihn längst gesucht.“
Ich legte auf. Sah Max an.
„Du bleibst.“
Er verstand nicht jedes Wort. Aber genug.
Ein paar Tage später kam Leni wieder.
Sie rannte gleich in den Hof, wo Max in der Sonne döste. Sie lachte, als er aufsprang und zu ihr hinkte.
Simon trat neben mich.
„Du siehst besser aus, Papa.“
„Weil ihr da seid.“
Wir gingen zusammen ins Wohnzimmer. Leni malte, Max lag zu ihren Füßen.
Ich erzählte Simon von dem Mann.
„Glaubst du, er kommt wieder?“ fragte er.
„Ich weiß es nicht.“
„Und wenn doch?“
Ich sah Max an.
„Dann bin ich bereit.“
Doch der Mann kam nicht wieder.
Dafür etwas anderes.
In der Nacht vom 17. April weckte mich Max mit einem leisen Jaulen. Ich setzte mich auf.
Dann hörte ich es auch.
Sirenen.
Blaulicht spiegelte sich an den Wänden.
Ich ging ans Fenster. Drei Feuerwehrfahrzeuge standen auf der Straße. Rauch quoll aus dem Nachbarhaus.
Das verlassene Haus.
Ich zog mich an, so schnell es ging. Simon kam fünf Minuten später angerannt. Er hatte das Blaulicht aus seinem Wohnzimmerfenster gesehen.
Wir liefen zum Zaun. Ein Feuerwehrmann trat zu uns.
„Vermutlich Brandstiftung“, sagte er. „Obdachloser hat sich im Keller einquartiert. Wollte sich wärmen.“
„Hat er’s überlebt?“ fragte ich.
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Wir fanden ihn zu spät.“
Ich wusste sofort, wer es war.
Max stand neben mir. Starrte in die Flammen.
Ich legte ihm die Hand auf den Kopf.
„Du kannst jetzt loslassen.“
Zwei Wochen später fuhr ich mit Max und Simon zur Tierarztpraxis. Max hatte immer schlechter gefressen. Lag öfter, schlief viel.
Die Ärztin war freundlich. Alt, erfahren.
Sie untersuchte ihn gründlich, dann legte sie ihre Hand auf meine.
„Er hat etwas im Bauchraum. Wahrscheinlich ein Tumor. Bei seinem Alter und seiner Vorgeschichte…“
Ich nickte.
„Wie lange noch?“
„Ein paar Wochen. Vielleicht Monate. Es wird irgendwann schmerzhaft.“
Ich fuhr Max nach Hause. Leni wartete schon.
Ich erzählte ihr die Wahrheit. So ehrlich, wie ich konnte.
Sie weinte nicht. Umarmte ihn einfach. Lange.
Die nächsten Tage waren still. Max und ich saßen oft im Hof. Ich las ihm Zeitung vor, redete von früher.
Und manchmal, ganz manchmal, hob er noch die Rute.
Ein letztes Zeichen.
Am Abend des 3. Mai legte er sich unter den alten Wäschepfosten.
Ich setzte mich daneben.
„Weißt du, Max… ich hab lang gedacht, ich wär nur noch halber Mensch. Aber du hast mir gezeigt, dass ich’s immer noch bin.“
Er atmete ruhig. Schaute mich an.
Und dann schloss er die Augen.
Am Horizont zog ein Gewitter auf.