Pfoten auf dem Asphalt | Einbeiniger Mann trifft dreibeinigen Hund und gemeinsam finden sie den Weg zurück ins Leben

🐾 Teil 6: Das Vertrauen wächst

Der Krankenwagen kam zehn Minuten später.
Simon war mit dem Auto da, bevor die Sanitäter überhaupt fertig waren.

Er sprang raus, rannte zu uns, nahm Leni in die Arme.

„Papa, ich wollte nur den Hügel runterrollen… Leo ist mir nachgelaufen!“

Simon sah erst sie an, dann mich.

„Danke“, flüsterte er.

Ich schüttelte den Kopf.

„Danke Leo.“

Leo stand ein paar Schritte abseits, der Schwanz ruhig, die Ohren aufgestellt.
Er wusste, dass er das Richtige getan hatte.
Er wusste aber auch, dass das niemand von ihm verlangt hatte.

Er hatte es einfach getan.


Im Krankenhaus bestätigte sich, was wir schon vermutet hatten:
Verstauchter Knöchel, ein paar Schürfwunden, keine Brüche.

Simon blieb über Nacht bei Leni.

Ich fuhr heim.
Leo auf dem Beifahrersitz.

Er legte den Kopf auf meine Schulter.
So selbstverständlich, als hätte er es immer getan.

Ich streichelte ihn mit der freien Hand.
Und sagte zum ersten Mal laut:

„Ich bin stolz auf dich.“


Am nächsten Tag saßen wir wieder im Hof.
Ich auf meinem Hocker, Leo vor mir, die Sonne über unseren Köpfen.

Simon schob das Fahrrad mit dem verbogenen Lenker in den Garten.
„Sie will es behalten. Als Erinnerung.“

Ich grinste.
„So sind die Richtigen. Die mit Herz.“

Leo legte sich hin, rollte sich ein.

„Was war das eigentlich damals mit dir und Max?“ fragte Simon plötzlich.

Ich sah ihn an.
Er meinte es ernst.

„Was meinst du?“

„Du hast nie wirklich erzählt, was der Hund für dich war. Oder wie er dich verändert hat.“

Ich lehnte mich zurück.

„Es war kein Moment. Es war still. Jeden Tag ein bisschen mehr. Ich war kaputt, Simon. Mehr innen als außen. Und dann kam da ein Hund mit drei Beinen, der nicht klagte, nicht jammerte. Der einfach weiterlief. Und ich dachte: Wenn der das kann, dann kann ich das auch.“

Simon schwieg.

Dann sagte er:
„Vielleicht ging’s mir mit dir irgendwann genauso.“

Ich sah ihn lange an.

Dann nickte ich.


Die nächsten Wochen veränderten Leo.

Er wurde ruhiger, aber nicht ängstlich.
Mehr Teil der Familie.

Er holte morgens die Zeitung vom Gartentor, trug sie im Maul, legte sie vor meine Füße.

Er bellte, wenn der Postbote kam, aber nie aggressiv.
Nur kurz, damit ich Bescheid wusste.

Leni bastelte ihm ein Halsband mit seinem Namen aus Filz.
„Leo – der Mutige“, stand darauf.

Und irgendwie passte es.


Eines Nachmittags fuhren wir an den See bei Tröglitz.
Ich hatte den Rollator dabei, Simon den Picknickkorb.

Leo lief frei.

Leni warf einen Stock, Leo rannte hinterher.
So schnell, dass man das alte Hinken kaum noch bemerkte.

Ich saß im Gras, barfuß, die Sonne im Gesicht.

Simon reichte mir ein Stück Brot mit Käse.

„Hättest du vor einem Jahr gedacht, dass du mal so dasitzt?“

Ich biss ab, kaute langsam.

„Vor einem Jahr hab ich gedacht, ich komm nie wieder raus.“

Simon sah auf den See.
„Und jetzt?“

Ich überlegte.

„Jetzt weiß ich, dass Schmerz nichts ist, was man besiegt. Aber man kann lernen, mit ihm zu laufen.“

Leo kam zurück, legte den nassen Stock vor meine Füße.
Sah mich an, wie nur Hunde sehen können.

Ich warf ihn noch einmal.

Und Leo rannte.


Ein paar Tage später kam ein Brief.

Von der Gemeinde.

Eine Einladung zu einem Sommerfest im Dorf.
Mit einem kleinen Zusatz:
„Wir ehren Menschen und Tiere, die durch besondere Taten aufgefallen sind.“

Ich wusste sofort, dass es um Leo ging.

Ich zeigte den Brief Simon.

Er lachte.
„Na, das ist doch was. Leo als Ehrenbürger von Zeitz.“

Ich zögerte.

„Ich weiß nicht, ob das sein Ding ist.“

Simon klopfte mir auf die Schulter.
„Dann geh für ihn hin.“


Am Tag des Fests war der Platz voll.
Kinder, Senioren, Musik, Bratwurstduft in der Luft.

Ich trug meine beste Jacke.
Leo sein Filzhalsband.

Wir standen am Rand, beobachteten die Leute.

Dann rief jemand meinen Namen.
Ich ging nach vorn.

Der Bürgermeister überreichte mir eine Urkunde.
Darauf stand:
„Für Leo, den treuen Begleiter, der einem Kind zur Hilfe kam.“

Ich las laut vor.
Meine Stimme zitterte.

Leo saß neben mir.
Ruhig.

Als der Applaus kam, hob er den Kopf.
Und bellte. Einmal.

Es klang wie:
„Danke.“


Zu Hause hängte ich die Urkunde in den Flur.
Neben das Bild von Max.

Ich stellte mich davor.
Schaute lange.

Dann flüsterte ich:

„Zwei Hunde. Zwei Wege. Und beide haben mich heimgebracht.“


Am Abend rief Leni an.
„Opa, wann kommst du wieder mit Leo zu uns?“

Ich antwortete:
„Morgen, wenn du magst.“

Sie lachte.
„Dann deck ich für drei.“

Ich sah zu Leo, der auf dem Sofa lag, halb wach.
„Bereit für deinen nächsten Einsatz, Partner?“

Er hob nur kurz den Kopf.

Aber das reichte.

Denn ich wusste: Seine Geschichte hatte gerade erst begonnen.

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