Schattenhund | Ein Hund aus der Vergangenheit bringt ihn zurück ins Leben und enthüllt ein verborgenes Geheimnis

🐾 Teil 7: Drei Buchstaben

Jonas kniete sich hin und strich mit den Fingerspitzen über das raue Holz. Drei Buchstaben, tief eingeritzt, nicht zufällig, sondern mit Bedacht.

J. F. R.

Er spürte, wie die Kälte durch seine Hand in den Arm kroch, obwohl der Morgen mild war. Diese Buchstaben kannte er. Oder glaubte sie zu kennen. „J“ für Jonas. „F“ für Falk. Und das „R“?

Rex.

Ein Zittern ging durch seinen Körper. Doch es war nicht Angst. Es war eine Ahnung. Eine, die in ihm wuchs wie ein längst vergessener Same.

Der Hund hatte nicht nur gewartet. Er hatte ihn geprüft. Begleitet. Vielleicht sogar geführt. Und nun hatte er sich zu erkennen gegeben. Auf seine Art.

Jonas stand auf, strich sich den Staub von der Hose. Rex saß hinter ihm, ruhig, aufmerksam, die Ohren leicht nach hinten gelegt.

„Warst du das?“, fragte Jonas leise.

Der Hund bewegte sich nicht. Aber in seinen Augen lag etwas, das man nicht erklären konnte. Etwas, das jenseits von Tier und Mensch lag.

In den nächsten Tagen veränderte sich vieles.

Jonas begann zu schreiben. Nicht im Kopf. Nicht in die Wand. Sondern auf Papier. Er schrieb über die Einsätze, über Falk, über Rex. Über die Träume, die ihn quälten, über die Schuld, die ihn zerfraß. Seite um Seite.

Er ging mit Rex spazieren. Anfangs nur auf den Pfaden rund ums Haus. Dann hinaus ins Dorf. Die Leute grüßten zögerlich. Manche tuschelten. Aber niemand stellte Fragen. Vielleicht, weil sie spürten, dass da etwas geschah, was man besser nicht störte.

Eines Morgens stand ein kleiner Umschlag im Briefkasten. Ohne Absender. Darin ein einziges Foto.

Jonas mit Falk und Rex, aufgenommen in Camp Marmal. Lächelnd, jung, die Wüste im Hintergrund.

Auf der Rückseite eine Handschrift, schwungvoll und deutlich:

„Erinnerung ist Pflicht. Schweigen ist Verrat.“

Jonas schluckte schwer. Das war ein Spruch, den sie damals oft verwendet hatten, wenn jemand an der Front gefallen war. Niemand wusste mehr, wer ihn zuerst gesagt hatte. Aber alle hatten ihn verinnerlicht.

Er ging ins Haus, legte das Foto auf den Küchentisch, neben die Erkennungsmarke. Dann nahm er sein altes Funkgerät aus der Schublade. Es war rostig, veraltet. Aber es funktionierte noch.

Er schaltete es ein, drehte an den Knöpfen. Ein leises Knacken, Rauschen, dann Stille.

Er drückte den Sendeknopf.

„Hier spricht Jonas Lenz. Falls mich jemand hört – ich erinnere mich.“

Kein Antwortton. Nur das leise Summen der Frequenz.

Er wiederholte den Satz. Legte das Gerät dann beiseite.

Am Abend saß er wie gewohnt mit Rex auf der Terrasse. Der Hund lag eingerollt neben ihm, das Kinn auf den Pfoten. Die Sterne flimmerten über den Baumwipfeln.

Plötzlich hob Rex den Kopf. Knurrte leise.

Jonas folgte seinem Blick.

Ein Mann stand am Waldrand.

Schlank, in dunkler Jacke, das Gesicht im Schatten. Er bewegte sich nicht. Stand nur da. Beobachtend.

Jonas erhob sich langsam. Die Knie steif. Die Kehle trocken.

„Wer sind Sie?“, rief er.

Keine Antwort.

„Was wollen Sie?“

Stille.

Dann drehte sich der Mann um und verschwand im Wald.

Jonas rannte die Stufen hinab. Doch als er am Waldrand ankam, war nichts mehr zu sehen. Nur der Wind, der durch die Bäume strich.

Er blieb lange stehen. Die Dunkelheit legte sich wie ein Tuch über seine Schultern. Dann ging er zurück.

Rex wartete vor der Tür. Wachsam. Aber nicht beunruhigt.

„Wir sind nicht allein“, sagte Jonas.

Am nächsten Morgen fand er eine Nachricht. Wieder ohne Absender. Diesmal mit wenigen Worten:

„Er ist noch da. Aber nicht mehr lange.“

Jonas starrte auf den Zettel. Die Handschrift war dieselbe wie auf dem Foto.

Wer schrieb ihm diese Botschaften? Wer beobachtete ihn?

Und wen meinte der Satz? Falk? Oder… ihn selbst?

Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.

Er holte die alte Karte des Einsatzgebietes hervor. Legte sie auf den Tisch. Markierte die Stelle, an der Falk gefallen war. Dann die Route, die Rex genommen haben musste, um durch die Dörfer bis zur deutschen Basis zu gelangen. Und schließlich: den Weg nach Hause.

Plötzlich sah er es.

Eine Linie. Nicht zufällig. Kein Umherirren. Sondern eine Entscheidung. Ein Ziel.

Rex war nicht geflohen. Er war unterwegs gewesen.

Mit Absicht.

Jonas ließ die Finger über die Karte gleiten. Dann schrieb er auf ein neues Blatt Papier nur einen Satz:

„Vielleicht warst du nie verloren. Vielleicht warst du auf Mission.“

Er faltete das Blatt, steckte es in einen kleinen Umschlag, schrieb „Rex“ darauf und legte ihn in den Napf.

Der Hund fraß wie gewohnt. Doch als er den Umschlag bemerkte, schnappte er ihn vorsichtig mit den Zähnen, trug ihn in den Garten und vergrub ihn.

Jonas lächelte.

Später an diesem Abend, als der Regen sanft gegen die Fenster prasselte, ging Jonas noch einmal in den Keller. Er stellte sich an die Stelle, wo damals die Spuren gewesen waren. Und er lauschte.

Nichts.

Dann trat er an das Regal, tastete die Wand ab – und spürte es. Eine lose Platte. Dahinter: ein Hohlraum.

Mit Mühe zog er ein altes Holzbrett heraus. Dahinter lag eine Kiste. Kein Staub. Kein Schimmel. Als wäre sie erst gestern dort versteckt worden.

Er hob sie heraus, öffnete sie langsam.

Darin: alte Feldpost. Ein USB-Stick. Und ein handgeschriebenes Notizbuch. Obenauf lag ein Umschlag mit seinem Namen.


Er öffnete den Umschlag und erkannte die Handschrift sofort: es war Falks letzte Botschaft. Doch sie begann mit den Worten:
„Jonas, wenn du das liest, hat er dich lebendig zurückgebracht.“

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