🐾 Teil 7: Die Hütten am verlassenen Steinbruch
Der Tag begann mit fahlem Licht, das kaum durch die schweren Wolken drang.
Johann stand am Fenster und beobachtete, wie Schneepfoten im Hof umherging.
Seine Bewegungen waren langsam, aufmerksam, als taste er die Luft ab.
Der Welpe tapselte hinterher, stolperte in den Schnee, schüttelte sich und versuchte es erneut.
Johann spürte, dass dieser Morgen nicht gewöhnlich war.
Nach dem Frühstück kam Jakob vorbei.
Sein Gesicht war ernster als sonst, in den Händen hielt er eine Karte.
„Ich habe die Spuren verfolgt, die du gestern gesehen hast“, begann er ohne Umschweife.
„Sie führen zu einem der alten Steinbrüche jenseits der Bahnlinie. Dort gibt es noch Hütten, die im Winter leer stehen – meistens jedenfalls.“
Johann sah auf die Karte, auf der Jakob die Route mit einem Kohlestift markiert hatte.
Es war ein weiter Weg, besonders bei dem Schnee.
„Und du meinst, er ist dort?“
Jakob nickte knapp.
„Wenn er nicht dort wohnt, nutzt er es als Unterschlupf. Und wenn er Fallen stellt, lagert er das Zeug nicht im Dorf.“
Anna kam dazu, als sie gerade überlegten, wie sie vorgehen sollten.
Sie hörte sich alles an, sagte dann leise: „Wir sollten nicht warten. Wenn er wiederkommt, könnte es zu spät sein.“
Ihre Augen ruhten auf dem Welpen, der im Korb lag und sich im Schlaf reckte.
Sie beschlossen, sich am nächsten Morgen auf den Weg zu machen.
Jakob würde vorausgehen, Johann und Anna folgten, Schneepfoten blieb an Johanns Seite.
Den Welpen ließ Johann bei Brigitte, die versprach, gut auf ihn aufzupassen.
Die Nacht war kurz.
Johann lag wach, lauschte auf jedes Geräusch.
Schneepfoten schlief nicht tief, hob immer wieder den Kopf, als spüre er eine unsichtbare Bewegung in der Ferne.
Als der Morgen kam, war das Dorf still wie unter einer Schneedecke aus Glas.
Der Weg zum alten Steinbruch war beschwerlich.
Der Schnee lag tief, die Luft roch nach Frost und Kiefernharz.
Jakob führte sie durch schmale Pfade, die zwischen den Bäumen kaum erkennbar waren.
Sie sprachen wenig, ihre Atemwolken stiegen schnell und wurden vom Wind fortgetragen.
Nach einer Stunde erreichten sie den Rand des Steinbruchs.
Die grauen Wände ragten still in den Himmel, von Schnee überzogen.
Am Fuß des Abhangs standen zwei niedrige Hütten, halb verfallen, aber mit Spuren im Schnee davor.
Jakob hob die Hand und deutete auf frische Abdrücke.
„Heute Nacht gewesen.“
Sie gingen langsam näher.
Schneepfoten blieb dicht an Johann, seine Bewegungen leise, der Kopf gesenkt.
Aus der ersten Hütte kam kein Laut.
Jakob schob die Tür auf, das Holz knarrte.
Drinnen nur ein Haufen alter Säcke, ein umgestürzter Stuhl, ein schwacher Geruch nach Rauch.
Die zweite Hütte war verschlossen, ein einfaches Vorhängeschloss an der Tür.
Jakob beugte sich hinunter, berührte das Metall.
„Noch warm.“
Johann fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
Jemand war hier und nicht vor langer Zeit.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren.
Hinter der Hütte bewegte sich etwas, schnell, dann wieder still.
Schneepfoten spannte sich, ein tiefes Knurren kam aus seiner Kehle.
Johann hielt ihn zurück, um nicht zu früh Alarm zu schlagen.
Jakob ging um die Ecke, verschwand kurz aus dem Blick.
Ein paar Sekunden später rief er: „Hier!“
Johann und Anna folgten.
Am Boden lag ein Sack, halb geöffnet, darin Fleischstücke, die seltsam riechen.
Daneben eine Kiste mit mehreren zusammengerollten Drahtschlingen.
Anna presste die Lippen zusammen.
„Das reicht, um das halbe Tal leerzufangen.“
Johann sah auf den Sack, dann auf die Hütte.
„Er ist in der Nähe. Sonst lässt er das nicht hier.“
Sie beschlossen, nicht länger zu bleiben, um nicht in eine direkte Konfrontation zu geraten.
Jakob wollte am Abend mit zwei weiteren Männern zurückkommen, um den Ort zu sichern.
Auf dem Rückweg war keiner von ihnen entspannt.
Immer wieder blieb Schneepfoten stehen, drehte den Kopf, als würde er verfolgt.
Johann begann, diesen Blick ernst zu nehmen.
Als sie das Dorf erreichten, war der Himmel dunkler geworden.
Schneeflocken fielen still, der Schnee lag weich unter den Füßen.
Brigitte kam ihnen entgegen, den Welpen im Arm.
„Er hat sich ruhig verhalten“, sagte sie, aber in ihrer Stimme lag ein Unterton.
„Vor einer Stunde hat jemand im Dorf nach dir gefragt, Johann. Jemand, den ich nicht kenne.“
Er wollte fragen, wie der Mann aussah, doch Brigitte konnte es nicht genau sagen.
Nur, dass er einen abgetragenen Mantel trug und den Blick mied.
Jakob und Johann tauschten einen schnellen Blick.
„Das war er“, murmelte Jakob.
Am Abend setzte Johann sich an den Tisch, das alte Halsband in der Hand.
Er dachte an die Briefe, an Alrik, an die Möglichkeit, dass Schneepfoten mehr wusste, als er zeigen konnte.
Draußen begann der Wind zu heulen, trieb den Schnee gegen die Scheiben.
Der Welpe schlief tief, Schneepfoten lag davor, wie ein Wächter.
Johann wusste, dass die Ruhe nicht lange halten würde.
Sie hatten den Ort gefunden, an dem der Mann sein Jagdwerkzeug lagerte.
Aber der Mann wusste jetzt, dass sie ihn suchten.
Und tief in der Nacht, als das Dorf schlief, stand Schneepfoten plötzlich auf, stellte die Ohren auf und ging zur Tür.
Johann folgte ihm mit pochendem Herz.
Draußen war alles weiß und still.
Doch irgendwo im Wald knirschte der Schnee unter fremden Schritten.