🐾 Teil 9: Begegnung im Wald
Der Morgen begann mit einem schweren Himmel, der Schnee in sich trug.
Johann saß am Tisch, das alte Halsband aus der Truhe neben sich, und dachte an das, was er in der Nacht gesehen hatte.
Das Bild des Sackes, der den Besitzer wechselte, ging ihm nicht aus dem Kopf.
Und noch weniger das Halsband, das im Schnee gelegen hatte.
Jakob kam kurz nach Sonnenaufgang.
Sein Blick war ernst, und er brachte eine Karte mit, auf der er den Ort markiert hatte, an dem die beiden Männer verschwunden waren.
„Dort führt ein alter Weg nach Süden“, sagte er.
„Früher haben sie Holz darüber transportiert. Heute ist er fast zugewachsen. Wenn wir ihnen folgen wollen, ist das der einzige Weg.“
Anna kam wenig später.
Sie hatte den Welpen im Arm, der unruhig zappelte, als spüre er die Stimmung.
„Wir sollten es heute Nacht beenden“, sagte sie leise.
„Sonst ist er verschwunden, und wir finden ihn nie wieder.“
Der Tag zog sich endlos.
Johann ging mehrmals hinaus, nur um den Kopf frei zu bekommen.
Schneepfoten folgte ihm jedes Mal, blieb aber immer dicht bei ihm, als ahnte er, dass sich etwas Entscheidendes näherte.
Der Welpe spielte kaum, legte sich stattdessen oft zu Schneepfoten und suchte seine Wärme.
Am Nachmittag trafen sie sich im Wirtshaus, um den Plan zu besprechen.
Jakob würde den Weg nach Süden nehmen und von dort auf den Bahnsteig zusteuern.
Johann und Anna sollten weiter oben im Hang bleiben, um Sicht auf das Treffen zu haben.
Schneepfoten würde bei Johann bleiben, der Welpe blieb bei Brigitte.
Sie verabredeten Zeichen, falls einer von ihnen Hilfe brauchte.
Die Nacht kam früh.
Der Himmel hing tief, und feiner Schnee fiel in gleichmäßigem Rhythmus.
Johann zog den Kragen hoch, hielt die Lampe aus, um nicht entdeckt zu werden.
Der Weg war still, nur ab und zu knackte ein Ast unter der Last des Schnees.
Schneepfoten lief leichtfüßig, seine Pfoten hinterließen scharfe Abdrücke im weißen Boden.
Am alten Bahnsteig angekommen, legten sie sich in den Schutz einer Böschung.
Von hier aus konnten sie das Geschehen sehen, ohne selbst im Licht zu stehen.
Lange geschah nichts, nur der Schnee fiel weiter.
Dann tauchte eine Gestalt aus der Dunkelheit auf – der Mann mit dem Mantel.
Er trug wieder einen Sack über der Schulter.
Kurz darauf erschien der kleinere Mann mit der Lampe.
Sie wechselten ein paar Worte, und der Sack wurde übergeben.
Diesmal öffnete der Käufer ihn vor Ort.
Johann sah, wie er etwas herausnahm – ein Halsband, diesmal mit einer deutlichen Messingmarke.
Der Käufer steckte es in seine Tasche, warf einen Blick um sich und schloss den Sack wieder.
Johann spürte, wie seine Finger sich um den Griff der Lampe schlossen.
Er wollte aufstehen, den Mann zur Rede stellen, aber Jakob tauchte von der Seite auf und gab ein kurzes Zeichen.
Noch nicht.
Er wollte, dass beide Männer gleichzeitig gestellt wurden.
Sie warteten, bis die beiden den Bahnsteig verließen.
Dann setzten sie ihnen nach, leise, Schritt für Schritt.
Schneepfoten blieb dicht an Johanns Seite, der Kopf gesenkt, bereit zu reagieren.
Der Weg führte in ein kleines Waldstück.
Dort blieb der Käufer plötzlich stehen, hob den Blick und spähte in die Dunkelheit.
Vielleicht hatte er ein Geräusch gehört.
Jakob nutzte den Moment, um aus der Deckung zu treten.
„Stehen bleiben“, rief er, die Stimme fest.
Johann und Anna traten ebenfalls hervor.
Der Mann mit dem Mantel drehte sich langsam um.
Sein Gesicht war schmal, eingefallen, die Augen kalt.
„Was wollt ihr?“, fragte er, als hätte er nichts zu verbergen.
Jakob trat näher, nahm ihm den Sack ab.
Drinnen lagen mehrere Halsbänder, teils alt, teils neu, einige mit Marken, andere ohne.
Zwischen ihnen auch Futterstücke, eingewickelt in dasselbe Papier wie das vergiftete Fleisch.
„Woher hast du das?“ Johanns Stimme war schärfer, als er es geplant hatte.
Der Mann zuckte mit den Schultern.
„Gefunden. Im Wald.“
Jakob lachte kurz, ohne Freude.
„Niemand findet so etwas im Wald, schon gar nicht in dieser Menge.“
Der Käufer setzte einen Schritt zurück, als wolle er fliehen.
Doch Schneepfoten trat vor, stellte sich zwischen ihn und den Weg.
Das Knurren war leise, aber unmissverständlich.
Der Mann blieb stehen.
Jakob winkte Anna zu, den Sack mitzunehmen.
„Wir bringen das ins Dorf. Morgen reden wir weiter.“
Der Mantelträger sagte nichts mehr, sein Blick war nur auf Schneepfoten gerichtet.
Es war kein Blick des Hasses, eher einer, der etwas erkannte.
Dann drehte er sich um und ging in die Dunkelheit, ohne sich noch einmal umzusehen.
Auf dem Rückweg war keiner von ihnen entspannt.
Sie hatten die Beweise, aber nicht den ganzen Grund.
Warum gerade Schneepfoten?
Warum diese alten Halsbänder?
Und wieso dieser Blick, als der Mann den Hund sah?
Als sie das Dorf erreichten, wartete Brigitte schon.
Der Welpe schlief, eingerollt in einer Decke.
„Alles gut?“ fragte sie, und Johann nickte.
Doch innerlich wusste er, dass nichts gut war.
Das hier war noch nicht zu Ende.
Spät in der Nacht, als das Dorf wieder still lag, saß Johann am Tisch.
Schneepfoten lag zu seinen Füßen, der Welpe in der Ecke.
Er holte die Truhe hervor, nahm das alte Halsband und legte es neben die neuen, die sie im Sack gefunden hatten.
Der Unterschied war gering, zu gering, um Zufall zu sein.
Er sah zu Schneepfoten hinunter.
„Vielleicht gehörst du nicht nur hierher, weil du es willst. Vielleicht bist du zurückgekommen, weil etwas dich gesucht hat.“
Der Hund hob den Kopf, als hätte er verstanden.
Und draußen im Schnee war die Spur eines Mannes noch nicht verweht.