🐾 Teil 7: Tränen im Staub
Die Nachricht von der Dose machte in Börfink die Runde.
Niemand sprach laut darüber, doch die Menschen hatten feine Ohren, wenn es um das ging, was den Sommer anders machte.
Es hieß, Irmgard Kappel habe etwas gefunden, das von früher stammte, etwas, das mit dem Hund zu tun hatte.
Die Kinder erzählten flüsternd davon, und die Erwachsenen hörten zu, als glaubten sie selbst nicht recht, was sie hörten.
Fenja trug die Geschichte in sich wie ein Geheimnis, das zu groß war für ein Kind.
Sie wusste, dass es nicht nur um einen Hund ging, der zufällig ins Dorf kam.
Etwas Größeres war im Spiel, und sie fühlte sich, als habe der Sommer sie auserwählt.
Am nächsten Nachmittag saßen sie wieder auf dem Platz.
Die Sonne brannte, der Staub klebte an den Knien, und der Ball lag vergessen im Gras.
Alle warteten, und jeder tat so, als warte er nicht.
Dann kam der Hund.
Er kam nicht springend, nicht spielend, sondern still, als wisse er, dass die Kinder diesmal mehr erwarteten.
Er lief nicht zu Fenja, nicht zu Kjell, sondern direkt auf Herrn Brenner zu, der mit verschränkten Armen am Rand stand.
Der Mann blinzelte verwundert, ließ dann den Spaten fallen, den er noch in der Hand hielt.
Der Hund blieb vor ihm sitzen, hob den Kopf und wartete.
Die Kinder hielten den Atem an.
Irmgard, die aus der Ferne zusah, wusste sofort, dass dies eine neue Wendung war.
Der Hund hatte seine Wahl getroffen.
Herr Brenner kniete langsam nieder.
Er legte die Hand vorsichtig auf das Fell, als habe er Angst, etwas könnte zerbrechen.
Der Hund bewegte sich nicht, aber seine Augen hielten den Mann fest.
Es war ein Blick, der Erinnerungen aufrief, die lange verschüttet waren.
Später erzählte Herr Brenner, dass er plötzlich wieder den Sommer von 1972 vor Augen hatte.
Er war damals selbst ein Junge gewesen, barfuß am Bach, und Merten war bei ihm gewesen.
Sie hatten zusammen Holzflöße gebaut und dabei geschworen, einander nie im Stich zu lassen.
Doch der Schwur war vergessen worden, verschluckt von den Jahren.
Jetzt, fast fünfzig Jahre später, stand dieser Hund vor ihm und rief es zurück.
Herr Brenner schluckte schwer, Tränen liefen über sein Gesicht, und die Kinder starrten, als hätten sie nie zuvor einen Erwachsenen weinen sehen.
Der Hund blieb, bis der Mann die Hand sinken ließ.
Dann drehte er sich um und ging wieder, ohne Eile, zurück in Richtung Wald.
Die Spur im Staub blieb, als hätte sie mehr Gewicht als seine Pfoten.
Fenja konnte in dieser Nacht kaum einschlafen.
Sie dachte an den Moment, als Herr Brenner auf die Knie ging, und fragte sich, warum der Hund immer genau wusste, wohin er gehen musste.
Sie fühlte, dass er ein Bote war, jemand, der Erinnerungen weckte, die sonst verloren gingen.
Und sie fragte sich, ob er eines Tages auch zu ihr kommen würde, nicht nur zum Spielen, sondern mit einer Botschaft, die nur sie verstehen konnte.
Irmgard saß am Abend an ihrem Tisch.
Vor ihr lagen die Dose, das Heft und der Gedanke an den Blick des Hundes.
Sie verstand, dass er nicht nur für sie kam.
Er war gekommen, um eine unsichtbare Arbeit zu tun, eine Arbeit, die Menschen nicht leisten konnten.
Am nächsten Morgen war das Dorf unruhig.
Man sprach in der Bäckerei davon, dass Herr Brenner so verändert aussah, stiller, aber auch leichter.
Man fragte sich, ob der Hund nun zu jedem gehen würde, zu jedem, der noch eine offene Erinnerung hatte.
Und niemand lachte über diesen Gedanken.
Fenja lief mit Kjell zum Waldrand.
Sie wollten den Hund suchen, aber der Wald blieb still, und nur das Rauschen des Baches antwortete ihnen.
Sie gaben nicht auf, setzten sich ins Gras und warteten.
Doch der Hund zeigte sich nicht.
Erst am Abend, als die Sonne rot über den Hügeln hing, stand er plötzlich wieder am Platz.
Er war ruhig, seine Augen wachsam.
Die Kinder liefen auf ihn zu, doch er wich ihnen aus.
Er ging auf die Bank zu, auf der Irmgard saß.
Neben ihr lag das Heft.
Er stupste mit der Nase dagegen, als wollte er sagen, dass es noch nicht alles war.
Irmgard öffnete es.
Eine Seite, die sie bisher überblättert hatte, zeigte ein paar Sätze, hastig hingeworfen.
Wenn er wiederkommt, hör auf ihn. Er weiß, wo wir uns treffen.
Irmgard erschauerte.
Sie legte die Hand auf die Seite, und der Hund sah sie ernst an.
Fenja stand dicht daneben.
Sie spürte, dass nun etwas bevorstand, das größer war als ihre kindliche Neugier.
Der Hund war nicht nur Erinnerung, er war ein Wegweiser.
Doch wohin er führte, wussten sie noch nicht.
Die Sonne sank, der Abend legte sich über das Dorf.
Der Hund stand still, sah ein letztes Mal zu Irmgard, dann zu Fenja, und trottete schließlich in den Wald.
Diesmal war es kein gewöhnlicher Abschied.
Es war, als hätte er sie eingeladen, ihm bald zu folgen.
Und Irmgard wusste, dass der Sommer noch tiefer in ihre Vergangenheit greifen würde.