Von Distanz, Fehlern und dem Mut, als Mutter das Licht im Flur anzulassen

Er suchte nach Worten.

„Da ist mir klar geworden, dass du mich losgelassen hast, aber immer in der Nähe geblieben bist. Wie… wie ein Sicherheitsnetz, das ich nicht sehen wollte.“

Ich schluckte. „Ich habe viel falsch gemacht“, gab ich zu. „Ich habe zu lange alles aufgefangen. Dann habe ich zu hart die Notbremse gezogen. Vielleicht war ich mehr mit deiner Angst beschäftigt als mit meiner eigenen.“

Jonas sah auf das dunkle Wasser.

„Mama, ich glaube, manchmal muss man hart aufkommen, um zu merken, dass man eigene Beine hat“, sagte er langsam. „Aber es hilft, wenn man weiß, dass da jemand ist, der einen notfalls ins Krankenhaus fährt und einem danach trotzdem noch den Schal umlegt.“

Ich lachte leise, und in meinen Augen brannte es.

Auf dem Heimweg, in der überfüllten Straßenbahn, lehnte er sich kurz an mich, wie früher als Teenager, wenn er so müde war, dass ihm im Sitzen die Augen zufielen. Nur dieses Mal war es kein unbewusstes Gewicht, das an mir hing. Es war eine kleine, stille Geste von Nähe.

„Mama?“, murmelte er.

„Hm?“

„Wenn ich irgendwann genug verdiene… dann nehme ich dich als Erste mit in den Urlaub. Richtig. Meer, Hotel, alles. Ohne dass du überlegen musst, ob du dir das leisten kannst.“

Ich schüttelte den Kopf, aber ich lächelte. „Jonas, du musst gar nichts gutmachen. Dein Leben ist kein Schuldenkonto.“

„Vielleicht nicht“, sagte er. „Aber ich will, dass du siehst, wofür du gebürgt hast. Nicht nur für eine Wohnung. Sondern für einen Menschen, der doch noch was aus sich machen kann.“

Als ich an diesem Abend in meiner kleinen Zweizimmerwohnung das Licht ausmachte, war ich wieder allein. Die Heizung gluckerte, der Wind rüttelte am Fenster. Rein äußerlich war alles wie immer.

Und doch war etwas anders.

Mein Handy lag neben dem Bett. Kein Warten mehr auf eine Nachricht, die vielleicht nie kommt. Stattdessen das ruhige Wissen: Wenn Jonas etwas braucht, meldet er sich. Und wenn ich etwas brauche, kann ich inzwischen auch ihn fragen.

Ich verstand in dieser Nacht etwas, das ich vorher nur ahnte:

Kinder loszulassen heißt nicht, ihnen die Tür zuzuschlagen. Es heißt, sie hinausgehen zu lassen und trotzdem das Licht im Flur brennen zu lassen, falls sie den Weg zurück suchen.

Jonas war zurückgekommen. Nicht als Junge, der Geld braucht, sondern als junger Mann, der Verantwortung übernimmt.

Und ich?

Ich durfte endlich aufhören, nur Bürgin zu sein.

Ich durfte wieder einfach Mutter sein.

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