Wenn Liebe bleibt, während die Erinnerung schwindet und zwei Herzen neu lernen müssen zu tragen

Ich fand auf keine dieser Fragen eine Antwort.

Der Tag des Einzugs kam schneller, als ich registrieren konnte.

Daniel fuhr uns. Franz saß auf dem Beifahrersitz, neugierig wie ein Kind auf Klassenfahrt.

„Wo fahren wir hin?“, fragte er zum dritten Mal.

„In ein Haus, wo Leute sind, die sich gut auskennen“, antwortete ich jedes Mal.

„Die haben dort auch einen Garten“, fügte ich hinzu, mehr für mich als für ihn.

Ein Garten klang harmlos. Ein Garten war kein Heim.

Die Pflegerin, die uns an der Tür empfing, war freundlich, mit müden Augen, in denen trotzdem etwas Waches lag.

Sie sprach mit Franz, als sei er ein ganzer Mensch, nicht eine Diagnose.

Ich mochte sie sofort und hasste sie gleichzeitig dafür, dass ich sie mochte.

Als wir sein Zimmer eingerichtet hatten, stand ich am Fußende des Bettes und wusste nicht, wie man sich von einem halben Abschied verabschiedet.

Franz strich mit den Fingern über die Decke, als prüfe er das Material.

„Schöne Kissen“, sagte er ernst.

Ich lachte kurz, dieses dünne, brüchige Lachen, das eher ein Schluchzen ist.

„Ich komme morgen wieder“, versprach ich.

Es war das ehrlichste Versprechen, das ich geben konnte.

Er sah mich an.

„Grete?“, fragte er.

„Ja, ich bin da“, antwortete ich.

„Du bist ein gutes Mädchen“, sagte er zum zweiten Mal in diesem Jahr.

„Vergiss nicht, auch Pause zu machen.“

Dann wandte er den Blick zur Tür, wo eine Pflegerin mit einem Tablett stand, und sein Gesicht hellte sich auf. „Ach, da ist ja die Dame vom Essen.“

Ich ging hinaus, bevor er mich zum dritten Mal verwechseln konnte.

Im Flur lehnte ich mich an die Wand und atmete, als hätte ich einen Marathon hinter mir.

Vielleicht war es einer.

Zuhause war das Haus zu still.

Kein Rufen, kein Poltern, keine Frage nach dem Tag, der längst vergangen war.

Ich setzte mich auf die Terrasse, unter die Linde, und zum ersten Mal seit Jahren hörte ich nur den Wind in den Blättern.

Ich fühlte mich nicht frei.

Ich fühlte mich nicht erleichtert.

Ich fühlte mich schuldig und leer, wie ein Zimmer, aus dem man die Möbel geholt hat, in dem aber noch der Geruch der Vergangenheit hängt.

Auf dem Tisch lag der silberne Anhänger.

Ich nahm ihn in die Hand, schloss die Finger darum und spürte das kalte Metall in meiner warmen Haut.

„Für jeden Tag, an dem du geblieben bist“, stand auf dem kleinen Zettel.

Vielleicht, dachte ich, meint dieser Satz auch die Tage, an denen man lernt, kurz wegzugehen.

Nicht, weil die Liebe weniger wird.

Sondern weil sie so groß ist, dass sie beide schützen will.

Die Welt feiert die, die bleiben.

Aber niemand spricht davon, wie viel Mut es braucht, einen Teil der Verantwortung abzugeben, ohne die Liebe loszulassen.

Vielleicht, dachte ich, ist auch das Liebe: zu wissen, wann man nicht mehr alles alleine kann und trotzdem nicht davonläuft.

Ich stand auf, legte den Anhänger mir um den Hals und schloss den Verschluss.

Dann holte ich tief Luft, nahm den Kalender vom Küchentisch und schrieb in den morgigen Tag nur ein Wort:

Besuch.

Scroll to Top