Ich dachte, die Geschichte wäre vorbei… bis ich eine Woche später wieder im selben Supermarkt stand.“
Ich hätte nie gedacht, dass ich eine Fortsetzung schreiben würde. Es war eine dieser Geschichten, die man erlebt, kurz im Herzen spürt und dann in eine Schublade legt, damit der Alltag sie wieder zudeckt. Aber genau das passierte nicht.
Denn eine Woche nach dieser Begegnung mit dem alten Mann und der jungen Kassiererin stand ich wieder am selben Ort und diesmal wurde ich selbst Teil dieses leisen Wunders.
Ich war an diesem Morgen unschlüssig, ob ich wirklich noch einmal in denselben Supermarkt gehen sollte. Vielleicht war es lächerlich. Vielleicht wollte ich etwas finden, was gar nicht mehr da war: Menschlichkeit, die einen ganzen Laden für ein paar Minuten angehalten hatte.
Aber irgendetwas in mir schob mich durch die automatische Schiebetür.
Ich ging direkt zu der Kasse, an der alles passiert war. Und sofort fiel mir auf, dass etwas fehlte.
Lena.
Ihr Platz war leer. Die Kasse unbesetzt. Niemand mit einem warmen Lächeln oder dieser stillen Geduld, die den Raum füllte wie Sonnenlicht am frühen Morgen.
Ich spürte, wie mein Herz leicht sank.
Ich nahm mein Brot, meinen Kaffee, ein paar Äpfel. Und je näher ich der Kasse kam, desto stärker wuchs dieses leise, unbegründete Gefühl, dass ich nicht einfach bezahlen und gehen konnte.
An einer der anderen Kassen stand eine Frau um die vierzig – „Miriam“, stand auf ihrem Namensschild. Ich legte meine Sachen aufs Band, lächelte kurz und fragte beiläufig:
„Ist Lena heute nicht da? Sie war letzte Woche so unglaublich freundlich zu einem älteren Herrn…“
Miriam hielt inne. Nur einen Sekundenbruchteil, aber es reichte.
„Ja“, sagte sie schließlich, „ich weiß, welchen Moment Sie meinen. Es haben viele gesehen.“
Sie schluckte. „Lena hat heute Spätschicht. Sie ist… ehrlich gesagt ziemlich erschöpft in letzter Zeit.“
Ich nickte langsam. „Weil sie sich so viel Zeit nimmt?“
Miriam sah mich an, und in ihrem Blick lag etwas Bitteres, aber auch etwas Schönes. „Weil sie es nicht NICHT kann. Sie behandelt jeden so, ob jemand hinsieht oder nicht. Und das ist… anstrengend in einem Job wie diesem.“
Ich bezahlte, verabschiedete mich und ging Richtung Ausgang. Doch bevor ich das Gebäude verließ, sah ich etwas, das mich abrupt stoppen ließ.
Der alte Mann.
Er stand wieder dort.
Mit demselben gefalteten Einkaufszettel, derselben schiefen Brille, denselben zitternden Händen. Er hielt sich am Griff eines Einkaufswagens fest, als wäre er ein Geländer über einem Abgrund.
Ich atmete tief ein und ging zu ihm.
„Guten Morgen“, sagte ich vorsichtig. „Kann ich Ihnen helfen?“
Er blickte auf, und ich erkannte ihn sofort. Das zarte, unsichere Lächeln. Die winzige Verwirrung in den Augen.
„Ich… ich suche die junge Frau“, sagte er. „Die von letzter Woche. Sie hat mir… geholfen.“
„Lena?“, fragte ich.
Er nickte und seine Augen wurden etwas wässrig. „Ich… komme nur ungern ohne sie. Es ist mir alles zu schnell, zu laut. Sie… versteht das.“
Ich musste zweimal schlucken.
„Warten Sie… ich frage nach ihr.“
Ich ging zurück in den Laden und sah Miriam. „Er wartet auf Lena“, sagte ich leise und deutete mit dem Kopf nach draußen.
Miriam blickte hinaus. Ein Ausdruck aus Mitgefühl und Müdigkeit glitt über ihr Gesicht. „Ich sag’s ihr, wenn sie kommt. Sie wird sich freuen.“
Ich drehte mich wieder um und dann geschah der Moment, der mich in Teil 2 dieser Geschichte hineinzog, ob ich wollte oder nicht.
Ein Mann Mitte vierzig, vielleicht derselbe, der letzte Woche genervt gestöhnt hatte, ging an dem alten Herrn vorbei und murmelte laut genug: „Es kann doch nicht sein, dass der wieder alles aufhält. Soll er doch jemanden mitbringen.“
Der alte Mann zuckte zusammen, als hätte jemand ihn geschlagen.
Ich blieb stehen.
Und diesmal sagte niemand etwas.
Auch ich nicht – für drei lange Sekunden.
Dann hörte ich meine eigene Stimme, bevor ich wusste, dass ich reden würde.
„Er bringt jemanden mit“, sagte ich ruhig. „Er bringt uns mit.“
Der Mann drehte sich um. „Was?“
„Uns“, wiederholte ich. „Alle, die hier stehen und sehen, was er braucht. Und was er nicht verdient hat, sind Kommentare, die ihn kleiner machen, als er ohnehin schon ist.“
Es war kein Held*innenmoment. Meine Stimme zitterte ein bisschen. Meine Knie auch.
Aber irgendwas veränderte sich in der Luft.
Eine ältere Frau in roter Jacke nickte. Ein Teenager, vielleicht sechzehn, trat einen halben Schritt näher und sagte leise: „Ich kann den Wagen für ihn schieben.“ Eine Mutter mit Kinderwagen sah den Mann streng an.
Der Mann, der gemeckert hatte, senkte den Blick.
Und der alte Mann?
Er stand da, winzig, dünn, erschöpft, aber er lächelte.
Nicht dieses beschämte Lächeln von letzter Woche.
Ein anderes.
Ein zaghaftes, hoffendes.
Miriam kam kurz darauf aus dem Laden, winkte uns zu und sagte: „Lena ist in zwanzig Minuten da. Wenn Sie möchten, können Sie solange drinnen warten. Wir holen einen Stuhl.“
„Wir“, sagte sie, als wäre es selbstverständlich.
Wir gingen gemeinsam hinein. Ich links vom alten Mann, der Teenager rechts, die Frau in der roten Jacke schob den Wagen.
Ein Mini-Prozessionszug der stillen Fürsorge.
Im Laden setzte er sich vorsichtig auf den bereitgestellten Stuhl. Ich blieb bei ihm. Wir redeten über seine Katze „Minka, sie ist schon sechzehn und schläft eigentlich nur noch“ und darüber, dass er früher Lehrer gewesen war.
Und dann kam Lena.
Weiter zu 🐾 Teil 3 ⏬⏬






