Wie eine gefürchtete Rockertruppe 23 Kita-Kinder aus dem reißenden Fluss holte und ein ganzes Dorf veränderte

Man sah darauf die Schwarzen Raben, wie sie ohne Sicherung in die Flut sprangen. Man sah blutige Hände, die Sicherheitsglas eintrümmerten, starke Arme, die Kinder weiterreichten. Und man sah – immer wieder – die junge Erzieherin, die auf dem Dach stand und telefonierte, während andere ihr Leben riskierten.

Die Stadt konnte das nicht ignorieren.

Bär kam ins Krankenhaus. Mehrere gebrochene Rippen. Dutzende Stiche in beiden Händen. Unterkühlung. Einige Tage Intensivstation. Jonas lag zwei Nächte zur Überwachung auf der Kinderstation. Beide kamen durch.

Alle dreiundzwanzig Kinder überlebten.


In den Wochen danach änderte sich etwas in Lindenau.

Am Anfang kamen nur ein paar Eltern in das Vereinsheim der Schwarzen Raben am Stadtrand. Eine Mutter, die Bär einfach wortlos umarmte und nicht mehr losließ. Ein Vater, der seiner Tochter zuliebe zum ersten Mal überhaupt einen Fuß über die Schwelle setzte und dann stumm die Hand von Diesel drückte.

Linas und Jonas’ Mutter, eine schmale Frau mit Augenringen, kniete sich plötzlich vor Bär nieder.

„Sie haben meine Kinder gerettet“, sagte sie aufgebrochen. „Ich weiß nicht, wie ich das jemals…“

Bär, immer noch mit Verbänden an den Händen, ging vor ihr in die Hocke. „Frau Kramer“, sagte er leise, „jeder von uns hätte dasselbe getan. Man lässt keine Kinder untergehen. Egal, was man auf dem Rücken trägt.“

„Aber alle anderen haben nur zugeschaut“, flüsterte sie.

„Dann waren sie nicht die, die in diesem Moment wichtig waren“, antwortete er schlicht.

Frau Neumann verlor ihren Job. Nicht, weil sie Angst gehabt hatte – Angst ist menschlich. Sondern weil sie in den entscheidenden Minuten diejenigen aufhielt, die handelten. Die Aufzeichnungen des Notrufs zeigten deutlich, wie sie von „gefährlichen Männern“ sprach, während Kinder im Bus schrien.

Der Busfahrer wurde wegen Kindesgefährdung angeklagt. Dreiundzwanzig Fälle.

Doch was in der Stadt blieb, war vor allem das Bild der Schwarzen Raben in der Flut. Männer, vor denen viele vorher die Straßenseite gewechselt hatten, die jetzt wie ganz gewöhnliche Väter Kinder im Arm hielten.

Bei einer Bürgerversammlung einen Monat später wurden sie offiziell geehrt. In der Turnhalle der Gesamtschule saßen Bürger, die früher über die Lärmbeschwerden geschrieben hatten, nun aufrecht in den Stuhlreihen.

Bär stand am Rednerpult, noch immer etwas blass, die Hände voller Narben.

„Wenn Leute diese Kutten sehen“, sagte er und fasste an das Raben-Emblem auf seiner Weste, „dann denken sie an Ärger. An Lärm, an Alkohol, an Geschichten, die man so erzählt. Sie sehen Gefahr.“

Er blickte zu den Reihen der Eltern, die Kinder auf dem Schoß.

„Viele von uns waren bei der Bundeswehr, bei der Polizei, im Rettungsdienst. Wir haben unsere Päckchen. Wir sind keine Engel. Aber wir sind auch Väter. Onkel. Nachbarn. Menschen, die zufällig da waren, als andere Menschen gebraucht wurden.“

Er machte eine Pause, weil seine Stimme kurz stockte.

„Wir haben die Kinder nicht gerettet, weil wir Helden sind“, sagte er dann. „Wir haben sie gerettet, weil sie Hilfe brauchten und wir näher dran waren als alle anderen. Mehr braucht man nicht, um loszuspringen.“

In diesem Moment löste sich Jonas aus dem Arm seiner Mutter, rannte quer durch die Halle und warf sich an Bärs Bein. Das Publikum hielt den Atem an, bevor sich ein Lächeln nach dem anderen ausbreitete.

Bär hob den kleinen Jungen vorsichtig hoch, als wären seine Hände nicht voller Narben.

„Der hier ist der Kämpfer“, sagte er ins Mikrofon. „Er war fast drei Minuten unter Wasser. Er hat durchgehalten. Wir haben ihm nur die Chance gegeben, weiterzukämpfen.“

Der Applaus dauerte lange, viel länger, als es in einer kleinen Stadt üblich ist.


Heute, zwei Jahre später, ist es normal geworden, die Schwarzen Raben bei Schulfesten zu sehen. Sie lesen in der Kita vor, zeigen den Kindern, wie man sicher Fahrrad fährt, organisieren Spendenläufe für neue Spielgeräte.

Die gleichen Männer, über die früher geflüstert wurde, sind jetzt die, die man anruft, wenn eine alleinerziehende Mutter Hilfe beim Umzug braucht oder ein Jugendlicher in schlechte Kreise zu geraten droht.

Lina und Jonas fahren fast jeden Samstag mit ihrer Mutter zum Vereinsheim. Es gibt Kakao und Kekse, und die Kinder dürfen einmal um den Parkplatz herum auf einem der schweren Motorräder sitzen – natürlich aus, natürlich mit Helm, natürlich nur im Stand. Bär zeigt ihnen, wie man prüft, ob etwas sicher ist, bevor man losfährt. Spinne erzählt ihnen, wie wichtig es ist, anderen zu helfen, auch wenn sie anders aussehen.

Die Narben auf Bärs Händen werden bleiben. Er schaut manchmal lächelnd auf sie hinab.

„Das sind meine wichtigsten Orden“, sagt er dann. „Nicht wegen dem, was ich getan habe – sondern wegen dem, was daraus geworden ist.“


Und Frau Neumann?

Sie ist aus Lindenau weggezogen. Bevor sie ging, schrieb sie einen Leserbrief an die Lokalzeitung.

„Ich war die Erzieherin auf dem Bus“, stand dort. „Ich hätte diejenige sein sollen, die Ruhe bewahrt. Die handelt. Stattdessen habe ich mich von Angst und Vorurteilen leiten lassen. Ich habe Männer, die ich nicht kannte, als Gefahr gesehen, obwohl sie die Einzigen waren, die etwas taten.

Die Schwarzen Raben haben keine Vorschriften diskutiert. Sie haben keine Formulare gebraucht. Sie haben Kinder gesehen, die ertrinken konnten, und sind gesprungen.

Sie sind die Helden dieser Geschichte. Ich bin die Mahnung, was passiert, wenn wir unsere Mitmenschen nur nach ihrem Aussehen beurteilen.“

Das Foto, das damals um die Welt ging, hängt heute im Vereinsheim der Schwarzen Raben und im Flur der Kita „Sonnenblume“.

Es zeigt Bär, wie er bis zur Hüfte im Wasser steht, komplett durchnässt, Blut und Matsch an den Armen, Jonas fest an sich gedrückt. Im Hintergrund sieht man die braune Flut, den halb versunkenen Bus, verschwommene Gestalten.

Viele sagen, dieses Bild habe ihre Sicht auf „solche Leute“ verändert. Für mich hat es etwas anderes gezeigt:

Wenn das Wasser steigt und die Gefahr ganz real ist, zählen keine Geschichten mehr, keine Gerüchte, keine Kutten.

Dann zählt nur, wer springt.

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