Zwischen zwei Leinen: Wie ich zwei gebrochene Hunde nach Hause brachte

Sie ging weiter, und ihre Schritte klangen wie ein Urteil. Doch als ich nach unten schaute, sah ich, dass Kuno den Kopf kurz gegen Sentas Hals drückte, als hätte er das Gespräch auch gehört. Senta entspannte sich ein klein wenig.

Wir gingen weiter. Der Atem der Hunde stieg wie Rauch auf. Irgendwo klirrte jemand mit einem Schlüsselbund. Ein Fahrrad fuhr vorbei, und Senta zuckte zusammen.

Kuno blieb ruhig. Und in dieser Ruhe lag etwas, das ich erst später wirklich begriff: Er war nicht nur ein alter Hund. Er war Sentas Anker. Und vielleicht – wenn ich ehrlich war – auch meiner.

Zu Hause angekommen, machte ich etwas, das ich sonst nie tat: Ich ließ Chaos zu. Ich ließ die Leinen im Flur liegen, statt sie sofort aufzuhängen. Ich ließ zwei nasse Pfotenabdrücke auf dem Parkett, ohne sofort zu wischen. Ich ließ die Wohnung sich verändern.

Am Mittag rief ich in einer Tierarztpraxis an und bekam einen Termin für die Woche. Ich schrieb mir alles auf, wie immer. Doch diesmal war es nicht Kontrolle. Es war Fürsorge.

Während ich telefonierte, lag Kuno mit halboffenen Augen da. Senta lag so dicht an ihm, dass ihr Rücken sich mit seinem Atem hob und senkte. Man hätte denken können, sie teilen sich eine Lunge.

Als ich auflegte, merkte ich plötzlich etwas, das mir unangenehm war: Angst. Nicht um mich. Um sie. Um das, was passiert, wenn einer von beiden irgendwann nicht mehr da ist.

Der Gedanke traf mich wie ein kalter Luftzug. Ich schob ihn weg, wie man schlechte Nachrichten wegschiebt. Aber er blieb.

Am Abend, als es wieder dunkel wurde, klingelte es. Ich erschrak, weil ich nicht damit gerechnet hatte. Niemand klingelte bei mir. Mein Leben war geordnet genug gewesen, dass Überraschungen selten vorkamen.

Ich öffnete die Tür, und da stand Frau Ehlers. Dicke Jacke, rotes Gesicht von der Kälte, eine Papiertüte in der Hand. Hinter ihr dampfte die Luft.

„Ich war in der Nähe“, sagte sie, und ich wusste, dass das eine kleine Lüge war. Freundliche Menschen lügen manchmal, um nicht zu zeigen, wie sehr sie sich kümmern.

„Kommen Sie rein“, sagte ich.

Sie trat ein, zog die Mütze ab und lächelte, als sie Kuno und Senta sah. „Na“, murmelte sie, „da seid ihr ja.“

Kuno hob den Kopf. Senta spannte sich kurz an, dann erkannte sie den Geruch und entspannte sich wieder. Frau Ehlers kniete sich hin, streckte die Hand aus. Senta schnupperte, ganz kurz. Kein Rückzug. Kein Zittern.

„Sie machen das gut“, sagte Frau Ehlers leise, als wäre es etwas, das man nicht laut sagen darf, weil es sonst zerbricht.

„Ich hab schon am ersten Abend fast alles falsch gemacht“, gab ich zu.

Frau Ehlers nickte. „Das gehört dazu. Senta testet nicht Sie. Sie testet, ob die Welt noch einmal sicher sein kann.“

Sie stellte die Tüte auf den Tisch und holte zwei alte, leicht ausgebleichte Halsbänder heraus. Nichts Besonderes, keine glänzenden Marken, nur Leder, das weich geworden war vom Leben.

„Die waren bei dem alten Herrn“, sagte sie. „Man hat sie gefunden. Ich dachte… vielleicht wollen Sie sie.“

Ich nahm die Halsbänder, und plötzlich sah ich nicht mehr nur zwei Hunde. Ich sah drei Wochen Dunkelheit, Kälte, diesen Raum am Stadtrand, in dem niemand klopfte. Ich sah zwei Körper neben einem dritten, der still geworden war, und zwei Herzen, die sich gegenseitig am Schlagen hielten.

„Danke“, sagte ich, und diesmal war es kein lächerliches Danke. Es war schwer und echt.

Frau Ehlers blieb nicht lange. Sie trank keinen Tee, obwohl ich ihn anbot. Sie wollte nur sehen, ob es ihnen gut ging. Als sie ging, blieb die Wärme ihrer Anwesenheit kurz im Flur hängen, wie der letzte Rest Licht nach einem Sonnenuntergang.

Als die Tür wieder zu war, setzte ich mich auf den Boden, die Halsbänder auf meinen Knien. Kuno kam zu mir, langsam. Senta folgte.

Ich legte das erste Halsband in Kunus Nähe. Er schnupperte daran, schloss kurz die Augen, als würde er etwas hören, was nicht mehr da ist. Senta schnupperte am zweiten, und ihr Körper wurde für einen Moment so still, dass es mir Angst machte.

Dann drückte Kuno seine Nase gegen Sentas Wange. Ein kleiner Stoß, sanft, beruhigend. Senta atmete aus. Und ich spürte, wie sich in mir etwas entspannte, das ich lange festgehalten hatte, ohne es zu merken.

Draußen fiel vielleicht der erste feine Schnee. Drinnen war es warm. Und ich verstand langsam, dass ich nicht nur zwei Hunde aufgenommen hatte.

Ich hatte eine Geschichte aufgenommen, die weitergeht. Nicht weil alles plötzlich heil ist, sondern weil man manchmal nicht heilt, indem man vergisst – sondern indem man zusammen bleibt.

Und irgendwo in dieser neuen, vollen Stille wusste ich: Das Schwierige kommt erst noch. Aber diesmal werde ich es nicht allein tragen.

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