Wie zwei Jungen vor meiner Tür mir zeigten, was faire Arbeit wirklich bedeutet

Wochen nach diesem Nachmittag merkte ich, dass sechzig Euro nicht nur ein Lohn gewesen waren, sondern ein kleiner Erdbebenstoß im Leben von zwei Jungen.

Am nächsten Tag dachte ich immer noch an sie.

Ich stellte mir vor, wie sie am Küchentisch sitzen, die Scheine auf dem Wachstuch ausbreiten, die Finger noch schmutzig von der Erde.

Vielleicht ein Elternteil daneben, überrascht, misstrauisch, stolz oder alles gleichzeitig.

Dann kehrte der Alltag zurück.

Arbeit, Mails, Besprechungen, der übliche Trott.

Der Garten blieb sauber, der Rücken dankbar, und der Nachmittag mit den Jungs wurde zu einer dieser Geschichten, die man im Kopf ablegt unter „schöner Moment, weitermachen“.

Bis drei Wochen später wieder die Klingel ging.

Dieselbe Uhrzeit, derselbe graue Himmel, derselbe Kaffee auf dem Tisch.

Ich öffnete und da standen sie wieder.

Diesmal hatten sie keine alten Rechen dabei, sondern eine Art selbst gebastelten Ordner.

Der Größere trug eine reflektierende Arbeitsweste, viel zu groß, wahrscheinlich von einem Vater oder Onkel.

Der Kleinere hatte Handschuhe in der Hand und ein Klemmbrett unter dem Arm, als wäre er plötzlich Geschäftsführer geworden.

„Guten Tag, mein Herr“, sagte der Größere, ein bisschen sicherer als beim ersten Mal.

„Wir wollten fragen, ob Sie mit unserer Arbeit zufrieden waren … und ob wir Ihnen etwas zeigen dürfen.“

Ich bat sie hinein, wir stellten uns in den Flur, die Schuhe ließen sie ordentlich auf der Matte stehen.

Der Kleinere klappte den Ordner auf.

Darin steckten mehrere Blätter, mit Lineal gezogene Tabellen, kleine Zeichnungen von Laubhaufen und sogar ein aufgeklebtes Foto von einem Besen.

„Wir haben eine Firma gegründet“, platzte er heraus.

„Also, so eine kleine. Für Gärten und Einfahrten und Schnee und so. Wir heißen…“ – er räusperte sich – „‚Brüder & Besen Gartenservice‘.“

Ich musste lachen, nicht über sie, sondern vor echter Freude.

Unter dem Firmennamen hatten sie eine Liste geschrieben:

„Paket 1: Laub harken – 20 Euro pro Stunde“, „Paket 2: Einfahrt fegen“, „Paket 3: Winterdienst“.

„Wir haben im Internet geguckt, was richtige Firmen nehmen“, erklärte der Größere.

„Dann hat Papa gesagt, wir sollen nicht zu billig sein, sonst denken die Leute, wir wären Spielkinder. Und…“ – er sah kurz auf – „er hat gefragt, ob wir jemanden getroffen haben, der uns gezeigt hat, wie man fair bezahlt.“

Ich spürte, wie mir die Wärme in die Wangen stieg.

Die Worte „jemanden getroffen“ hingen kurz zwischen uns.

Ich sah den Jungen an und fragte:

„Und was habt ihr geantwortet?“

Der Kleinere grinste schief.

„Wir haben gesagt, wir haben jemanden getroffen, der nicht gegeizt hat und der gesagt hat, dass unsere Zeit was wert ist. Papa hat erst gedacht, wir flunkern, aber als er die sechzig Euro gesehen hat…“

Er verzog das Gesicht. „Da musste er sich kurz setzen.“

Wir setzten uns an den Küchentisch, ich schenkte ihnen Kakao ein, obwohl sie tapfer behaupteten, Wasser reiche.

Der Größere legte einen Zettel vor mich hin.

„Wir wollten fragen, ob wir Sie als Referenz aufschreiben dürfen. Also so: ‚Herr X – sehr zufrieden, faire Bezahlung‘.“

Ich las den Zettel und blieb am Wort „fair“ hängen.

„Natürlich dürft ihr das“, sagte ich. „Aber sagt dazu, dass ihr mehr gemacht habt, als vereinbart war. Referenzen müssen ehrlich sein.“

Sie nickten ernst, als hätten wir gerade einen Vertrag unterzeichnet.

Dann schaute mich der Kleinere an, die Stirn leicht gerunzelt.

„Dürfen wir Ihnen was fragen?“

„Natürlich.“

„Wieso haben Sie uns so viel gegeben?“, fragte er.

„Also… wirklich. Die anderen sagen, man muss nehmen, was man kriegt. Und wir wollten ja nur zehn Euro. Sie hätten doch einfach ja sagen können.“

Ich lehnte mich zurück und spürte kurz den alten Jungen in mir, der mit dem Werkzeugkasten an Türen klopfte.

„Weil mir früher zu oft jemand gesagt hat: ‚Du bist doch nur ein Kind, sei froh, dass du überhaupt was kriegst‘“, antwortete ich.

„Und weil ich beschlossen habe, dass ich nicht zu denen gehören will, die euch das auch noch einreden.“

Es wurde still.

Der Größere drehte seinen Kakao-Becher langsam zwischen den Händen, als würde er die Worte darin auflösen wollen.

Dann sagte er leise:

„Mein Opa sagt immer, früher hätten sie für fünf Mark den ganzen Hof gemacht. Aber er sagt das so, als wäre das was Tolles gewesen.“

Ich nickte.

„Für ihn war es vielleicht toll, weil er nichts anderes kannte. Aber ihr lebt jetzt. Heute. Und heute dürft ihr lernen, dass Leistung einen gerechten Preis haben darf.“

Ich lächelte. „Und dass ihr selbst einen Anteil daran habt, diesen Preis zu setzen.“

Der Kleinere zog plötzlich sein Klemmbrett hoch.

„Deshalb sind wir nochmal gekommen“, sagte er.

„Wir wollten Sie fragen, was Sie denken: Ist unser Stundenpreis gut? Oder lachen die Leute uns aus?“

Ich betrachtete die Tabelle.

Manche Preise waren erstaunlich realistisch, andere eher Kinderphantasie.

„Manche werden sagen: ‚Das ist zu teuer für Kinder‘“, sagte ich ehrlich. „Aber die werden immer irgendetwas zu teuer finden. Wichtig ist, dass ihr euch nicht unter Wert verkauft und dass ihr zuverlässig seid.“

Der Größere nickte langsam.

„Wir waren gestern beim Nachbarn um die Ecke“, sagte er. „Er wollte, dass wir für fünf Euro den ganzen Vorgarten machen. Wir haben nein gesagt.“

Er schaute mich an, als wollte er prüfen, ob das falsch gewesen war.

Ich lächelte nur.

„Dann habt ihr gestern etwas sehr Wichtiges gelernt“, sagte ich. „Nein sagen ist manchmal genauso harte Arbeit wie Harken.“

Sie lachten beide, ein bisschen erleichtert.

Wir saßen noch eine Weile zusammen, sprachen über Schule, über Mathearbeiten, über einen Lehrer, der angeblich nie lachte.

Und zwischendurch fiel mir auf, wie selten ich sonst noch mit Kindern in Ruhe am Tisch sitze, ohne dass irgendwo ein Bildschirm blinkt.

Bevor sie gingen, fragte der Größere:

„Darf ich was Komisches sagen?“

„Nur zu.“

„Als wir das erste Mal hier waren, hatte ich Angst, Sie finden uns lächerlich. So zwei Jungs mit alten Rechen, die zehn Euro wollen.“

Er zögerte kurz. „Aber als Sie uns die sechzig gegeben haben, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass wir… na ja, echte Arbeiter sind. Nicht nur kleine Nervensägen.“

Ich spürte einen Kloß im Hals.

„Ihr seid echte Arbeiter“, sagte ich. „Nicht wegen des Geldes. Wegen der Haltung, mit der ihr hier steht.“

Sie schulterten ihre Westen und Klemmbretter und gingen zur Tür.

Bevor sie hinaustraten, drehte sich der Kleinere noch einmal um.

„Wenn wir irgendwann mal eine richtige Firma haben – so mit Auto und Logo und allem – kommen wir vorbei und machen Ihren Garten umsonst“, sagte er.

„Als Dankeschön für die erste Referenz.“

„Abgemacht“, sagte ich. „Aber nur, wenn ihr euren späteren Mitarbeitern dann auch zeigt, was faire Bezahlung heißt.“

Er riss die Augen auf, als hätte er gerade eine zusätzliche Mission erhalten.

„Versprochen“, sagte er feierlich.

Ich sah ihnen nach, wie sie die Straße hinuntergingen, dieses Mal ohne hysterisches Lachen, eher mit einer stillen, konzentrierten Aufregung.

Sie blätterten im Ordner, zeigten auf Häuser, schrieben sich etwas auf.

Sie sahen aus wie zwei sehr kleine, aber sehr entschlossene Unternehmer.

In den Wochen danach hörte ich ihren Namen immer wieder.

Eine Nachbarin erzählte beim Bäcker: „Die zwei Jungs haben meinen Vorgarten gemacht, die sind zuverlässiger als manche Firma.“

Ein älterer Herr im Bus schimpfte halb bewundernd: „Die wollten doch glatt zwanzig Euro pro Stunde! Aber am Ende hab ich’s bezahlt, die haben ordentlich geschuftet.“

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